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gab es kleine Gänge in die anderen Bureaus, Anfragen, Antworten, Schriftstücke zu holen und zu bringen.

      Um elf Uhr verließ Rittershaus das Bureau, um an die Börse zu gehen, und das war das Zeichen, die Arbeit einzustellen und eine allgemeine Plauderstunde zu eröffnen, bei der der dicke Rehle das große Wort führte.

      »No, was gibbt’s dann Neues, Scheckel?« wandte er sich an die zunächstsitzende Beamtin. »Wo hat er dich denn gestern awend hiegefiehrt? Is er brav gewese, odder hat er widder zu viel nach de annern Mädercher geguckt?«

      Rehle hatte für jede Beamtin einen Spitznamen erfunden, dessen nur er sich bedienen durfte.

      Da war die »Scheckel« (»so haaßt nemlich unser ahl’ Katz!«), da war das »Fräulein Hipperich«, das nach seiner Erläuterung »Quecksilwer im Leib hat, awwer ’s Wetter net aazeigt«, und die »Madamm’ Ungnädig«, eine kleine schwarze Hexe, die einmal dem guten Papa Rehle einen scherzhaft gemeinten, aber unvermutet kräftig ausgefallenen Backenstreich versetzt hatte, so daß sie selbst ganz erschrocken war.

      Und bald hatte auch Martha ihren Spitznamen: die »Prinzessin von Kopierbuchshausen«.

      Merkwürdig: Wittmann hatte sie Gräfin tituliert, Rehle erhob sie gar zur Prinzessin.

      Und doch war es nur ihre lachende Jugend, die sie mit einem Glanz von Hoheit umgab und jeden für sie einnahm, der mit ihr sprach, vom gestrengen Direktor Hermann bis hinab zum alten unbestechlichen Binder und dem stets übersehenen Benno Stehkragen.

      Nachmittags erwartete Martha die gleiche eintönige Arbeit. Erst als Rittershaus bemerkt hatte, daß sie eine flotte, gutleserliche Handschrift hatte, ließ er sie gelegentlich auch Fakturen schreiben. Aber das war nicht viel interessanter.

      Martha war beliebt bei den Kollegen. Das hinderte jedoch keineswegs, daß sich alsbald der Bankklatsch mit ihrer Person und ihren Privatangelegenheiten beschäftigte.

      Denn der Klatsch ist eine Giftpflanze, die in jedem Klima und auf jedem Boden gedeiht.

      Man hatte herausgebracht, daß sie die Tochter solider Kleinkaufleute aus Hannover war.

      Weshalb betätigte sie sich nicht im Geschäft ihrer Eltern? Weshalb ging sie unter fremde Leute, in eine fremde Stadt? Da mußte etwas dahinterstecken.

      Und bald löste sich der Klatsch auf seine Art das Rätsel. Natürlich war es ein weibliches Gehirn, dem die Fabel entstammte, die allgemeinen Glauben fand: Martha hatte ein uneheliches Kind und sich deshalb mit ihrer Familie überworfen.

      Bis diese Neuigkeit aus den Parterreräumlichkeiten hinauf in das Dachgeschoß gestiegen war, hatte sich die Fabel bereits zu einem Roman ausgewachsen: Das Kind, ein Junge, stammte von einem Grafen, und das dumme Ding hatte sich eingebildet, der Graf würde sie heiraten.

      Andere wußten es wieder besser: Das Kind, ein Mädchen, stammte von einem Metzgermeister, aber der konnte sie nicht heiraten, denn er war bereits verheiratet und hatte vierzehn Kinder.

      Schließlich behauptete sich siegreich die Wendung: Es waren überhaupt Zwillinge, und der eine war kurz nach der Geburt gestorben.

      Die Vaterschaft wechselte, das Kind blieb.

      Auch zu Benno Stehkragen war diese Verleumdung gedrungen. »Wisse Se ’s schonn: die Böhle hat e ledig Kind?«

      »Von mir aus,« hatte Benno achselzuckend erwidert.

      Und hatte sich heimlich gedacht: E Glück, daß ich kein Weib bin! Mir täten se e ganzes Säuglingsheim andichten!

      Damit war die Angelegenheit äußerlich für ihn erledigt.

      Innerlich freilich beschäftigte sie ihn noch lange. Wäre es möglich, daß ein so lachendes Geschöpf, dem der Frohsinn jauchzend von den Lippen sprang, so Schweres erlebt hätte?

      Denn eine Entbindung, das mußte etwas ganz Schreckliches sein. Benno war wirklich froh, daß er kein Weib war.

      Und von dem Geliebten verlassen werden – nein, sagte sich Benno, wem so was passiert, der kann sein ganzes Leben nicht mehr lachen.

