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halb Mann, halb etwas anderes, deren Aufgabe es war, in den beiden Türmen zu wohnen – dem Turm von Ur im Nordwesten und dem von Kos im Südosten – und über das wertvollste Relikt des Königreichs zu wachen: das Schwert des Feuers.

      Die Legende besagte, dass es das Schwert des Feuers war, das die Flammen am Leben hielt. Niemand wusste sicher, in welchem Turm es sich befand. Es war ein Geheimnis, dessen Antwort außer den ältesten Wächtern niemand kannte. Wenn es je bewegt oder gestohlen wurde, würden die Flammen auf ewig verlöschen – und Escalon wäre schutzlos einem Angriff ausgeliefert.

      Man sagte, dass das Wachen über den Turm eine hohe Berufung war, eine heilige Pflicht, und ehrenhafte Aufgabe – wenn die Wächter einen als einen der ihren aufnahmen. Merk hatte als Junge immer von den Wächtern geträumt und war jede Nacht mit der Frage schlafen gegangen, wie es wohl wäre, einer von ihnen zu sein. Er wollte sich selbst in der Einsamkeit verlieren, im Dienst, in Selbstreflexion, und er wusste, dass es keinen besseren Weg gab, als ein Wächter zu werden. Merk fühlte sich bereit. Er hatte seinen Kettenpanzer gegen Leder getauscht, sein Schwert gegen einen Stab und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einen ganzen Mond lang niemanden getötet oder verletzt. Er fing an, sich gut damit zu fühlen.

      Als Merk einen kleinen Hügel erklomm, sah er sich hoffnungsvoll um, so wie er es schon seit Tagen tat. Er betete, dass der Gipfel ihm den Blick auf den Turm von Ur irgendwo am Horizont freigeben würde. Doch da war nichts – nichts außer noch mehr Wald, soweit das Auge reichte. Doch er wusste, dass er näher kam – nach so vielen Tagen des Wanderns konnte der Turm nicht mehr weit sein.

      Merk folgte weiter dem Pfad. Das Dickicht wurde immer dicker, bis im Tal ein großer umgestürzter Baum den Weg blockierte. Er blieb stehen und sah ihn an, bestaunte seine Größe und fragte sich, wie er ihn überwinden konnte.

      „Ich würde sagen, das ist wie genug“, hörte er eine unheilverkündende Stimme sagen.

      Merk spürte sofort die finstere Absicht in der Stimme, darin war er mit den Jahren ein Experte geworden. Er musste sich nicht einmal umdrehen um zu wissen, was als nächstes kommen würde. Überall um sich herum hörte er Blätter rascheln und aus dem Wald kamen Gesichter hervor, die zu der Stimme passten: Halsabschneider von denen einer gefährlicher als der andere aussah. Das waren die Gesichter von Männern, die grundlos töteten. Die Gesichter gemeiner Diebe und Mörder, die den Schwachen mit willkürlicher und sinnloser Gewalt auflauerten. In Merks Augen waren sie der niederste Abschaum.

      Merk sah, dass er umzingelt war und er wusste, dass er in eine Falle gelaufen war. Er sah sich unbemerkt um, und seine Instinkte erwachten. Er zählte acht Männer. Sie alle waren mit Dolchen bewaffnet und trugen zerschlissene Kleider. Ihre Gesichter, Hände und Fingernägel waren schmutzig. Die Männer waren unrasiert. Sie sahen aus, als hätten sie viel zu lange nichts gegessen und wären zu allem bereit. Und offensichtlich waren sie gelangweilt.

      Merk verkrampfte, als der Anführer der Männer näher kam, doch nicht, weil er ihn fürchtete; Merk konnte ihn töten – er konnte sie alle töten – ohne mit der Wimper zu zucken, wenn er es wollte. Was ihn jedoch verkrampfen ließ war die Möglichkeit, zu Gewalt gezwungen zu werden. Er war entschlossen, sich an seinen Eid zu halten, koste es, was es wolle.

      „Was haben wir denn da?“, fragte einer von ihnen, der um Merk herumging.

      „Sieht aus wie ein Mönch“, sagte ein anderer mit höhnischer Stimme. „Nur die Stiefel passen nicht ins Bild.“

      „Vielleicht ist er ein Mönch, der sich für einen Krieger hält“, lachte ein anderer.

      Sie brachen in Gelächter aus und einer von ihnen, ein Ochse von einem Mann Mitte 40, dem ein Schneidezahn fehlte, beugte sich vor und stieß Merk an der Schulter an. Der alte Merk hätte jeden getötet, der es gewagt hätte, ihm zu nahe zu kommen.

