Скачать книгу

habt gesagt, dass wir nie irgendwo eingedrungen sind, ihr Grünschnäbel[104]. Und was ist mit Afghanistan? – Fahrer des einhundertsechsundsiebzigsten motorisierten Gebirgsjägerregiments. Vierzehn Mal unter Beschuss. Zwei Verwundungen, ihr Grünschnäbel.«

      »Ihr Grünschnäbel«, sagte er ohne beleidigenden Unterton – einfach wie »Jungs«.

      Der Afghanistanveteran sah Sascha, der ihm mit einer offenen Bierflasche in der Hand direkt gegenüber stand, in die Augen. Sascha verstand plötzlich, dass der Mann fast nüchtern war.

      »Ich höre, ihr sprecht da über irgendeine Partei. Über Politik. Was versteht ihr Grünschnäbel denn von Politik? Diese Affen in Anzügen warten nur darauf, uns in irgendeine Scheiße einzutunken … Hat jemand was zu rauchen?«

      Sascha überlegte und gab dem Afghanistanveteranen eine Zigarette.

      »Hier ist Rauchen verboten«, warnte er grinsend.

      »Ich rauche überall. Ihr seid doch aus einer Partei, oder?«, fragte er weiter.

      »Aus einer Partei«, antwortete Sascha. »Sojus Sosidajuschtschich«.

      »Ach, ›Sojusnitschki‹. Herr Kostenko und Genossen.« Der Afghanistanveteran grinste tierisch. »Ihr wundert euch, dass ich euch kenne? Ihr habt geglaubt, da schnorrt irgendein Bahnhofspenner Wodka? Ich trinke gar nicht. Ich schaue mir hier die Leute an. Sie rennen den ganzen Tag herum und keiner weiß, wie …« Er musterte sie alle plötzlich mit düsterem Blick: »… wie man die Arschbacken zusammenkneift, wenn eine Granate durch die Gegend fliegt. Das weiß ja keiner, dass man vor Angst nicht zittert, sondern kotzt. Die wissen das nicht, und ich fühl mich deshalb manchmal gut, auch wenn’s mitunter schmerzt.«

      »Hör mal, Kumpel«, sagte Wenja, »geh wieder. Wir sitzen hier unter Freunden.«

      »Nein, warte, was ich noch sagen möchte …« Der Afghanistanveteran schob Wenjas Hand, die auf seiner Schulter lag, mit einer feindseligen Bewegung weg. Ich halte euch nicht für ›SSler‹. Eure Fahne schaut aus wie die der Faschisten, aber das ist alles Schwachsinn. Ihr wollt die Regierung stürzen, auch ich möchte diese Leute zertreten. Die, die unsere Truppen nach Afghanistangeschickt haben, und die, die sie dann abgezogen haben. Sowohl die, die die Armee nach Tschetschenien geschickt haben, als auch die, die sie zurückholten. Und die, die sie schon wieder dorthin geschickt haben. Und die Tschetschenen dazu. Nur, was ich nicht verstehe – all diese Eier, die ihr da schmeißt, ist das euer Scheißernst? Mir fehlt zwar ein Arm, aber ich bin sofort bereit, eure Fahne auf dem Kreml zu hissen … Ich kann auch mit einer Hand jemanden erwürgen, und noch besser kann ich schießen. Nur werde ich das nicht tun, weil ihr Clowns seid. Alles klar, ihr Grünschnäbel?«

      Rogow aß währenddessen die Pelmeni auf. Negativ drehte den Kopf hin und her – es sah aus, als suchte er einen Fernseher. Nur Wenja sah die Jungs fröhlich an und fragte Sascha leise und mit leisem Lächeln mitten im Monolog des Afghanen.

      »Sollen wir ihn nicht doch lieber verdreschen?«

      »Warte …«, entgegnete Sascha flüsternd.

      »Wieso schweigt ihr?« Der Afghanistanveteran erhob die Stimme.

      »Was hast du gefragt?«, antwortete Rogow, der alles, was noch auf dem Teller war, aufaß und gequält mit Bier hinunterspülte.

      »Ich, ein Grünschnabel …«

      »Nenn mich nicht so«, bat Rogow fast liebevoll. Afrika auf seiner Wange bekam heiße, hellrosa Schattierungen.

      »Ich frage: Was könnt ihr mir anbieten?« Der Afghanistanveteran starrte Rogow an. »Ja – mir! Ihr, die ›Sojusniki‹?«

      In den Mundwinkeln des Afghanzen* klebten weiße Speichelreste.

      »Ich habe bei Herat* dem Rekruten Chasin Michail die Gedärme in den Bauch hineingestopft. Und danach soll ich mit euch Eier werfen gehen? Hast du irgendwem die Gedärme zurückgestopft?«

      Rogow schaute den Afghanzen an. Sascha – Rogow.

