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über deren Veranlassung sie sich keine Rechenschaft zu geben wußte. Sie mochte wohl, dachte sie, »die Gesellschaft amüsiren;« aber ihre Scherze hatten nicht gefallen und so schwiegen Alle.

      In diesem Augenblicke ging der Unbekannte, von dem wir schon geredet haben, wieder über den Hof und Madame Rémond sah ihn in einiger Entfernung vom Fenster unbeweglich stehen, und das, was im Salon vorging, mit unruhigen Blicken beobachten. Sie winkte ihm, herein zu kommen und rief: »Sieh da, Herr Simon!« Dieser aber entfernte sich schnell, ohne diesen Ruf zu beachten.

      V,Der gute Herr Simon, er geht fort,« sagte Madame Rémond, »welcher brave Mann! nur »in wenig sonderbar, nicht wahr? Sie kennen ihn Alle?« Da sie hierbei zufällig den Grafen ansah, glaubte dieser sich verpflichtet, ein verächtliches »Nein« zu antworten, welches wenigstens den Willen, ihn nicht zu kennen, anzeigte.

      Die Marquise erwiederte mit freundlichen Tone:

      »Es ist einen Monat her,daß ich Herrn Simon zum ersten Male sah.«

      »Erst einen Monat,« rief Madame Rémond erstaunt, »aber schon vor drei Wochen hat er mit mir von Ihnen und Ihrem Herrn Sohne geredet! Dieser wird Ihn ohne Zweifel kenne?« und ihre Augen und Stimme fragten den jungen Mann,welcher fast wider Willen antwortete: »Wir kennen uns schon über acht Jahre.« Der Graf und die Marquise sahen einander verwundert an. »Er ist ein sonderbarer Mann,« sagte Madame Rémond, froh, einen Gegenstand der Unterhaltung aufgefunden zu haben; und wenn ich Ihnen erzählen sollte, wie er er unsere Bekanntschaft gemacht hat . . . Aber; das kann Ihnen Gabriele erzählen; sie hat ja ohnehin noch gar nichts gesagt und die Gesellschaft muß sie doch auch reden hören. Nun Gabriele antworte, doch.«

      »Da erst wurde Gabriele gewahr, daß ihre Mutter mit ihr redete, denn sie war so zerstreut, daß sie weder sah noch hörte, was um sie her vorging. »Was willst Du, Mama?« sagte sie überrascht. »Was ich will?« erwiderte die Mutter; »aber woran denkst Du denn? Hörtest Du nicht, daß ich Dich bat, zu erzählen, wie Du Simon kennen gelernt hast?« Die Marquise glaubte ohne Zweifel, das junge Mädchen werde mit linkischen Manieren irgend eine lächerliche Erzählung zum Besten geben und dadurch ihrem Enkel mißfallen, denn sie wollte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand lenken; aber die Mutter bestand auf ihrer Forderung und der junge Herzog nahm eine verächtlich resignirende Miene an, wie Jemand, der beschließt, sich über eine Qual, die man ihm auferlegt, lustig zu machen.

      Gabriele verstand nicht die Kunst zu unterhalten, – die Gabe, über gleichgültige oder unnütze Sachen auf eine angenehme Weise zu schwatzen, um eine Lücke in der Unterhaltung auszufüllen, war ihr fremd. Sie hatte keinen Begriff von dem, was man Conversation nennt; aber jetzt sollte sie eine Begebenheit erzählen, etwas berichten, was sie gesehen hatte, fand also keine Schwierigkeit zu reden, und that es ohne Scheu, wie sie gesungen, getanzt haben würde, ohne Vorbereitung und Künstelei.

      »Im letzten Frühjahr, ich war auf Schloß Arnouville . . .«

      Bei diesem Namen zuckte die Marquise und sah den Grafen an; Gabriele fuhr fort, ohne dieses gewahr zu werden:

