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doch der Reisende war fest entschlossen und ließ die Pferde und den Wagen in die Allee einrücken, während Gilbert das Thor wieder zumachte, was in einem Augenblick geschehen war. Als La Brie sich besiegt sah, glaubte er nichts Besseres thun zu können, als seine Niederlage selbst anzukündigen: er setzte seine alten Beine in Thätigkeit, stürzte nach dem Hause und schrie mit der ganzen Gewalt seiner Lunge:

      »Nicole Legay! Nicole Legay!«

      »Was ist das, Nicole Legay?« fragte der Fremde, während er mit derselben Ruhe nach dem Schlosse zuschritt.

      »Nicole, mein Herr?« versetzte Gilbert mit einem leichten Zittern.

      »Ja, Nicole, diejenige, welche Meister La Brie ruft.«

      »Es ist die Kammerfrau von Fräulein Andrée, mein Herr.«

      Auf das Geschrei von La Brie erschien indessen ein Licht unter den Bäumen und beleuchtete ein reizendes Mädchengesicht.

      »Was willst Du von mir, La Brie?« fragte das Mädchen, »warum dieses Lärmen?«

      »Geschwinde, geschwinde, Nicole,« rief die scheiternde Stimme des Greises; »melde dem Herrn einen Fremden, der vom Sturme überfallen worden ist, bitte ihn um Gastfreundschaft für diese Nacht.«

      Nicole ließ sich das nicht wiederholen, sie lief so leicht nach dem Schlosse, daß man sie in einem Augenblick aus dem Gesichte verloren hatte.

      La Brie, der nun gewiß war, daß der Baron nicht überfallen werden würde, erlaubte sich einen Augenblick Athem zu holen.

      Bald brachte die Botschaft ihre Wirkung hervor, denn man hörte eine scharfe, gebieterische Stimme auf der Thürschwelle und von der Freitreppe herab, die man unter den Akacien erblickte, mit wenig gastfreundlichem Tone rufen:

      »Ein Fremder  . . . wer dies? Wenn man so unversehens zu den Leuten kommt, so nennt man sich wenigstens.«

      »Das ist der Baron?« fragte La Brie derjenige, welcher die ganze Verwirrung veranlaßte.

      »Ach! ja, mein Herr,« antwortete der arme Mensch ganz zerknirscht; »Sie hören, was er fragt?«

      »Nicht wahr, er fragt nach meinem Namen?«

      »Ganz richtig. Und ich, der ich vergaß, Sie darum zu bitten!«

      »Meldet den Baron Joseph Balsamo,« sprach der Reisende; »die Aehnlichkeit des Titels wird Euren Herrn vielleicht entwaffnen.«

      La Brie machte seine Meldung, einigermaßen ermuthigt durch den Titel, den sich der Unbekannte beigelegt hatte.

      »Es ist gut,« brummte die Stimme, »er mag eintreten, da er einmal hier ist  . . . Treten Sie ein, mein Herr, wenn es Ihnen beliebt: hier  . . . gut; hieher  . . .«

      Der Fremde schritt rasch vor; als er aber an die erste Stufe der Freitreppe kam, faßte ihn die Lust, sich umzudrehen, um zu sehen, ob ihm Gilbert folgte.

      Gilbert war verschwunden.

       V.

      Der Baron von Taverney

      Obgleich durch Gilbert von der Dürftigkeit des Barons von Taverney unterrichtet, war doch derjenige, welcher sich unter dem Namen Baron Joseph Balsamo melden ließ, erstaunt, als er die Mittelmäßigkeit des von Gilbert emphatisch mit dem Namen Schloß getauften Wohngebäudes erblickte.

      Das Haus hatte kaum ein Stockwerk und bildete ein langes Gevierte, an dessen Enden sich zwei viereckige Pavillons in Form von Thürmchen erhoben. Dieser unregelmäßigen Gesammtheit gebrach es indessen bei dem bleichen Schimmer eines zwischen den durch den Orkan zerrissenen Wolken hinschlüpfenden Mondes nicht an einem gewissen pittoresken Reize.

      Sechs Fenster unten, zwei Fenster an jedem Thürmchen, d. h. eines in jedem Stocke, eine ziemlich breite Freitreppe, deren ausgerenkte Stufen jedoch bei jeder Fuge Abschüsse bildeten, dies war die Gesammtheit, welche dem Ankömmling in’s Auge fiel, ehe er bis zu der Schwelle hinaufstieg, wo ihn, wie gesagt, der Baron in einem Schlafrocke und einen Leuchter in der Hand erwartete.

