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Ich sagte doch schon, Wenja und Rogow sind bei mir. Zuerst lagen sie unter dem Diwan. Dann haben wir Wenja in einen Teppich gewickelt und in eine Ecke gestellt, und Rogow ist in einen Schrank gekrochen … wir haben uns ganze zwei Stunden lang amüsiert.«

      Sascha trank den Tee rasch aus. Eigentlich hatte er essen wollen. Jetzt nicht mehr.

      »Wo sind sie?«, fragte er.

      »Sie sitzen im Café gegenüber. Trinken zu zweit eine Tasse Kaffee. Gehen wir?«

      Sascha holte Geld aus dem Versteck, ein Stück Käse, Zwiebeln vom Dorf, Brot und eine Konservendose, wollte zurück, um der Mutter einige Worte zu schreiben, und ließ es dann doch bleiben. Noch mal schreiben, dass »alles in Ordnung« sei. Mehr als »in Ordnung« gibt es nicht.

      »Aha, da sind sie!« Sascha merkte plötzlich, dass er sich sehr freute, Wenja, der mit seiner nicht abgeheilten Nase noch immer schniefte, und den langen Ljoschka zu sehen. Er umarmte sie beide.

      Man muss jetzt etwas unternehmen, die Jungs irgendwo unterbringen.

      Sascha traute sich nicht, Bekannte von zu Hause aus anzurufen – das Telefon wurde abgehört, so hatte er schon einmal eine Aktion der Partei vergeigt.

      Und er hatte auch keine Bekannten, bei denen sie zu dritt hätten übernachten können.

      »Und nicht einmal ich allein«, dachte Sascha plötzlich verwundert, ohne dass es ihn traurig machte.

      Es hatte sich in den letzten Jahren so ergeben, dass sich Saschas Gesprächspartner auf die Parteigenossen beschränkten. Nicht, dass er für andere Freundschaften keine Zeit hatte, obwohl, nein, er hatte keine Zeit, aber das Wichtigste war, dass er sie schon nicht mehr brauchte, warum auch, es war nicht interessant.

      Es würde sich auch nicht lohnen, in die Wohnungen lokaler »Sojusniki« zu gehen – und zwar aus ganz offensichtlichen Gründen: Jederzeit könnten welche in Zivil hereinplatzen.

      Auf der Straße begann es zu nieseln – dennoch verließen sie das verrauchte Café mit der lästigen Musik und den unverschämten Preisen und marschierten fröhlich hinaus – schwelgten in Erinnerungen und übertrumpften einander damit, was in Moskau nicht alles geschehen war …

      Negativ hörte interessiert zu, manchmal blickte er dem, der gerade sprach, aufmerksam ins Gesicht.

      Sie blieben an einem Kiosk stehen, Sascha kaufte eine Flasche Wodka und drei Plastikbecher – Negativ trank nicht, weil ihn der Alkohol immer zum Tier werden ließ.

      Rogow erhob keinen Protest gegen den Kauf, Wenja zeigte sich erfreut.

      Sie gingen auf einen Kinderspielplatz, auf dem Sascha in seiner frühen Jugend viele Stunden verbracht und unterschiedlich starken Alkohol ausprobiert hatte, um seine mehr oder auch weniger gefügigen Altersgenossinnen genauer zu untersuchen.

      Sie setzten sich auf ein Spielzeughäuschen, Sascha holte Käse und Brot aus der Tasche.

      »Nur ein Messer haben wir keins«, sagte er und drehte eine Konservenbüchse in der Hand.

      Rogow zog schweigend ein Federmesser aus dem Rucksack. Geschickt öffnete er die Büchse.

      Sie schenkten ein, stießen an …

      Bald fühlten sie sich wohl, nur die Arschbacken wurden auf der feuchten Bank kalt. Sascha stand immer wieder auf und ging herum, Rogow legte sich den Rucksack unter, Wenja war es offenbar egal.

      Negativ setzte sich nicht, er hörte zu. Er nahm ein Stück Käserinde, nagte immer wieder ein kleines Stück davon ab und kaute langsam.

      »Da, nimm.« Sascha gab ihm ein Stück Käse.

      Negativ nahm es. Er wartete, bis alle das Gespräch fortsetzten und legte es dann unbemerkt zurück.

      »Wie viele haben sie genau geschnappt, weiß das jemand?«, fragte Sascha.

      »Dreiundneunzig Personen, hieß es in den Nachrichten«, antwortete Negativ, allerdings erst, nachdem Wenja und Rogow mit den Schultern gezuckt hatten. Negativ beeilte sich nie, als Erster zu antworten.

