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Herr!« fuhr Morrel, hingerissen von seiner Freundschaft für den jungen Mann, fort, »Sie kennen Denjenigen nicht, welchen man anklagt, aber ich kenne ihn. Denken Sie sich den sanftestem den redlichsten Menschen, und ich wage wohl zu behaupten, den Mann der sein Geschäft bei der ganzen Handelsmarine am Besten versteht. Oh, Herr von Villefort, ich empfehle Ihnen denselben aufrichtig und von ganzem Herzen.«

      Villefort gehörte, wie man sehen konnte, der adeligen Partei der Stadt an und Morrel der plebejischen. Der Erste war Ultraroyalist, der Zweite des Bonapartismus verdächtig. Villefort schaute Morrel verächtlich an und antwortete ihm mit kaltem Tone:

      »Sie wissen, mein Herr, daß man sanft im Privatleben, ehrlich in seinen Handelsverbindungen, geschickt in seinem Berufe, und darum nicht minder, politisch zu sprechen, ein großer Verbrecher sein kann. Sie wissen das, nicht wahr, mein Herr?«

      Der Beamte legte auf diese letzten Worte einen besondern Nachdruck, als wollte er sie auf den Reeder selbst anwenden, während sein forschender Blick bis in die Tiefe des Herzens dieses Mannes dringen zu wollen schien, welcher so kühn warf für einen Andern in das Mittel zu treten, während er wissen mußte, daß er selbst der Nachsicht bedurfte.

      Morrel errötete, denn er fühlte, daß sein Gewissen in Beziehung auf seine politische Gesinnung nicht ganz rein war, und überdies beunruhigte seinen Geist einigermaßen die vertrauliche Mitteilung, welche ihm Dantes hinsichtlich seiner Zusammenkunft mit dem Großmarschall und einiger Worte gemacht hatte, welche von dem.Kaiser an ihn gerichtet worden waren. Er fügte indessen mit dem Tone der tiefsten Teilnahme bei:

      »Ich bitte Sie inständig, Herr von Villefort, seien Sie gerecht, wie Sie es sein müssen, gut, wie Sie es immer sind, und geben Sie uns schleunigst diesen armen Dantes zurück.«

      Das »Geben Sie uns« klang in dem Ohre des Substituten des Staatsanwaltes ganz revolutionär.

      »Ei ei,« sagte er ganz leise zu sich selbst, »geben Sie uns . . . sollte dieser Dantes zu irgend einer Carbonari-Verbindung gehören, daß sein Beschützer, ohne daran zu denken, sich der Collectivform bedient! Man hat ihn in einer Schenke verhaftet, wie mir der Commissär sagte: in zahlreicher Gesellschaft, fügte derselbe bei: das wird wohl eine Zusammenkunft gewesen sein.«

      Dann antwortete er laut:

      »Mein Herr, Sie können vollkommen ruhig sein. Sie werden nicht vergeblich an meine Gerechtigkeit appelliert haben, wenn der Angeklagte unschuldig ist. Ist er dagegen schuldig, so leben wir in einer schwierigen Zeit, mein Herr, wo die Straflosigkeit ein unseliges Beispiel geben würde. Ich werde also genötigt sein, meine Pflicht zu tun.«

      Und hiernach., da er die Thüre seines unmittelbar an den Justizpalast anstoßenden Hauses erreicht hatte, grüßte er mit einer eisigen Höflichkeit den unglücklichen Reeder, der wie versteinert auf dem Platze blieb, wo ihn Villefort gelassen hatte, und trat majestätisch in seine Wohnung.

      Das Vorzimmer war voll von Gendarmen und Polizeiagenten. Mitten unter ihnen stand streng bewacht, gleichsam umhüllt von flammenden Blicken des Hasses, ruhig und unbeweglich der Gefangene.

      Villefort schritt durch das Vorzimmer, warf einen flüchtigen Blick auf Dantes, nahm ein Bündel Akten, das ihm ein Agent überreichte und verschwand mit den Worten:

      »Man führe den Gefangenen vor.«

      So rasch dieser Blick auch gewesen war, so genügte er doch für Villefort. um ihm einen Begriff von dem Menschen zu geben, den er verhören sollte. Er hatte den Verstand, in dieser breitem offenen Stirne den Mut in dem festen Augen und die Treuherzigkeit in den dicken, halb geöffneten Lippen erkannt, weiche eine doppelte Reihe von Zähnen, so weiß wie Elfenbein, erschauen ließen.

      Der erste Eindruck war für Dantes günstig gewesen; aber Villefort hatte so oft als ein Wort tiefer Politik sagen hören, man müsse seiner ersten Bewegung mißtrauen, insofern diese die gute sei, daß er die Maxime auf den Eindruck anwandte, ohne die Verschiedenheit in Betracht zu ziehen, welche zwischen den zwei Worten stattfindet.

