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Namenlos. Уилки Коллинз
Читать онлайн.Название Namenlos
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Уилки Коллинз
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
– Wenn ich Dich mit Gewalt festhalte – sagte sie – sollst Du stehen und mich anhören. Ich habe diesen Francis Clare überwacht; ich kenne ihn besser als Du. Er ist nicht Werth, daß Du Deinerseits auch nur einen Augenblick ernstlich für ihn fühlst; er ist unwerth der Theilnahme unseres lieben, guten, weichherzigen Vaters an seinem Schicksale. Ein Mann von Grundsätzen, von Ehre, von Dankbarkeit würde nicht zurückgekommen sein, wie er zurückgekommen ist, der Achtung verlustig – ja der Achtung verlustig wegen gedankenloser Versäumniß seiner Pflicht. Ich beobachtete sein Gesicht, als der Freund, der es besser als ein Vater mit ihm gemeint hat, ihn tröstete und ihm vergab mit einer Milde, die er nicht verdiente: ich beobachtete sein Angesicht, und ich sah keine Scham, keine Niedergeschlagenheit darin —, ich sah Nichts als einen Blick undankbarer, herzloser Ruhe. Er ist selbstsüchtig, er ist undankbar, er ist unedel —, kaum zwanzig Jahre alt hat er schon die schlimmsten Fehler des gereiften Alters. Und das ist der Mann, mit welchem ich Dich ins Geheim zusammen finde – der Mann, der einen solchen Platz, in Deiner Gunst hat, daß Du für die Stimme der Wahrheit über ihn Dein Ohr verschließest, sogar aus meinem Munde! Magdalene, das wird ein schlechtes Ende nehmen. Um Gottes Willen beschwöre ich Dich, nimm zu Herzen, was ich Dir gesagt habe und wache über Dich selber, ehe es zu spät ist!
Sie hielt plötzlich und athemlos inne und faßte ihre Schwester angstbeklommen bei der Hand.
Magdalene blickte auf sie mit unverhohlenem Erstaunen. – Du bist so heftig – sagte sie – und so ganz außer Dir, daß ich Dich gar nicht wiedererkenne. Je ruhiger ich bin, desto härtere Worte erhalte ich zum Lohne. Du hast einen verkehrten Haß gegen Frank gefaßt, und Du zürnst mir auf eine ganz unvernünftige Weise dafür, daß ich ihn nicht mit hasse. Laß mich, – Nora! Du thust mir wehe an der Hand.
Nora stieß die Hand von sich mit dem Ausdruck der Verachtung.
– Ich werde Deinem Herzen nie wehe thun, sagte sie und wandte Magdalenen plötzlich den Rücken zu, als sie diese Worte sprach.
Es entstand eine augenblickliche Pause. Nora blieb in ihrer Stellung. Magdalene sah auf sie in Verwirrung hin, zauderte und ging dann vor sich hin nach dem Hause zu.
Bei der Wendung in dem Buschwege hielt sie an und sah sich unruhig um.
– O Gott, Gott, dachte sie bei sich selber, warum ging nur auch Frank nicht, als ich es ihm sagte? —
Sie zögerte und ging ein paar Schritte zurück.
– Dort steht Nora und behauptet ihre Würde, so hartnäckig, wie immer.
Sie blieb wieder stehen.
– Was kann ich Besseres thun? Ich hasse Zank und Streit: ich denke, ich will ein Ende machen.
Sie ging nahe an ihre Schwester heran und berührte sie an der Schulter. Nora rührte sich nicht.
– Sie kommt nicht leicht in Aufregung, dachte Magdalene und berührte sie noch ein Mal, aber wenn sie ein Mal hineinkommt, wie lange hält das an! Komm doch! sagte sie, gib mir einen Kuß, Nora, und mach ein Ende. Willst Du mir kein anderes Fleckchen von Dir gönnen, meine Liebe, als hinten im Nacken? Gut, es ist ei allerliebster Nacken, er verdient eher einen Kuß, als der meine, und… da hast Du den Kuß wider Deinen Willen!
Sie faßte Nora von hinten und führte jene Liebkosung wörtlich aus, vollständig außer Acht lassend, was eben erst vorgefallen war. Ihre Schwester war weit entfernt, das Gleiche zu thun. Gleichwohl hatte kaum eine Minute vorher die warme Aufwallung von Noras Herzen alle Dämme in ihrem inneren überstiegen. Hatte die eisige Ruhe sie schon wieder durchkältet? Das war schwer zu entscheiden. Sie sprach nichts mehr, sie veränderte ihre Stellung nicht, sie suchte nur hastig ihr Taschentuch. Als sie es herauszog, ließ sich ein Geräusch von näher kommenden Schritten in den entlegenen Theilen des Gebüsches vernehmen. Ein schottischer Dachshund kam in Sicht gelaufen, und eine fröhliche Stimme sang die ersten Strophen des Scherzliedes aus Shakespeares »Wie es Euch gefällt«.4
– Das ist der Vater! rief Magdalene. Komm, Nora, komm und geh ihm mit entgegen.
Anstatt ihrer Schwester zu folgen, schlug Nora den Schleier ihres Gartenhutes nieder, wandte sich nach der entgegengesetzten Seite und eilte in das Haus zurück.
