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zog sie an sich, um sie zu befragen.

      Doch auf alle ihre Fragen erwiderte das Kind nur die Worte:

      »Nein, sie würde mich tödten!«

      So konnte die Brocante weder erfahren, aus welcher Gegend das Kind war, noch wer seine Eltern, noch wie es hieß, noch warum man es tödten wollte, noch warum man ihm die Wunde gemacht, die es an der Brust hatte.

      Die Kleine beobachtete fast ein Jahr lang eine völlige Stummheit; nur einmal rief sie in ihrem von einem erschrecklichen Traume bewegtest Schlafe, einem gräßlichen Alp preisgegeben:

      »Ah! Gnade! Gnade, Madame Gerard! ich habe Ihnen nichts zu Leide gethan; tödten Sie mich nicht!«

      Alles, was man also wußte, war, daß die Frau, die sie hatte tödten wollen Madame Gèrard hieß.

      Was das Kind betrifft, da man es mit irgend einem Namen rufen mußte, und da es so bleich war, als die Rosen. welche mitten im Winter blühen, so nannte es die Brocante, ohne zu vermuthen, welche poetische Taufe sie ihm gab, Rose-de-Noël.10

      An demselben Abend, als sie sah, daß die Kleine nichts sagen wollte, zeigte ihr die Brocante in der Hoffnung, sie werde am andern Tage ein wenig geschwätziger sein, eine Art von Bett, auf dem ein Kind lag, das ein paar Jahre älter als sie, und hieß sie bei dem Kinde Platz nehmen.

      Doch sie weigerte sich hartnäckig: die Farbe der Matratze, der Schmutz der Decke widerstrebten der Klenen, welche ihre feine Wäsche und der elegante Schnitt ihren Kleides als einer reichen Familie angehörend bezeichneten.

      Sie nahm einen Stuhl, lehnte ihn an die Wand an, setzte sich darauf und sagte, sie werde so sehr gut sein.

      Sie brachte die Nacht wirklich auf diesem Stuhle zu.

      Bei Tagesanbruch entschlief sie aber.

      Gegen sechs Uhr Morgens, während das Kind schlief, stand die Brocante auf und verließ das Haus.

      Sie ging nach der Rue Neuve-Saint-Médard, um einen vollständigen Anzug für das kleine Mädchen zu kaufen.

      Die Rue Neuve-Saint-Médard ist der Temple des Quartier Saint-Jacques..

      Dieser vollständige Anzug bestand aus einem Kleide von blauem Baumwollzeug mit weißen Tüpfeln, einem gelben Halstuche mit rothen Blumen, einer Kinderhaube, zwei Paar wollenen Strümpfen und einem Paar Schuhe.

      Das Ganze hatte sieben Franken gekostet. Die Brocante hoffte wohl die Verlassenschaft des kleinen Mädchens um die vierfache Summe zu verkaufen.

      Eine Stunde nachher kam sie mit ihrem Einkaufe zurück; sie fand die Kleine immer noch auf ihrem Strohstuhle gekauert und allen Lockungen widerstehend, die ihr Babolin machte, um sie zu bestimmen, mit ihm zu spielen.

      Als sich der Schlüssel im Schlosse drehte, zitterte das kleine Mädchen an allen Gliedern, als die Thüre sich öffnete, wurde es bleich wie der Tod.

      Da sie die Kleine einer Ohnmacht nahe sah, fragte sie die Brocante, was sie habe.

      »Ich glaubte, sie sei es!« antwortete das Mädchen.

      »Sie! . . . « Also war es entschieden eine Frau, die es floh.

      Die Brocante breitete auf einem Schemel das blaue Kleid, das gelbe Halstuch, die Haube, die Strümpfe und die Schuhe aus.

      Das Kind schaute ihr mit einer gewissen Unruhe zu.

      »Komm hierher!« sagte die Brocante zu der Kleinen.

      Ohne sich vom Stuhle zu rühren, deutete die Kleine mit dem Finger auf die Kleider.

      »Diese Kleider sind nicht für mich?« fragte sie mit«einer verächtlichen Miene.

      »Und für wen denn?« sagte die Brocante.

      »Ich werde sie nicht anziehen,« erwiderte das Kind.

