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. . und, ohne ihren Einkauf zu beschließen, sprang sie die Stufen hinab, schlüpfte gewandt vorbei und ging mit kaum merklichem Seitenblick über den Weg links ab. Der Krämer, ein dicker und für Alles auf der Welt gleichgültiger Mensch, wie es alle Landhöker sind, rief ihr gähnend nach, Schubin aber wandte sich zu Berßenjew mit den Worten: Das . . . das, siehst Du . . . ich habe hier eine bekannte Familie . . . bei ihnen nun . . . glaube Du nur nicht . . . und ohne seine Rede zu Ende zu bringen lief er dem sich entfernenden Mädchen nach.

      – Wische doch wenigstens Deine Thränen ab, rief ihm Berßenjew, der sich des Lachens nicht enthalten konnte, nach. Als er aber zu Hause angelangt war, hatte sein Gesicht kein heiteres Aussehen; er lachte nicht mehr. Er hatte den Worten Schubin’s keinen Augenblick Glauben geschenkt, sie waren aber doch tief in seine Seele gedrungen. Pawel wollte mich zum Besten haben, dachte er, . . . einmal wird sie aber doch Jemand lieben . . . Wen wird sie lieben?

      Berßenjew hatte in seinem Zimmer ein Clavier, es war nicht groß und nicht neu, doch von weichem und angenehmem, wenn auch nicht ganz reinem Tone. Berßenjew setzte sich an dasselbe und schlug einige Arcorde an. Gleich allen russischen Edelleuten hatte er in seiner Jugend Musik gelernt und spielte auch, wie fast alle unter ihnen, grundschlecht, liebte jedoch leidenschaftlich Musik. Es war, streng genommen, nicht die Kunst, die er an ihr liebte, nicht die Formen, die ihr zum Ausdrucke dienen (Symphonien und Sonaten, ja selbst Opern stimmten ihn traurig), sondern das Element derselben: er liebte jene unbestimmten und angenehmen, jene gegenstandslosen und Alles umfassenden Eindrücke, welche der harmonische Uebergang der Töne in der Seele erregt. Ueber eine Stunde blieb er vor dem Clavier, wiederholte mehrere Male dieselben Acrorde, versuchte sich unbeholfen an neuen und stockte oft, bei den verkürzten Septimen gern verweilend. Sein Herz war schwer und mehr als ein Mal traten ihm Thränen in die Augen. Er schämte sich derselben nicht: er vergaß sie im Dunkeln. Pawel hat Recht, dachte er, ich fühle es: dieser Abend kehrt nicht wieder. Endlich stand er auf, zündete ein Licht an, zog den Schlafrock über, holte von einem Bücherbrette den zweiten Theil von Raumer‘s Geschichte der Hohenstaufen – seufzte ein paar Male und vertiefte sich in seine Lectüre.

      VI

      Inzwischen war Helene aus ihr Zimmer gekommen, hatte sich an das geöffnete Fenster gesetzt und den Kopf auf die Arme gestützt. Es war ihr zur Gewohnheit geworden, jeden Abend ein Viertelstündchen am Fenster ihres Zimmers zu verbringen. In dieser Zeit unterhielt sie sich mit sich selbst und legte sich Rechnung über den verflossenen Tag ab. Sie war vor Kurzem zwanzig Jahre geworden. Sie war von hohem Wuchs, hatte ein bleiches, brünettes Gesicht, unter runden Augenbrauen große graue Augen, um die feine Sommersprossen lagen, Stirn und Nase in ganz gerader Linie, einen festgeschlossenen Mund und ein ziemlich hervortretendes Kinn. Dunkelbraune Haarflechten fielen über den schlanken Hals tief in den Nacken herab. In ihrem ganzen Wesen, im gespannten und etwas scheuen Ausdrucke des Gesichtes, im klaren, doch wechselnden Blicke, in dem gleichsam gezwungenen Lächeln, in der sanften und ungleichen Stimme lag etwas Nervöses, Elektrisches, etwas Heftiges und Hastiges, mit einem Worte etwas, was nicht Jedermann ansprechen, ja Manchen sogar abstoßen konnte. Ihre Hände waren schmal, blaßroth, mit langen Fingern, die Füße auch schmal; sie ging rasch, fast eilig und etwas nach vorn geneigt. Sie hatte einen sonderbaren Entwickelungsproceß durchgemacht; anfangs hatte sie ihren Vater vergöttert, dann leidenschaftlich der Mutter angehangen und war darauf gegen Beide erkaltet, insbesondere gegen den Vater. In der letzten Zeit behandelte sie ihre Mutter wie eine kranke Muhme; der Vater aber, der auf sie stolz gewesen war, so lange sie für ein ungewöhnliches Kind gegolten hatte, begann vor ihr Scheu zu empfinden, als sie erwachsen war, und sagte ihr, sie sei ein exaltirtes Mädchen, der Himmel wisse, nach wem sie geartet! Schwäche empörte sie, Dummheit ärgerte sie, Lüge verzieh sie in »alle Ewigkeit« nicht; in ihren Anforderungen war sie unnachgiebig, selbst in ihre Gebete mischten sich bisweilen Vorwürfe. Hatte Jemand ihre Achtung verloren, – ihr Urtheilsspruch erfolgte rasch, oft gar zu rasch, – dann war er für sie, nicht mehr vorhanden. Alle Eindrücke gruben sich mit Schärfe in ihre Seele; das Leben gab sich ihr nicht leicht.