      Der Baron von Taverney war ein kleiner Greis von sechzig bis fünf und sechzig Jahren, mit lebhaftem Auge und hoher, aber zurücklaufender Stirne; er trug eine schlechte Perrücke, an der von den Kerzen des Kamins allmälig und zufällig verzehrt worden war, was die Ratten im Schranke an Locken verschont hatten. Er hielt in der Hand eine Serviette von problematischer Weiße, woraus hervorging, daß er in dem Augenblick, wo er sich hatte zu Tische setzen wollen, gestört worden war.

      Sein boshaftes Gesicht, in welchem man einige Aehnlichkeit mit dem von Voltaire hätte finden können, belebte sich in diesem Augenblick durch einen doppelten, leicht faßbaren Ausdruck; nach den Gesetzen der Höflichkeit mußte er seinem unbekannten Gaste zulächeln; die Ungeduld verwandelte dieses Gebot in eine Grimasse, deren Bedeutung sich offenbar dem Gallsüchtigen und Sauertöpfischen zuwandte, so daß, erhellt von dem zitternden Schimmer des Kronleuchters, dessen Schatten die Hauptzüge zerrissen, die Physiognomie des Barons von Taverney für die eines sehr häßlichen Herrn gelten konnte.

      »Mein Herr,« sagte er, »darf ich wissen, welchem glücklichen Zufall ich das Vergnügen, Sie hier zu sehen, zu verdanken habe?«

      »Mein Herr, dem Sturme, der die Pferde so scheu machte, daß sie durchgingen und beinahe meinen Wagen zerbrachen. Ich befand mich auf der Landstraße ohne Postillons: der eine war vom Pferde gefallen, der andere mit seinem Rosse entflohen, als ein junger Mann, dem ich begegnete, mir den Weg zu ihrem Schlosse zeigte und mich ihrer wohlbekannten Gastfreundschaft versicherte.«

      Der Baron hob seine Kerze in die Höhe, um etwas mehr Raum zu beleuchten, und um zu sehen, ob er nicht in diesem Raume den Ungeschickten entdecken würde, der ihm den glücklichen Zufall verschaffte, von dem er so eben gesprochen.

      Der Reisende schaute seinerseits umher, um zu sehen, ob sein Führer wirklich verschwunden sei.

      »Wissen Sie, wie derjenige heißt, welcher Ihnen mein Schloß bezeichnet hat, mein Herr?« fragte der Baron von Taverney wie ein Mensch, der erfahren will, wem er seine Dankbarkeit ausdrücken soll.

      »Es ist ein junger Mann, der, glaube ich, Gilbert heißt.«

      »Ah! ah! Gilbert; ich hätte nicht geglaubt, daß er nur hiezu tauglich wäre. Ah! der Müssiggänger Gilbert, der Philosoph Gilbert!«

      Bei diesem Flusse von Beiwörtern, welche mit drohendem Tone ausgesprochen wurden, begriff der Gast, daß wenig Sympathie zwischen dem Lehensherrn und seinem Vasallen bestand.

      »Nun, mein Herr,« sprach der Baron nach einem Augenblick eines Stillschweigens, das nicht minder ausdrucksvoll war, als seine Worte, »wollen Sie gefälligst eintreten.«

      »Erlauben Sie,« entgegnete der Reisende, »erlauben Sie, daß ich zuerst meinen Wagen, der kostbare Gegenstände enthält, in die Remise bringen lasse.«

      »La Brie!« rief der Baron, »La Brie! führe den Wagen des Herrn Baron unter den Schoppen, er wird dort besser bedeckt sein, als mitten im Hofe, insofern sich am Schoppen noch viele Latten finden, wo es Latten gibt; was die Pferde betrifft, so ist dies etwas Anderes, ich stehe Ihnen nicht dafür, daß Futter für sie vorhanden ist, doch da sie nicht Ihnen gehören, sondern dem Postmeister, so wird dies für Sie ziemlich gleichgültig sein.«

      »Wenn ich Ihnen jedoch zu sehr lästig falle, wie ich zu glauben anfange  . . .« sagte der Reisende ungeduldig.

      »Oh! das ist es nicht, mein Herr,« unterbrach ihn höflich der Baron, »Sie sind mir durchaus nicht lästig; Sie werden sich nur beengt fühlen, das muß ich Ihnen zum Voraus bemerken.«

      »Mein Herr, glauben Sie mir, ich werde Ihnen stets dankbar sein.«

      »Oh! ich mache mir keine Illusionen, mein Herr,« sagte der Baron, indem er abermals seinen Leuchter erhob, um den Lichtkreis auf der Seite von Joseph Balsamo zu erweitern, der, unterstützt von La Brie, seinen Wagen wegführte; »oh! ich mache mir keine Illusionen, Taverney ist ein trauriger Aufenthalt und besonders ein armseliger Aufenthalt.«

      Der Reisende war zu sehr beschäftigt, um zu antworten; er wählte, der Einladung des Baron von Taverney gemäß, die am wenigsten verfallene Stelle

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