      »Du willst also, daß Sie Dich wieder erkennt?«

      »Nein, nein, nein, das will ich nicht.«

      »Dann mußt Du diese Kleider anziehen.«

      »Und mit diesem Anzug wird sie mich nicht erkennen?«

      »Nein.«

      »Dann kleiden Sie mich sogleich an.«

      Und ohne eine Schwierigkeit zu machen, ließ sie sich ihr hübsches weißes Kleid, ihren Batistunterrock, ihre feinen Strümpfe und ihre zierlichen Schuhe ausziehen.

      Alles dies war übrigens mit Blut befleckt: man mußte es sogleich waschen, um nicht Verdacht bei den Nachbarn zu erregen.

      Das Mädchen zog die Kleider an, die ihm die Brocante gekauft hatte: eine demüthige Livree des Elends, ein offenbares Symbol des Lebens, das ihrer harrte.«

      Die Brocante wusch die Kleider des Kindes, ließ sie trocknen und verkaufte sie um dreißig Franken.

      Das war schon ein gutes Geschäft.

      Doch die alte Hexe hoffte eines Tags ein besseres dadurch zu machen, daß sie die Eltern des Kindes entdecken und es seiner Familie zurückgeben, oder vielmehr an seine Familie verkaufen würde.

      Denselben Widerwillen, den es dem Kinde bereitet Kleider geringerer Art zu tragen, offenbarte es, als es sich darum handelte, die Mahle der Familie zu theilen.

      Ein Ueberrest von Fleisch in einer Pfanne gewärmt, ein Stück schwarzes Brod beim Ausschuß gekauft oder in der Stadt erbettelt, das war die gewöhnliche Kost der, Brocante und ihres Sohnes.

      Babolin, der nie an einer andern Tafel, als an der seiner Mutter gespeist, hatte keine gastronomische Wünsche über seiner Lage.

      Nicht dasselbe war bei Rose-de-Noël der Fall.

      Ohne Zweifel war die Arme gewohnt, ausgesuchte Gerichte mit Silbergeschirr, von Tellern und Schüsseln von Porzellan zu essen, denn sie warf nur einen Blick auf das Frühstück von Babolin und Brocante und sagte:

      »Ich habe keinen Hunger.«

      Beim Mittagessen war es dasselbe.

      Die Brocante begriff, das elegante Kind würde eher vor Entkräftung sterben, als etwas von ihrer Küche anrühren.

      »Was brauchst Du denn? Fasanen mit Orangensauce oder getrüffelte Poularden?«

      »Ich verlange weder getrüffelte Ponlarden, noch Fasanen mit Orangensauce; aber ich möchte gern ein Stück Weißbrod haben, wie man es bei uns am Sonntag den Armen gab.«

      Die Brocante, so hart sie war, wurde gerührt von dieser so einfachen und zugleich so kläglichen Antwort; sie gab Babolin einen Sou und sagte:

      »Hole ein Brödchen beim Bäcker in der Rue Copeau.

      Babolin nahm den Sou, machte nur einen Satz die Treppe hinab, nur einen Sprung von der Rue Triperet zur Rue Copeau, kam nach fünf Minuten zurück und brachte ein Brödchen mit weißer Krume und goldener Kruste.

      Die arme Rose-de-Noël hatte großen Hungers sie verzehrte es bis auf das letzte Krümchen.

      »Nun, behagt Dir das besser?« fragte die Brocante.

      »Ja, Madame, und ich danke Ihnen,« erwiderte das Kind.

      Nie war es einem Menschen eingefallen, die Brocante Madame zu nennen.

      »Schöne Madame!« sagte sie. »Und nun, Fräulein Zierling, was wollen Sie zu Ihrem Nachtische?«

      »Ich möchte gern ein Glas Wasser haben,« erwiderte das Mädchen.

      »Gib den Krug,« sagte die Brocante zu ihrem Sohne.

      Babolin brachte einen ganz abgestoßenen Krug ohne Henkel und reichte ihn der Kleinen.

      »Sie trinken hieraus?« sagte sie mit sanfter Stimme zu Babolin.

      »Das heißt, die Mutter trinkt hieraus; ich stütze mir das Wasser in den Hals.«

      Und er hob den Krug einen halben Fuß über seinen Kopf, ließ einen Wasserstrahl herauslaufen, und empfing ihn in seinem Munde mit einer Geschicklichkeit, welche die Gewohnheit, die er in dieser Uebung hatte, beurkundete.

      »Ich

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<p>10</p>

Weihnachtsrose.