      Doch der neue Merk war entschlossen, ein besserer Mann zu werden, sich über die Gewalt zu erheben –selbst wenn die Gewalt ihn zu suchen schien. Er schloss die Augen, holte tief Luft, und zwang sich, ruhig zu bleiben.

      Flüchte dich nicht in die Gewalt, redete er sich immer wieder zu.

      „Was tut der Mönch da?“, fragte einer von ihnen. „Betet er etwa?“

      Daraufhin brachen alle wieder in Gelächter aus.

      „Dein Gott wird dich nicht retten, mein Freund!“, rief ein anderer.

      Merk öffnete die Augen und sah den Idioten an.

      „Ich möchte euch kein Leid zufügen“, sagte er ruhig.

      Die Männer lachten, lauter als zuvor, und Merk erkannte, dass ruhig zu bleiben und nicht mit Gewalt zu reagieren, die schwerste Prüfung für ihn war.

      „Welch ein Glück für uns“, antwortete einer.

      Sie lachten wieder; dann verstummten sie, als ihr Anführer vortrat und Merk ansprach.

      „Doch vielleicht“, sagte er mit ernster Stimme, und kam dabei so nah, dass Merk seinen schlechten Atem riechen konnte, „wollen wir dir Leid zufügen.“

      Ein Mann schlang Merk von hinten seinen dicken Arm um den Hals und begann, ihn zu würgen. Merk keuchte. Der Griff des Mannes war stark genug, ihm Schmerzen zuzufügen, reichte jedoch nicht, ihm die Luft abzuschnüren. Sein Instinkt riet ihm, den Mann zu packen und zu töten. Es wäre leicht; er kannte den Druckpunkt am Arm, der ihn zwingen würde, ihn loszulassen. Doch er zwang sich, nichts zu tun.

      Lass sie gehen, sagte er zu sich selbst. Der Weg zur Demut muss irgendwo beginnen.

      „Nehmt alles was ihr wollt“, sagte Merk keuchend. „Nehmt es und verschwindet.“

      „Und was, wenn wir es uns nehmen und leiben?“, antwortete ihr Anführer.

      „Niemand hat dich gefragt, was wir nehmen dürfen, Junge“, sagte ein anderer.

      Einer von ihnen trat an ihn heran und durchsuchte Merk. Mit gierigen Händen durchwühlte er die wenigen Habseligkeiten, die Merk bei sich trug. Merk zwang sich, ruhig zu bleiben. Schließlich zog der Mann seinen silbernen Dolch, seine Lieblingswaffe hervor, und so schmerzlich es auch war, reagierte Merk nicht.

      Lass es gehen, redete er sich zu.

      „Was ist das denn?“, fragte einer. „Ein Dolch?“

      Er sah Merk böse an.

      „Was für ein Mönch trägt denn einen Dolch bei sich?“, fragte ein anderer.

      „Was tust du damit, Junge? Schnitzen?“, fragte ein Dritter.

      Alle lachten. Merk biss die Zähne zusammen und fragte sich, wie viel mehr er ertragen konnte.

      Der Mann der den Dolch genommen hatte hielt inne, warf einen Blick auf Merks Handgelenk und riss seinen Ärmel zurück. Merk wappnete sich – sie hatten es gefunden.

      „Was ist das?“, fragte er Dieb, der sein Handgelenk gepackt hatte, es hochhielt und eingehend betrachtete.

      „Sieht aus wie ein Fuchs“, sagte ein anderer.

      „Was tut ein Mönch mit einer Tätowierung eines Fuchses?“, fragte ein weiterer.

      Ein anderer der Männer trat vor, ein großer, schlanker Man mit roten Haaren, packte das Handgelenk und untersuchte es eingehend. Er ließ es los und sah Merk argwöhnisch an.

      „Das ist kein Fuchs, du Idiot“, sagte er zu den Männern. „Das ist ein Wolf. Das ist ein Wolf. Das ist das Zeichen eines Mannes des Königs. Er ist ein Söldner!“

      Merks errötete, als er sah, dass alle seine Tätowierung anstarrten. Er wollte nicht entdeckt werden.

      Die Diebe starrten es schweigend an, und zum ersten Mal spürte Merk ein Zögern.

      „Das sind Killer“, sagte einer und sah ihn an. „Woher hast du das, Junge?“

      „Hat

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