      »Was wird ihnen vorgeworfen?«

      »Fast alle haben administrative Strafen bekommen. Je fünfzehn Tage.«

      »Was sind sie denn so … gnädig …«, wunderte sich Wenja, der das Wort »gnädig« von irgendwo hergeholt hatte, ein Wort, das ganz und gar nicht zu seinem Wortschatz passte.

      »Kannst du dir vorstellen, was für ein Prozess das gegen dreiundneunzig Personen sein soll? Die ganze Welt wird das erfahren. Das brauchen die doch nicht einmal im Arsch …«, meinte Sascha.

      »Trotzdem werden sie zur Abschreckung fünf einsperren«, sagte Rogow.

      Im »Sojus« wunderte man sich schon lange nicht mehr über neue Knastgänger[87] – mehr als vierzig Personen waren schon erwischt worden und saßen hinter Gittern. Diese Liste wurde nie kürzer, kamen die einen raus, saßen andere ein. Bezeichnenderweise waren fast alle Häftlinge »Terroristen mit Samtpfoten«[88] – sie hatten Eier geworfen, oder bekannte und unangenehme Personen mit Mayonnaise überschüttet. Trotzdem bekam man für ein beschädigtes Sakko einige Monate, vielleicht sogar ein Jahr Gefängnis.

      Die einzig echte Strafe hatte ein Kerl aus der Ukraine erhalten, der sich mit Expropriation beschäftigt hatte und zehn Jahre verschärftes Lager bekam.

      Sie schwiegen einen Augenblick, bedauerten die Jungs, zumindest Sascha wusste genau, dass sie ihm leid taten, auch bei Ljoschka und Rogow war eine Portion Bruderliebe und Mitleid zu spüren. Was Negativ und Wenja betrifft, so war bei ihnen aus unterschiedlichsten Gründen nicht alles ganz so eindeutig.

      Negativ empfand eher etwas wie Ärger, der in soliden, unaufgeregten Groll überging, und dieser Ärger war gegen alle gerichtet, die in seinem Land die Macht repräsentierten – vom Milizionär an der Straßenecke bis zum Herrn Präsidenten.

      Wenja war all das scheißegal, dachte Sascha. Und scheißegal war es ihm vermutlich nicht deshalb, weil sich Wenja nie selbst leid tat. Der Grund war vielmehr – Wenja nahm das Gefängnis absolut gelassen, er war immer darauf gefasst, reinzukommen, wenn er sich auch nicht gerade darum riss. Das ergab, wenn man zusammenrechnet, wie oft Wenja schon fünfzehn Tage bekommen hatte, insgesamt eine ganz schöne Zeit.

      Doch sie schwiegen alle …

      Sie schenkten ein, stießen ein letztes Mal an.

      »Wir haben’s einmal gemacht und werden es wieder machen!«, sagte Sascha, in dessen Worten nicht das geringste Pathos lag. Rogow nickte, Wenja lachte auf, Negativs Gesicht konnte Sascha nicht sehen.

      Sie tranken rasch aus, schnupperten an den Ärmeln* und gingen weiter. Rogow sammelte den Müll in einer Plastiktüte und trug ihn zum Abfalleimer.

      Sascha überlegte, wo man noch drei weitere Stunden verbringen konnte.

      Ruhig und gut gelaunt gingen sie zum Gebäude der Universität. Sascha befahl allen, das Außenseiter-Gegrinse abzulegen und die offenen Gesichter von tagtäglichen Besuchern einer höheren Lehranstalt aufzusetzen – entweder von Studenten höherer Semester oder von Doktoranden. So kamen sie auch beim Wärter vorbei, der mit ernster Miene die Lippen zusammengepresst hielt. Rogow, natürlich ruhig, weil er kein Gesicht aufsetzen musste, sondern seines behielt, Negativ, der sich zur Seite gedreht und das Kinn im Jackenkragen verborgen hatte, und Wenja, der durch die Anspannung der Gesichtsmuskeln plötzlich dumm aussah.

      Den Philosophiedozent Aleksej Konstantinowitsch Besletow kannte Sascha schon lange. Die Bekanntschaft zwischen Sascha, der nirgendwo studiert hatte, und dem Dozenten der Geisteswissenschaft war leicht zu erklären: Besletow war ein Schüler seines Vaters.

      Sascha war ungefähr vierzehn, als er den jungen, schmalen Besletow, der damals knapp über zwanzig gewesen war, zum ersten Mal gesehen hatte.

      Besletow hatte sie einige Male besucht, spielte lange mit seinem flauschigen Schal, den er mehrfach um seinen Hals gewunden hatte. Dann wurde Tee getrunken. Der Vater und er besprachen etwas, der Vater ruhig, Besletow zuckte manchmal

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<p>87</p>

Knastgänger – «сидельцы»

<p>88</p>

»Terroristen mit Samtpfoten« – «бархатные террористы»