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gut ist,« sagte Mamsell Schmidt.

      »Gut ist?« äffte Anna nach. »Gut ist, wenn ich meinen Fritz bei mir habe.«

      Sie warf den Eimer mit solcher Wucht in den Brunnen, daß das Wasser beide überspritzte. Mamsell Lieschen schleppte die schweren Eimer in würdigem Schweigen ins Haus.

      Die Dämmerung kam, und aus den Häusern fiel der Lampenschein auf die leeren Straßen. Draußen war es ruhig, aber in den Stuben hämmerte die zitternde Erregung, die bei allen großen Geschehnissen erst hinterher kommt. Die Pfeifen waren mit Pulver geladen, die Stricknadeln sprühten Funken.

      Durch die Hirne galoppierten Gedanken, an die man nie früher gedacht hatte. Trockene, wunschlose Lippen verlangten in heimlicher Gier nach Küssen und starkem Wein. Die sausenden Ohren forderten wilde, laute Worte, die die innere Unruhe überschrien.

      »Es ist das Wetter,« sagte Spreemann zu seinen invaliden Angestellten und wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirn.

      »Gewiß, das Wetter,« wiederholten Lehrling und »junger Mann« und schnitten ein Gesicht, sobald ihnen Herr Spreemann wieder den Rücken kehrte.

      Bei den vielen Zahlen, die Spreemann zu notieren hatte, sprang in seinem Kopf immerfort die Frage auf: wie alt mochte diese Mamsell Schmidt eigentlich sein? Er kalkulierte einige Ziffern und sagte sich dann gereizt, daß ihm dies höchst gleichgültig sein könnte. Die Person war tüchtig, verstand vorzüglich Karpfen zu kochen und Gänse zu braten, alles andere war nebensächlich. Aber als er 2,80 Mark auf ein Etikett kritzelte, mußte er sofort wieder denken, daß Mamsell Schmidt ungefähr 28 Jahre haben könne. Gedanken sind eine unangenehme Sache.

      Er schloß den Laden früher als sonst.

      Draußen sickerte ein kühlender Regen aufs Pflaster.

      Vielleicht beweinte der Himmel die tapferen Herzen, die sich zum Opfer gebracht. Schlafenden Wiegenkindern zum Heil. Vielleicht wollte er auch nichts weiter, als seine alte Pflicht erfüllen: neue Keime, neue Veilchen tränken. Wer kann dergleichen wissen . . .

      »Da haben wir's,« sagte Spreemann befriedigt. »Der Regen hat uns in den Gliedern gesteckt, das war's.«

      Er saß beim Abendbrot und lagerte Radieschen scheibenweise auf eine Butterstulle.

      »Mir war es auch heute so kribblig,« antwortete Mamsell Schmidt, die noch ein Schüsselchen mit Wurst und Bratkartoffeln auf den Tisch stellte. »Ich hoffe nur, daß morgen wieder Markt ist. Man kommt aus aller Ordnung.«

      Es klopfte an die Wohnungstür, und bald darauf führte Mamsell Schmidt den Herrn Kreisrat ins Zimmer.

      Er war nicht im Schlafrock, sondern in Hut und Mantel. Die lange Pfeife guckte aus der Tasche.

      Er sagte, wenn Ruhe die erste Bürgerpflicht wäre, sei Ordnung gewiß die zweite. Daher wollte er vorschlagen, daß man heute wieder pünktlich am Stammtisch erscheine. Spreemann fragte mit gefüllten Backen, ob man es wagen könne. Mamsell Schmidt seufzte hörbar und räumte noch dies und das vom Tisch, ehe sie das Zimmer mit einem zweiten, warnenden Seufzer verließ.

      Giesecke hatte sich gesetzt, und indem er eifrig den Tisch musterte, um seiner Madame genau erzählen zu können, was der Herr Spreemann zu Abend gegessen, sagte er, daß auch seine Frau ihn nicht gern fortgelassen habe, daß man aber ein Mann sein müsse, weil man doch hören wolle, was es Neues gab.

      So säuberte sich Spreemann mit der großen Serviette Lippen und Bart und erhob sich.

      Mamsell Schmidt nahm den großen Hausschlüssel von der Wand, versenkte ihn in ein wollenes Beutelchen, damit er keinen Schaden in Herrn Spreemanns Tasche anrichte und reichte ihn dann, ergeben, dem Hausherrn. Die Herren verließen das Haus. Mamsell Schmidt sah hinter der Gardine, wie sie unter ihren großen Regenschirmen die breiten Pfützen umsegelten, in die der Regen prasselte. Gerade kam der Nachtwächter um die Ecke und blies die achte Stunde aus. Mamsell Schmidt seufzte. In später Nacht noch fortzugehen in dieser Zeit, bei solchem Wetter! Ein rechter Leichtfuß war Herr Spreemann manchmal. Hätte er eine Frau, sie würde dies sicher nicht zugeben.