      Und gar aus der Familie ausgestoßen zu sein – das war für seinen in jüdischen Traditionen erzogenen Sinn der schrecklichste der Schrecken, ein Unglück, dem kein zweites glich.

      Nein, nein, das alles war gemeiner Klatsch, Neid, Bosheit! Pfui über die schlechten Menschen!

      Und doch: Es kamen im Leben so seltsame Sachen vor, Dinge, die man sich gar nicht erklären konnte, und die dennoch Wirklichkeit waren … Ach, wenn man ihm die dumme Geschichte doch gar nicht erzählt hätte!

      Als Benno Stehkragen sich dermaßen den Wuschelkopf zerbrach, war Martha bereits nicht mehr im Wechselbureau beschäftigt.

      Es war zwischen ihr und Rittershaus zu einem Krach gekommen. Rittershaus hatte sie, die er ihrer Lebhaftigkeit wegen nicht leiden konnte, angeschrien, Martha hatte ihm eine zwar zutreffende, aber reichlich kecke Antwort gegeben, und das Ende vom Lied war, daß Rittershaus, vor Wut an allen Gliedern zitternd, in die Direktion lief, um die Entlassung »dieser Person« zu verlangen.

      »Des hast de gut gemacht!« ermunterte Rehle, indessen Martha die Tränen in den Augen standen. »Endlich hat er’s doch emol zu heern krieht, was er for e Dreckspatz is!«

      Und zu den übrigen Beamtinnen gewandt: »Nemmt euch e Beispiel draa! Aach du, Madamm Ungnädig! Des is gescheiter, als ehrwerdige Familjevätter uff de Backe zu haage!«

      Fünf Minuten später saß Rittershaus triumphierend wieder auf seinem Platz, und Martha wurde in die Direktion befohlen.

      Direktor Hermann empfing sie sehr ungnädig.

      »Wie können Sie sich unterstehen, einem alten verdienten Beamten eine solche Antwort zu geben! Sie sind wohl nicht recht bei Troste?«

      Martha blickte ihm gerade ins Gesicht. Ihre Tränen waren versiegt. Sie war völlig mit sich im reinen und sagte mit ruhiger Stimme, mehr um den Fall aufzuklären als zu ihrer Verteidigung: »Er hat mich in einem Ton angeschrien, den ich nicht gewöhnt bin! So schreit man keine Dame an!«

      »Wir haben hier keine Damen, sondern nur Beamtinnen!« erklärte Hermann schroff. »Merken Sie sich das gefälligst! Sie werden Herrn Rittershaus um Entschuldigung bitten.«

      »Nein!« rief Martha lebhaft, »das werde ich nicht tun!«

      Der Direktor zerbiß seinen Schnurrbart. Es war schwer zu entscheiden, geschah es, um seinen Ärger oder um eine aufkeimende Vergnügtheit zu verbergen? Er erhob sich jäh und kreuzte in langsamen Schritten das Zimmer.

      »Wir pflegen Disziplinlosigkeit unbarmherzig mit Entlassung zu beantworten,« sprach er heftig. »Unbarmherzig! Verstehen Sie, Fräulein Böhle? Unter keinen Umständen lassen wir so was einreißen! Unter keinen Umständen!«

      Er wandte sich nach Martha und schien eine Einwendung zu erwarten.

      Martha stand mit trotzig aufgeworfenen Lippen da. Ihre Augen funkelten, aber sie antwortete nichts.

      Hermann setzte seine Wanderung durch das Zimmer fort, blieb am Fenster stehen, schob die Gardine zurück, sah auf die Straße hinunter und sagte nach einer Weile, mehr zur Fensterscheibe als zu Martha: »Aber diesmal wollen wir in Anbetracht Ihrer Unerfahrenheit eine Ausnahme machen. Aber nur dieses eine Mal!«

      Und plötzlich drehte er sich um, ging auf Martha zu und sprach mit beinahe väterlichem Wohlwollen: »Sie müssen sich nicht gleich so aufregen, Kindchen! Meinungsverschiedenheiten gibt es überall auf der Welt! Auch hier in der Bank! Ausgenommen natürlich in der Direktion!«

      Dabei streifte sein Blick mit leisem Lächeln die Glatze des Direktors Birron, der in das Kursblatt vertieft dasaß und überhaupt keine Notiz davon genommen hatte, daß jemand in das Zimmer getreten war.

      Als Martha immer noch nichts entgegnete, nahm er unvermittelt wieder seinen schneidenden Geschäftston an: »Sie werden von heute mittag ab im Couponbureau arbeiten! Melden Sie sich bei Herrn Wittmann! Und jetzt gehen Sie sofort nach Hause!«

      Er setzte sich grußlos wieder an seinen Schreibtisch.

      Doch als die Tür ins Schloß gefallen

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