      Er erstickte also die guten Instinkte, welche sich seines Herzens bemächtigen wollten, um von da seinen Geist anzugreifen, ordnete vor dem Spiegel sein Festtagsgesicht und setzte sich dann düster und drohend an seinen Schreibtisch.

      Einen Augenblick nach ihm trat Dantes ein.

      Der junge Mann war immer noch bleich, aber ruhig und lächelnd. Er verbeugte sich vor seinem Richter mit ungezwungener Artigkeit und suchte dann mit den Augen einen Stuhl, als wäre er in dem Salon des Reeders Morrel gewesen.

      Jetzt erst begegnete er dem trüben Blicke von Villefort, dem Blicke, der den Männern des Justizpalastes eigenthümlich ist, welche nicht in ihren Gedanken lesen lassen wollen und aus ihrem Auge ein matt geschliffenes Glas machen. Dieser Blick belehrte ihn, daß er sich vor der Justiz, einer Gestalt von düsteren Formen, befand.

      »Wer sind Sie und wie heißen Sie?« fragte Villefort, in den Akten blätternd, die ihm der Agent bei seinem Eintritte übergeben hatte, und welche bereits sehr umfangreich geworden waren, so rasch hängt sich das Spionirhandwerk an den unglücklichen Körper, den man die Angeklagten nennt.

      »Ich heiße Edmond Dantes, mein Herr,« antwortete der junge Mann mit einer ruhigen, klangreichen Stimme, »und bin Second an Bord des Schiffes der Pharaon, das den Herren Morrel und Sohn gehört.«

      »Ihr Alter?« fuhr Villefort fort.

      »Neunzehn Jahre,« antwortete Dantes.

      »Was thaten Sie in dem Augenblick, wo Sie verhaftet wurden?«

      »Ich wohnte meinem eigenen Verlobungsmahle bei mein Herr.« sagte Dantes mit einer leicht bewegten Stimme, so schmerzlich war der Contrast jener Augenblicke der Freude mit der traurigen Ceremonie, welche sich hier erfüllte, so sehr machte das düstere Gesicht von Herrn von Villefort das strahlende Antlitz von Mercedes in seinem ganzen Licht erglänzen.

      »Sie wohnten Ihrem Verlobungsmahle bei?« sprach der Substitut unwillkürlich zitternd.

      »Ja, mein Herr, ich bin im Begriff, ein Mädchen zu heiraten, das ich seit drei Jahren liebe.«

      So empfindlich Villefort gewöhnlich war, so wurde er doch heftig von diesem Zusammentreffen berührt, und die bewegte Stimme von Dantes sollte eine sympathetische Fiber im Grunde seiner Seele erwecken: er heiratete auch, er war auch glücklich. wie Dantes, und man hatte ihn in seinem Glücke gestört, damit er zur Vernichtung der Freude eines Menschen beitrüge, der, wie er, seiner Seligkeit so nahe stand.

      »Diele philosophische Zusammenstellung,« dachte er, »wird große Wirkung bei meiner Rückkehr in den Salon von Herrn Meran hervorbringen;« und er ordnete im Voraus, während Dantes neue Fragen erwartete, in seinem Geiste die Gegensätze, mit deren Hilfe die nach Beifall trachtenden Redner Phrasen bauen, welche zuweilen zu dem Glauben führen, dieselben besitzen eine wirkliche Beredsamkeit.

      Als seine kleine Rede im Innern geordnet war, lächelte Villefort über ihre Wirkung, und sagte zu Dantes zurückkehrend:

      »Fahren Sie fort, mein Herr!«

      »Was soll ich fortfahren.«

      »Das Gericht zu erleuchten.«

      »Das Gericht möge mir sagen, in welchem Punkte es Licht haben will, und ich werde ihm mitteilen, was ich weiß; nur,« fügte er ebenfalls mit einem Lächeln bei, »nur muß ich zum Voraus darauf aufmerksam machen, daß im nicht viel weiß.«

      »Haben Sie unter dem Usurpator gedient?«

      »Ich sollte bei der Militärmarine einverleibt werden, als er fiel«

      »Man sagt, Sie haben sehr auffallende politische Ansichten,« sprach Villefort, bei dem man hiervon nicht gehaucht hatte, der jedoch gern die Frage stellte, wie man eine Anklage stellt.

      »Meine politischen Ansichten, mein Herr, ach! ich schäme mich beinahe, es zu gestehen, aber ich habe nie das gehabt, was man eine Ansicht nennt; Ich bin kaum neunzehn Jahre alt, wie ich zu bemerken die Ehre hatte, ich weiß nichts, ich bin nicht bestimmt, irgend eine Rolle zu spielen, das Wenige aber, was ich weiß und was ich sein werde, wenn man mir die Stelle bewilligt, nach der ich trachte, habe ich Herrn Morrel zu verdanken. Alle meine Ansichten, ich sage nicht politische.

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