      »Du wirst es mir nicht glauben«, sagte Rogow, »aber Eier werfen ist fürchterlicher als Gedärme zurückzustopfen.«

      Der Afghanistanveteran verkniff sich ein Grinsen.

      »Hast du das gemacht?«

      »Ja, und zwar viele Male. Herausgenommen, hineingestopft. Därme und Lungen, Leber, Magen.«

      »Spaß-vo-gel?«[105] Der Afghanistanveteran zog die Silben auseinander.

      »Ich bin kein Spaßvogel. Ich bin Pathologe.«

      Der Afghanistanveteran öffnete den Mund, um eine weitere Bosheit von sich zu geben, doch Rogow fiel ihm, ohne dabei seine Stimme zu erheben, ins Wort.

      »Ich war nicht bei Herat, aber ich war an anderen Orten unter Beschuss, und sage dir nochmals: Eine Tomate auf den Premier zu schmeißen ist mindestens so fürchterlich wie eine Granate zu werfen. Verstehst du? Wenn du eine Granate wirfst, kannst du getötet werden. Wenn du eine Tomate wirfst, brechen sie dir aber ganz sicher den Kiefer und die Rippen, und danach hat keiner von denen etwas dagegen einzuwenden, dass du in der Zelle auch noch gefickt wirst. Was ist für dich schlimmer – gefickt oder getötet zu werden?«

      »Du Kind …«

      »Und noch etwas: Wenn du statt einer Tomate eine Granate werfen willst – nur zu. Wir werden es zu schätzen wissen[106]. Ich werde es zu schätzen wissen. Wenn du nicht willst – musst du nicht. Gut möglich, dass du es ja doch noch willst – soweit ich verstehe, ist es für dich wichtig, dass rundherum geschossen wird; dann ist es auch für dich leichter, damit anzufangen. Du brauchst die Menge, richtig? Ich hoffe, dass du sie bekommst.«

      Jetzt grinste Rogow.

      »Dawaj, Landsmann!« Ljoschka klopfte dem Afghanistanveteranen auf die Schulter. »Alles Gute. Bis bald. Bis bald, bis bald. Na, dann.«

      Alle drehten sich von dem Afghanzen weg, obwohl er noch da stand, nur einen Schritt vom Tisch entfernt.

      »Gehen wir mal rauchen?«, fragte Wenja.

      Sie gingen auf die Straße hinaus, vorbei an dem Afghanzen, der zu Boden blickte und den Kopf schüttelte.

      Sascha zog die letzte Zigarette heraus und warf die leere Packung weg. Er zündete sie an und spürte sofort, dass er sehr betrunken war.

      »Ist da noch was übrig geblieben?«, fragte Sascha, hauptsächlich, um seine eigene Stimme zu hören und einzuschätzen, wie klar sie noch war.

      »Das Bier hab ich mitgenommen.« Wenja hob zwei angefangene Flaschen Bier in die Höhe: »Den Rest haben wir ausgetrunken.«

      Sascha freute sich, dass die Frage verstanden worden war.

      Er bewegte die Lippen und kommandierte grinsend: »Kehrt um, Marsch!«

      Sie nahmen noch Bier mit und dazu irgendwelches Zeug. Sascha hatte schon das Stadium erreicht, in dem man nicht mehr trinkt, sondern nachfüllt. Man füllt seine Existenz mit geschmackloser Flüssigkeit an.

      Irgendwo fand sich noch Wodka – und dazu mussten sie getrockneten Tintenfisch essen, ein getrocknetes Schwänzchen zu dritt. Die Jungs verzehrten das Stück fein säuberlich, mit sehr ernstem, wenn auch ein wenig dämlichem Gesichtsausdruck.

      Sie betraten den Bahnsteig, lauschten, wie die Frachtzüge vorbeiratterten, und von diesem Gepolter wurde Sascha endgültig blöde im Kopf.

      Der Bahnhof verschwamm, und nur für Momente tauchte vor den Augen überraschend klar eine helle Tafel auf, irgendjemandes Gesicht, eine nervige Absperrung, die überwunden werden musste, was den Gleichgewichtssinn überforderte.

      Das Gespräch fortzusetzen war nicht möglich, aber es machte Spaß, von Zeit zu Zeit irgendetwas herauszuschreien.

      Als sie eine Milizpatrouille entdeckten, rannten die Jungs lachend und Unverständliches schreiend in die Richtung der leeren Marktstände, an denen tagsüber mit allem

Скачать книгу


<p>104</p>

Grünschnäbel – юнцы, молокососы

<p>105</p>

der Spaßvogel – шутник

<p>106</p>

Wir werden es zu schätzen wissen. – Мы оценим это.