Sie flog in ihr Zimmer, schloß sich ein und weinte bitterlich.
Achtes Capitel
Als Magdalene mit ihrem Vater in den Buschanlagen zusammenkam, zeigte Mr. Vanstones Angesicht offenbar, daß, seitdem er am Morgen das Haus verlassen hatte, Etwas vorgefallen sein mußte, worüber er sich freute. Er antwortete auf die Frage, welche seine Tochter, neugierig wie immer, sofort an ihn richtete, indem er ihr erzählte, daß er soeben aus Mr. Clares Besitzung herkomme, und daß er an diesem so wenig verheißenden Orte eine erstaunliche Neuigkeit für die Familie auf Combe-Raven aufgelesen habe.
Beim Eintritt in das Studierzimmer des Philosophen hatte Mr. Vanstone diesen Morgen Letzteren noch bei seinem verspäteten Frühstück angetroffen, neben sich statt des sonst bei seinen Mahlzeiten ganz unvermeidlichen Buches einen offenen Brief. Er hielt den Brief empor, als der Besuch just ins Zimmer trat, und eröffnete die Unterhaltung damit, daß er Mr. Vanstone frug, ob seine Nerven in gutem Stande seien, und er sich stark genug fühle für den Eindruck einer schier ausbündigen Ueberraschung.
– Meine Nerven? wiederholte Mr. Vanstone. Gott sei Dank, ich weiß Nichts von meinen Nerven. Wenn Sie mir Etwas zu erzählen haben, Eindruck hin, Eindruck her, heraus damit auf der Stelle.
Mr. Clare hielt den Brief noch ein wenig höher und sah seinen Gast über den Frühstückstisch hin finster an.
– Was habe ich Ihnen immer gesagt? frug er mit der mürrischsten Feierlichkeit in Blick und Wesen.
– Vielmehr, als ich in meinem Kopfe behalten konnte – antwortete Mr. Vanstone.
– In Ihrer Gegenwart und auch sonst, fuhr Mr. Clare fort, habe ich immer behauptet, daß die eine wahrhaft bedeutungsvolle Thatsache, welche die heutige Gesellschaft darbieten das außerordentliche Glück der Narren ist. Geben Sie mir einen einzelnen Narren, und ich will Ihnen sofort eine zusammengewürfelte Gesellschaft zeigen, welche diesen Günstling neun Mal unter zehn den Preis gewinnen läßt, ihn das eine zehnte Mal selbst dem weisesten Manne, der nur auf der Welt ist, mißgönnt. Blicken Sie, wohin Sie wollen: aus jedem hohen Posten sitzt ein Esel, auf dieser Stelle entrückt dem Bereiche der klügsten Leute dieser Welt, die ihn etwa herunterstoßen könnten. Ueber unserm ganzen gesellschaftlichen Systeme sitzt an höchster Stelle und gibt Gesetze die gefällige Unfähigkeit, putzt vollständig straflos das Forscherlicht des Geistes aus und ruft im Eulentone zur Antwort auf Beschwerden jeder Art: Seht, wie wohl wir uns im Dunkeln befinden! Eines Tages wird diese kühne Behauptung durch die That Lügen gestraft werden, und der ganze verrottete Bau der heutigen Gesellschaft wird krachend zusammenstürzen.
– Gott bewahre uns! rief Mr. Vanstone und blickte um sich, als wäre der Umsturz schon im Anzuge.
– Krachend zusammenstürzen, wiederholte Mr. Clare. Das ist mein Lehrsatz in wenig Worten. Was nun die merkwürdige Anwendung desselben anlangt, die dieser Brief enthält: da ist mein Schlinge! von Sohn…
– Sie meinen doch nicht, daß Frank eine neue Aussicht hat? rief Mr. Vanstone aus.
– Da ist dieser vollständig hoffnungslose Schlinge! Frank fuhr der Philosoph fort. Er hat in seinem Leben niemals Etwas dazu gethan, sich selber fortzuhelfen, und nun in nothwendiger Schlußfolgerung hat sich die Gesellschaft das Wort gegeben, ihn auf den Gipfel des Baumes zu heben. Er hat kaum Zeit gehabt, die Aussicht, welche er Ihnen zu verdanken hat, zu Schanden werden zu lassen, da kommt dieser Brief und wirft ihm zum zweiten Male den Glücksapfel vor die Füße. Mein reicher Anverwandter, welcher wegen seiner geistigen Fähigkeiten sich höchstens für den hintersten Nachtrab der Gesellschaft eignet und daher selbstverständlich an die Spitze der Letzteren gestellt ist – ist so gut gewesen, sich meines Daseins aus der Welt zu erinneren, und hat mir seinen Einfluß zur Verfügung gestellt zu Gunsten meines ältesten Sohnes. Lesen Sie seinen Brief und merken Sie dann auf die Folge der Ereignisse. Mein reicher Vetter ist ein Tölpel, der
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Unter des Laubdachs Hut
Wer gerne mit mir ruht
Und stimmt der Kehle Klang
Zu lust'ger Vögel Sang:
Komm' geschwind! Geschwinde geschwinde!
Hier nagt und sticht
Kein Feind ihn nicht,
Als Wetter, Regen und Winde!
(Nach Schlegel und Tieck.) W.