      »Sie haben es gut,« sagte inzwischen der Herr Kreisrat zu Spreemann.

      »Inwiefern?« sagte dieser, die Blicke vorsichtig auf dem glitschenden. Boden.

      »Ich meine nur so – mein Hausschlüssel hängt nicht so lose an der Wand.«

      Spreemann kannte diese Klagen des Herrn Kreisrat. Darum lenkte er ab und sagte, daß die Ehe dafür andere Vorzüge habe. Darauf schwieg der Herr Kreisrat.

      Wahrscheinlich, weil ihm so viel Gutes einfiel, daß er es nicht aufzuzählen vermochte . . .

      Man war nun in der Zimmerstraße und sah die Laterne vor Klausings Bierstube. Vor der Tür klaffte ein tiefes Loch im Pflaster, eine Wunde von gestern.

      Drinnen ging es lebhaft zu. Durch den säuerlichen Bierdunst und den steifen Tabakqualm sausten die Stimmen.

      Heute gab es keine umständliche Begrüßung. Keiner wollte unterbrochen werden.

      Herr Lehrer Pritzel war feuerrot im Gesicht und schon heiser. Er schrie, daß es der alte Herr Jung nicht wert sei, Enkel zu haben, die einmal stolze, freie Bürger sein würden, weil er nicht einsehen wollte, daß der gestrige Tag notwendig gewesen.

      Herr Jung aber, von dessen hoher Stimme die Jahre nur noch eine dünne Schicht übriggelassen hatten, blieb dabei, daß er keinen Segen darin finden könne, wenn ihm zwanzig Tauben ertränken. Die wilde Menge hatte alle seine Wasserbehälter demoliert und dadurch den Taubenstall überschwemmt.

      »Dann hätten Sie eben Enten halten sollen,« schrie Herr Lehrer Pritzel, »dann hätte sich die ganze Sache aufs Glücklichste erledigt.«

      »Andermal werde ich Sie vorher um Rat fragen, Sie Mann der Wissenschaft,« rief Herr Jung mit einer Stimme, hoch wie ein Kirchturm.

      Spreemann bestellte sich erst mal eine große Weiße mit Himbeer. Dann sagte er:

      »Die Herren sprechen von gestern?«

      »Allerdings,« antwortete der Lehrer und stieß eine Wolke Tabaksqualm aus.

      »Ja, der gestrige Tag wird uns lange im Gedächtnis bleiben,« beeilte sich der Kreisrat einzuschalten.

      »Das walte Gott,« sagte der Lehrer und qualmte wie die neuen Lokomotiven vorm Tor.

      Der Kreisrat hüstelte, und dann sagte er, daß er bei aller Achtung vor dem Herrn Lehrer nicht zu begreifen vermöge, wie man, als ein Mann von Bildung, ein Parteigänger des Radaus sein könne und fügte noch hinzu, daß er zum Beispiel das eigenmächtige Vorgehen des Volkes keineswegs billige.

      »Das sehe ich nicht ein,« mischte sich nun Herr Gerbermeister Ziehlke, Spreemanns beleibter Onkel, ins Gespräch. »Wenn man recht hat, kann man auch dreinhauen. Recht muß sein.«

      Der Lehrer sagte, daß dies das erste Vernünftige sei, was er heute abend gehört habe.

      Spreemann behauptete darauf, daß er das nicht auf sich beziehen könne; denn er hätte sich überhaupt noch nicht geäußert. Aber bedauerlich fände er die gestrigen Vorgänge auch. Und er wiederholte, was er schon gestern zu Mamsell Schmidt gesagt hatte, daß er überhaupt nicht begreife, warum die Leute immer unzufrieden wären.

      »Na, zum Beispiel aus Hunger, werter Herr Spreemann,« knurrte der Lehrer und zerrte an seinem schwarzen Bart, als risse er damit allen seinen Tischgenossen die Haare aus.

      »Dann müssen sie arbeiten. Wer arbeitet, kommt vorwärts.«

      Spreemann sah bei diesen Worten seine eigenen Züge ruhig und würdig im Weißbier schaukeln.

      »Besonders, wenn man eine Frau und fünf Kinder hat und der Lohn kaum für einen selbst ausreicht,« antwortete der Lehrer. Und dann drehte er sich ganz zu Herrn Spreemann und sagte ihm, mitten ins Gesicht hinein, daß ein Junggeselle überhaupt nicht über Volkswirtschaft mitreden rönne, ein Mann, der sich der allereinfachsten Bürgerpflicht entziehe.

      Darüber lachte Gerbermeister Ziehlke laut auf. Dieser Lehrer war ein Kerl. Der gab es ihm.

      Schadenfreude ist zwar nicht die edelste aller Freuden, aber

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