      Die Gouvernante, welcher Anna Wassiljewna übertragen hatte, die Erziehung ihrer Tochter zu vollenden, – eine Erziehung, die, beiläufig gesagt, die schmachtende Dame nicht einmal begonnen hatte, – war russischer Abkunft, die Tochter eines ruinirten Sportelreißers, ein äußerst empfindsames,« gufherziges und lügenhaftes Institutsfräulein, das sich beständig in Jemand verliebt hatte und zuletzt in ihrem fünfzigsten Lebensjahre (als Helene sechszehn geworden war) einen Offizier heirathete, der sie sogleich im Stiche ließ. Diese Gouvernante liebte sehr die Literatur und machte auch selbst Verse; sie brachte Helene Geschmack am Lesen bei, doch befriedigte sie das Lesen allein nicht: von Kindheit an hatte sie nach Thätigkeit, nach nutzbringender Thätigkeit gedürstet; Arme, Hungernde, Kranke beschäftigten, beunruhigten und plagten sie; sie sah diese Elenden in ihren Träumen, erkundigte sich nach ihnen bei allen Bekannten; Almosen theilte sie eifrig mit unwillkürlicher Wichtigkeit, ja mit Aufregung aus. Alle verfolgten Thiere, ausgehungerte Hofhunde, dem Tode ausgesetzte Kätzchen, aus dem Neste gefallene Sperlinge, ja selbst Insecten und Gewürm fanden bei Helene Schirm und Schutz: sie selbst reichte ihnen die Nahrung und empfand keinen Ekel dabei. Die Mutter ließ ihr den Willen; dafür war aber der Vater sehr angehalten über seine Tochter, ihrer unwürdigen Zärtlichkeit willen, wie er es nannte, und betheuerte, daß man vor Hunden und Katzen keinen Schritt im Hause thun könne. Lenotschka, rief er zuweilen, komm rasch, eine Spinne saugt einer Fliege das Blut aus, rette die Unglückliche! Und ganz bestürzt kam Lenotschka gelaufen, befreite die Fliege und reinigte ihr die Füße. Laß Dich nun selbst stechen, wenn Du ein so gutes Herz hast, bemerkte ironisch der Vater. Helene war etwas über neun Jahre alt, als sie mit einem Bettelmädchen, Katja, Bekanntschaft machte und insgeheim Zusammenkünfte mit demselben im Garten hielt; sie brachte ihr Naschwerk, schenkte ihr Tücher, Zehnkopekenstücke . . . Spielzeug nahm Katja nicht . . . setzte sich zu ihr in irgendeinen Winkel, hinter Nesseln auf den Boden, aß mit freudiger Demuth von ihrem trockenen Brode und hörte ihre Erzählungen an. Katja hatte eine Tante, ein böses altes Weib, von welcher sie oft Schläge bekam; sie haßte die Alte und sprach nur davon, wie sie ihr entlaufen und »in Gottes freier Welt« leben wollte; mit heimlicher Ehrfurcht und mit Grauen hörte Helene die ungewohnten, fremdartigen Reden Katja‘s und verwandte kein Auge von derselben; Alles an ihr – die schwarzen, unstäten, fast thierischen Augen, die von der Sonne gebräunten Hände, die hohle Stimme und selbst die zerrissene Kleidung – Alles schien Helene außerordentlich, beinahe heilig. Und war dann Helene ins Haus zurückgekehrt, so dachte sie noch lange an die Bettlerin, an Gottes freie Welt; dachte daran, wie sie sich einen Stock aus Nußholz schneiden, sich ein Ränzel umhängen, mit Katja davonlaufen und mit einem Kranze von Kornblumen auf den Landstraßen umherziehen wollte; sie hatte einmal Katja mit einem solchen Kranze gesehen. Wenn Jemand von ihren Verwandten in solchen Augenblicken ins Zimmer trat, wurde sie mürrisch und blickte scheu umher. Einst lief sie im Regen zu Katja hinaus und beschmutzte sich das Kleid; der Vater sah es und schalt sie eine Schlampe, eine Bauerndirne. Sie fuhr plötzlich auf . . . und es wurde ihr schauerlich und wunderbar ums Herz. Katja trällerte oft ein etwas wildes Soldatenlied; Helene hatte von ihr dies Lied gelernt . . . Anna Wassiljewna belauschte sie und wurde unwillig darüber.

      – Wo hast Du eine solche Abscheulichkeit hergenommen? fragte sie ihre Tochter.

      Helene blickte ihre Mutter blos an und antwortete nichts darauf; sie fühlte, sie könne sich eher in Stücke reißen lassen, als daß sie ihr Geheimniß verrieth, und wieder wurde ihr schauerlich und angenehm ums Herz. Die Bekanntschaft mit Katja dauerte jedoch nicht lange; das arme Mädchen erkrankte an einem hitzigen Fieber und starb wenige Tage darauf.

      Als Helene den Tod Katja’s erfuhr, war sie lange Zeit traurig und konnte die Nächte nicht schlafen. Die letzten Worte des armen Mädchens klangen fortwährend in ihren Ohren und ihr däuchte sogar, es rufe sie Jemand.

      Und die Jahre kamen und gingen, rasch und unmerkbar. Wie Wasser unter einer Schneedecke floß Helene’s Jugendzeit, äußerlich unthätig, doch unter innerem Kampf und Sturm dahin. Gespielinnen hatte sie nicht; von allen jungen Mädchen, die das Haus der Stachow’s besuchten, hatte sie sich mit keinem befreunden können. Elterliche Macht hatte nie aus Helene gelastet, aber seit ihrem sechzehnten Jahre war sie fast ganz unabhängig und führte ein ihr eigenartiges, einsames Leben. In Einsamkeit erglühte und erkaltete ihre Seele, wie ein

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