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sich Benno.

      Und weiter dachte er sich: Weshalb schimpft er eigentlich so? Nun ja, er is die Primadonna von dem Couponbureau. Er muß seine Stimm’ üben. Und immer schreit er dasselbe. Er hat’n Grammophon verschluckt. Hinauswerfen? Mich? Schön! Fall’ ich auf die Füß’, so tut mir’s nicht weh; und fall’ ich auf den Buckel, so feder’ ich wie e Sprungfedermatratz’. Mein Gott, die Welt is groß, und überall in der Welt gibt’s Drehstühl’. Und auf jedem Drehstuhl braucht merr eine menschliche Maschin’, die ihr Leben um hundertachtzig Mark den Monat verkauft. Schön! Weshalb schmeißt er nicht?

      Das alles dachte Benno nur. Das Reden war seine schwache Seite, und so flink er denken konnte, so schwerfällig sprach er.

      Gerade weil er so behende dachte, so intensiv schlagfertig war, stolperte er beim Sprechen über seine eigenen Gedanken. Er war mißtrauisch gegen alle Menschen, die perfekt reden konnten, und wenn er beispielsweise einen Parlamentsbericht las, sagte er sich: Ein hochinteressanter männlicher Kaffeeklatsch. Gute Reden, schlechte Gesetze. Wie man nur so spaltenlange Überzeugungen haben kann! Ein Glück, daß der liebe Gott kein Abgeordneter is: er wär heut’ noch nicht mit den zehn Geboten fertig! Und der arme Moses hätt’ für die Gesetzestafeln ein ganzes Armeekorps Steinträger gebraucht!

      Während Benno Stehkragen dachte, schimpfte Herr Wittmann weiter.

      Benno wartete geduldig, bis ihm der Atem ausging, nickte zustimmend mit dem Kopf, watschelte an sein Pult zurück, tunkte seine Feder ein und schrieb weiter, als sei nichts geschehen.

      »Fräulein Antonie Hochberg, hier. 5 °Coupons 3 % Preußische Staatsanleihe per 1. Oktober à M. 15.– macht M. 750.–, 2 °Coupons per 15. November …«

      Und zwischendurch dachte er: Das Fräulein Hochberg hat Geld. Alles im Schweiße ihres Angesichts geerbt. Dafür wohnt se auf der Bockenheimer Landstraß’ und hat zwei Diener und eine Zofe, die ihr das falsche Haar frisiert, und spritzt sich mit Parfüm ein, daß merr’s Geld nicht so riecht. Und se is dick wie ein Eichbaum und setzt auch jedes Jahr ’n neuen Ring an, und hat ’n Logenplatz im Opernhaus, und der arme Richard Strauß muß ihr jede neue Oper von sich vorspielen lassen und kann sich nicht wehren. Und se hat ein Perlenhalsband, das ausguckt, als wär’s von Taubeneiern, und es tut ihr leid, daß es kein Hundehalsband is, weil dann die Steuermarke dran baumelte. Und Ohren hat se und ein Gehirn hat se auch, – aber die Ohren sind mehr wert, weil da Boutons drin sind. Und se zählt zu den Spitzen der Gesellschaft, die so spitzig sind, daß ich lieber nicht damit in Berührung komm’. – Ob se mich wohl hinausschmeißen werden?

      Aber sie warfen ihn nicht hinaus. Denn die Direktion wußte, daß sie an Benno Stehkragen einen pflichtgetreuen Beamten besaß, der pünktlich und gewissenhaft funktionierte und zum Hause gehörte wie die Ventilation oder die Wasserleitung.

      Sie wußte, daß er in den langen, langen Jahren seiner Anstellung niemals selbsttätig Gehaltsaufbesserung verlangt hatte, daß er zu den Beamten zählte, die, wenn ihnen der Arzt vierzehn Tage Schonung verordnet hat, bereits am siebenten Tage wieder im Bureau erscheinen – aus purer Angst, es könnte etwa in ihrer Abwesenheit das Tintenfaß an einen anderen Platz gestellt werden oder zu den Mitteilungen an Fräulein Antonie Hochberg ein großer Briefbogen statt des kleinen Memorandums verwandt werden oder die Welt durch ein ähnliches Unglück aus dem Gleichgewicht kommen.

      Wer Benno deshalb für kleinlich gehalten hätte, hätte ihm unrecht getan.

      Benno war einfach einer jener Pflichtmenschen der alten Schule, die ihrem Chef jedes Endchen Bindfaden sammeln und einen verlegten Bleistift lieber aus der eigenen Tasche ersetzen, ehe sie einen neuen fordern. Pflichtmenschen, die das ganze Jahr über auf die Firma schimpfen, und für die die Firma doch eine Art Heiligtum ist, ohne das sie nicht leben können, und für das sie Jugend und Arbeitskraft dahingeben.

      Eigentlich gab es ja überhaupt zwei Benno Stehkragen.