      »Es ist ein schönes Schloß; der Park ist über dreihundert Morgen groß und von unermeßlichen Forsten umgeben. Alles dieses ist dreißig Meilen von Paris gelegen; ich habe meine Kindheit dort zugebracht und wurde durch nichts verhindert, die köstliche ländliche Freiheit nach Herzenslust zu genießen. Am äußersten Ende des Parks bilden bewunderungswürdig hohe Bäume, ein so dichtes Bosket, daß man in demselben, wie bei gutem Wetter vor den Strahlen der Sonne, so bei schlechtem Wetter vor Wind und Regen geschützt ist. Flieder, Geisblatt und Jasmin haben um dasselbe eine undurchdringliche Mauer gezogen. Dieses Bosket ist auf einer an die Heerstraße grenzenden Anhöhe, und oft vergnügte ich mich, in demselben versteckt, die Reisewagen und Wanderer zu beobachten; öfter noch blieb ich dort ganze Stunden, ohne irgend etwas zu sehen oder zu beobachten, auf dem Rasen liegend, eingewiegt durch den vom Winde mir zugewehten Duft des Jasmins und den Gesang der Nachtigall, den ich nachzuahmen suchte. Eines Morgens war ich, als der Tag anbrach, schon gekommen, um sie zu belauschen, ehe das Geräusch des Tages sie verscheuchte, und sie so lange anzuhören, bis es mir gelänge, ihre Melodien nachzumachen; ich hatte es dahin gebracht, alle Biegungen und Wendungen ihrer geläufigen kleinen Kehle in den verschiedensten Modulationen nachahmen zu können, als ich ganz nahe bei mir einen armen Greis bemerkte, der, mir zuhörte. Er kam öfter und sah immer so traurig aus, daß ich mich durchaus nicht vor ihm fürchtete. Indessen wunderte ich mich, ihn immer da zu sehen, und eine unwillkürliche Neugierde bewog mich eines Tages, eine kleine Treppe hinabzusteigen, die von der Terrasse auf die Straße führte; nur das eiserne Gitter, welches den Part umgibt, trennte uns; er hatte mich nicht kommen hören und sah mich nicht. Mit sich selbst redend, als sei er allein, sagte, er: »Dieses Kind ist so reich, so reich! ach, wenn es möglich wäre! . . .« »Da fiel es mir plötzlich ein, daß dieser Mann vielleicht mich meine, und daß die Reichthümer, in deren Besitz er mich glaubte, wohl seine Traurigkeit oder seinen Neid erregten; daß er vielleicht arm sei, und daß er hier an meiner Seite, die ich so viele, unnöthige Sachen hatte, einem armen Greise an dem Nöthigsten fehlen könne. Ich lief nach meinem Zimmer und holte von dem Golde, das meine Mutter mir ungezählt gab, und das da lag, ohne daß ich Gelegenheit oder Neigung hatte, es auszugeben. Ich nahm davon, so viel ich fassen konnte, eilte zurück, öffnete leise die Thür des Parks und stand neben dem unbekannten, ohne daß er mein Nahen bemerkt hatte; sanft ließ ich die Goldstücke in seinen neben ihm liegenden Hut gleiten. Aber plötzlich drehte er sich rasch um und verwundert und unzufrieden zwang er mich, mein Gold zurückzunehmen.

      »Ich bedarf dessen nicht,« sagte er, »ich bedarf Ihres Goldes nicht.«

      »Ich war verwirrt und fürchtete, ihn beleidigt zu haben, denn es soll ja Menschen geben, die sich der Armuth schämen. Er errieth meine Gedanken und sagte mit gutem, sanftem Tone:

      »Herzlichen Dank für Ihre gute Absicht, Sie haben sich nicht geirrt, indem Sie mich für unglücklich hielten; aber mein Unglück ist nicht von der Art, daß ihm durch Gold abgeholfen werden kann;dennoch sind Sie es, Sie allein, die meinen Kummer lindern kann.«

      »Und als ich ihn ausfragte und wissen wollte, welcher Art die Uebel seien, denen ich abhelfen könne, antwortete er mir nicht und sah mich lange schweigend an.

      ,Mama kam nun, mich abzuholen, schwatzte lange mit dem Unbekannten und forderte ihn auf, in den Park einzutreten. Er kam von da an öfter, sagte uns seinen Stand und Namen, und als wir bald darauf nach Paris zogen und ich einige Monate in einem Kloster zubringen sollte, wählte er für mich dieses, mit dessen Priorin er schon lange bekannt ist, und ich glaube sogar, daß Alles, was jetzt um Mich her vorgeht, durch Herrn Simons Einfluß geschieht. Auch erscheint er jetzt weniger traurig, einige Male habe ich ihn sogar lächeln sehen; aber was mich wundert, ist, daß er oft in so bittere Betrachtungen versunken zu sein scheint, daß er Alles um sich her vergißt; er glaubt dann allein zu sein, stößt Worte aus, die an Niemand gerichtet sind; eines Tages sogar, ach! ich werde es nie vergessen, flossen Thränen über seine bleichen Wangen, und er sagte: »Mein Gott! sie können also nicht vergessen! . . .« Und ich, seine Thränen sehend, wurde davon so schmerzlich bewegt, daß ich unwillkürlich ausrief: »Weinen denn Greise auch? ich glaubte, nur Kinder hätten Thränen! Ach! Sie müssen wohl viel Kummer haben.« Da sah er mich mit einer so traurigen und liebevollen Miene an, daß ich seitdem eine herzliche Freundschaft für ihn empfinde und viel darum gäbe, ihn trösten zu können,

      »Dies ist Alles, was ich von Herrn Simon weiß.«

      Gabriele schwieg und mit ihr Alle; der naive und anmuthige Ton, mit dem sie diese einfache Erzählung vorgetragen hatte, ihre Silberstimme, ihre bewegliche Physiognomie, die von der lachendsten Freude zu der sanftesten Traurigkeit übergegangen war, alle die köstlichen, kindlichen, frohen und ernsten Uebergänge ihrer Worte, ihrer Züge und ihrer Stimme, die vollständige und doch so einfache Uebereinstimmung in allem Diesem, hatte sich der Aufmerksamkeit derer, die verwundert, entzückt und hingerissen zuhörten, gänzlich bemächtigt. —

      Und Gabriele, deren Blicke sich zum zweiten Male auf den jungen Herzog richteten, fand die seinigen mit einem unerklärlichen Ausdrucke auf ihr ruhen: ihre Augen begegneten sich, ein Funke entfloh Beider Seelen, um dieselben zu vereinigen. gibt es nicht eine Bewegung, welche sich plötzlich und unbegreiflich, zuweilen ohne ihr Wissen und ihren Willen, zweien Wesen mittheilt. Keine Betrachtung

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