      Der äußerliche, körperliche Benno trug einen schäbigen, braunen, karierten Rock – der innere Benno, die Seele Bennos, trug das herrlichste Gewand, das es gibt: sie ging splitternackt.

      Der körperliche Benno war ein buckliges, übertragenes Brillenmännchen – die Seele Bennos war ein Kind, ein harmloses Kind, das sich über Dinge wundern konnte, die jedem Erwachsenen selbstverständlich erschienen, und andererseits Dinge begriff, für die die Erwachsenen längst das Begriffsvermögen im Lebensgedränge verloren haben; ein Kind, das lieben konnte, grenzenlos, unenttäuscht, wie es nur Kindern gegeben ist.

      Nein, Heldentaten vollbrachte Benno Stehkragen nicht.

      Sein Dasein spielte sich in gar engen Grenzen ab, und wenn er an den billigen Volkstagen den Zoologischen Garten besuchte, dachte er sich jedesmal: Is nicht das ganze Leben ein Zoologischer Garten? Die Löwen sind eingesperrt, und die Flöh’ hüpfen frei ’erum.

      Und sah er bei der Fütterung der Tiere zu, so lächelte er: Eben kriegen se ihren Gehalt!

      Und er sann weiter: Das Couponbureau ist mein Käfig. Und der Wittmann is mein Wärter. Wenn ich nur emal das Schildchen an dem Käfig gucken könnt’, wie ich auf lateinisch heiß’, und ob ich eigentlich ’n Löwe bin oder ’n Aff’?

      Klein, klein war Bennos Käfig.

      Aber Benno besaß den Schlüssel zu einem Luftschloß, schöner als alle Paläste dieser Welt, zu einem Schloß, in dessen unermeßlichen Gärten die Blumen das ganze Jahr blühen, und dieser Schlüssel war das goldene Wörtchen: Wenn.

      Wenn ich der Kaiser von China wär’, dachte Benno Stehkragen und malte sich aus, was er alsdann tun würde. Es gibt weder in der Geschichte Chinas noch in der Geschichte eines anderen Volkes so übermenschliche Heldentaten, wie sie Benno der Erste, Kaiser von China, vollbrachte. Sein Volk verhimmelte ihn, und als er starb, gab es in ganz China kein trockenes Taschentuch. Zehntausend Jungfrauen, gekleidet in weiße Seide, den Meter zu zehn Mark fünfzig, folgten seinem Leichenzug, und sein Leibelefant legte sich auf sein Grab und nahm keine Nahrung mehr, bis er verendete. Und der Oberpriester des Konfutse hielt eine Leichenrede, eine Leichenrede – geplatzt wär’ der Wittmann, wenn er sie gehört hätt’!

      Oder er dachte: Wenn ich jetzt einen Onkel in Amerika hätt’ – und er wär’ neunzig Jahre alt – und er hätt’ sich zehn Milliarden Dollars Erspartes von seinem Gehalt zurückgelegt – und es tät’ ihn der Schlag treffen – und ich wär’ sein Universalerbe – dann …

      Und Benno baute von den ersparten zehn Milliarden Dollars ein Luftschloß, geräumiger als sämtliche Wolkenkratzer Neuyorks und Chikagos.

      Und in allen Räumlichkeiten wohnten glückliche, zufriedene Menschen, und der Liftboy hätte mit keinem Vanderbilt getauscht.

      Denn dies war das Übereinstimmende an fast allen Phantasien Bennos: sie liefen darauf hinaus, die Menschen glücklich zu machen. Sie begannen schier alle mit dem kleinen Bächlein Benno und mündeten in das große Meer Menschheit.

      Er schwelgte in einer Utopie von Menschheitsbeglückung.

      Aber das goldene Schlüsselchen »Wenn« öffnete ihm nicht nur die Portale der Zukunft, es erschloß ihm auch die Pforten der Vergangenheit.

      Und er träumte: Wenn ich jetzt der Bürgermeister von Gomorrha wär’ – und es fing’ an, Schwefel zu regnen – und Pech zu schneien – und Phosphor zu hageln – und ich hätt’ keinen Regenschirm bei mir – und die Feuerwehrspritz’ wär’ gerad’ kaputt – dann …

      Oder: Wenn ich jetzt der Columbus wär’ – und ich wär auf’m Meer mit mei’m Dampfschiff fehlgegangen – und ich käm’ plötzlich an ein Festland – und da tät’ ein Wegweiser stehen mit der Aufschrift »Amerika« – und es tät’ der Häuptling aus’m Kaktusstrauch hervorbrechen – und tät’ sagen, auf indianerisch: »Schlecht sehen Se aus, Herr Columbus« – dann …

      Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft umfaßten Bennos Träume.

      Im ganzen schönen Frankfurter Palmengarten wachsen keine so herrliche Blumen, wie sie unter Bennos Wuschelhaar gediehen, und im Musikpavillon bringt selbst der treffliche Kapellmeister Kämpfert keine so köstlichen Harmonien hervor, wie sie in Bennos Gedankengängen

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