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Tintenbleistift als Dirigentenstab, und nur von Zeit zu Zeit klopfte er ab: »’n Augenblick! Bitte, ’n Augenblick! Ich muß nur mein’ Taktstock neu spitzen!«

      I>ch habe geschildert was Benno Stehkragen erblickte wenn er von seinem Drehstuhl nach rechts, nach links schaute. Aber der Mensch schaut nicht nur seitwärts, er sieht auch geradeaus, und besonders Benno liebte es, geradeaus zu blicken. Im Leben allgemein, und von seinem Drehstuhl im besonderen. Denn ihm gegenüber, auf der anderen Seite des Pultes saß etwas recht Sehenswertes: das blondköpfige Fräulein Böhle.

      Vor zwei Jahren etwa war Fräulein Böhle in die Industriebank eingetreten, direkt von der Handelsschule. Sie hatte sich in der Direktion mit einem schmeichelhaften Empfehlungsschreiben, ausgestellt von einem auswärtigen Geschäftsfreunde des Hauses, eingefunden. Aber ein besseres Empfehlungsschreiben war ihr frisches Wesen, ihre lebhafte Schlankheit, ihre vergnügte Sicherheit in Worten und Auftreten.

      Das hübsche Mädchen redete mit dem gestrengen Direktor Hermann in einer drolligen Natürlichkeit und Ungezwungenheit, als spräche sie mit einem Gleichgestellten, und nicht mit dem Mann, bei dessen Erscheinen in den Bureaus auf allen Gesichtern eine Art Leichenstarre eintrat.

      Und gerade diese Tapferkeit hatte dem Direktor gefallen.

      »Sie haben zwar noch nicht praktisch in einem Geschäft gearbeitet, sondern nur die Handelsschule besucht, auf die ich nicht viel Wert lege, aber wir könnten’s ja mal probieren. Meinen Sie nicht, Kollege Birron?«

      Und der zitterige Direktor Birron, der stets meinte, was Hermann meinte, nickte mit dem Glatzkopf und sagte: »Schon recht.«

      Er wußte gar nicht, um was es sich handelte.

      »Wieviel Salär beanspruchen Sie?« frug Direktor Hermann das Fräulein, das inzwischen die Zimmereinrichtung neugierig betrachtet hatte.

      Fräulein Böhle war auf diese Frage nicht gefaßt gewesen, sie hatte überhaupt nicht geglaubt, so schnell angestellt zu werden.

      Aber sie hatte fix überlegt: »Achtzig Mark, Herr Direktor!«

      Hermann lächelte. »Sie schätzen sich sehr hoch ein, Fräulein! Ich meine, sechzig Mark genügten für den Anfang. Denken Sie nicht auch, Kollege Birron?«

      Direktor Birron, der gerade angefangen hatte, Briefe zu unterschreiben, hob zerstreut den Kopf und murmelte: »Was stören Se mich fortwährend? Es wird schon recht sein!«

      »Nun, Fräulein?« frug Hermann.

      Martha Böhle zuckte schnippisch die Achseln. »Für siebzig Mark bleibe ich.«

      Direktor Hermann lachte amüsiert. »Wenn ich Sie Ihrem Mundwerk nach bezahlen müßte, wären Sie unbezahlbar. Also meinetwegen siebzig. Und wann können Sie eintreten?«

      »Sofort,« antwortete Martha schnell.

      »Also nächsten Montag!« verbesserte der Direktor sie. Und plötzlich wieder streng geschäftlich werdend, sagte er kühl: »Sie werden den Kontrakt schriftlich erhalten. Geben Sie Ihre Adresse unten in der Korrespondenz an! Zimmer neunzehn! Daß Damen nicht in die Pensionsanstalt der Bank aufgenommen werden, dürfte Ihnen bekannt sein. Melden Sie sich Montag früh acht Uhr im Wechselbureau!«

      Damit war sie entlassen.

      »Adjö, Herr Direktor,« sagte sie. Und zu Direktor Birron gewendet, nochmals: »Adjö!«

      Birron murmelte, ohne von seiner Beschäftigung aufzublicken: »Es wird schon recht sein, Herr Kollege! Meinetwegen!«

      Als Martha die Treppe hinunterging, begegnete ihr Wittmann. Er wollte gerade ins Effektenbureau hinüber. Man hatte ihm von dort einen verkehrten Coupon geschickt, da gab es etwas zu schimpfen, und das besorgte er gern selbst.

      »Bitte sehr,« sagte er galant, nachdem er beim Anblick Marthas die Weste selbstgefällig zurechtgezupft hatte, und schmiegte sich schmal an die Wand, um sie bequemer vorbeigehen zu lassen.

      Sie nickte ihm flüchtig Dank und ging weiter.

      »Donnerkiel!« schmunzelte Wittmann, ihr nachblickend. »Die Figur is nicht von schlechten Eltern! Wer mag denn das gewesen sein?«

      Er eilte nach dem Effektenbureau, blieb aber unterwegs stehen, machte kehrt und lief nach der Portierloge.

      »Sie, Binder,« frug er den Portier, »was war denn das für eine, die da eben ’raus ging? Die Blonde, Schlanke?«

      Der Portier legte die Zeitung weg und erwiderte uninteressiert: »Ich waaß net! Beim Alte war se! Drowwe in der Direxio’!«

      Wittmann grinste. »Direktor Hermann hat kein schlechtes Geschmäckchen!«

      Er blickte den Portier, weitere Auskunft erwartend, an. Allein der alte Binder hatte keine Lust zu zweideutigen Gesprächen.

      Überdies konnte er Wittmann nicht leiden, über dessen herrisches Auftreten er manches Unliebsame gehört hatte. Von seinem Sohn, der im Kontokorrent beschäftigt war. Er begnügte sich daher, mißbilligend zu bemerken: »Herr Wittmann, Se könne aach net alles verantworte, was Se de Dag iwwer zesammeschwätze!«

      Und da gerade das Haustelephon klingelte, wandte er sich der Umschalttafel mit den Dutzenden von Stechkontakten zu, um die gewünschte Verbindung herzustellen.

      Am Montag früh stellte sich Martha pünktlich in der Industriebank ein.

      Sie trug ein einfaches Kleid, schwarzen Rock, helle, schmucklose Bluse. Ihr reiches blondes Haar lag, in Zöpfe gebändigt, wie ein großes goldenes Schneckenhaus auf dem Hinterkopf, bildete vorne einen koketten Scheitel, aus dem eine vorwitzige Locke über die Stirne schaute, als suche sie »ehrbare Annäherung« an die lustigen Augen.

      »Guten Morgen,« begrüßte sie den Portier.

      »Gu’n Morsche!« sagte Binder. »Sein Sie des neue Fräulein?«

      »Tjawoll! Martha Böhle!«

      »War’n Se schon in annerne Geschäfter, odder is des Ihr erste Schdell?« ließ sich Binder in ein Gespräch ein. Und das war eine große Gunstbezeigung.

      »Das ist mein Debüt,« antwortete Martha amüsiert.

      »No, da sin Se ja gleich in de richtige Affe’stall komme! Se wer’n Aage mache! Also gehn Se enuff in de erste Stock, Zimmer dreiunzwanzig! Un viel Glück!«

      Binder hatte schon eine große Arbeit hinter sich: das Sortieren der eingetroffenen Post. Natürlich durfte er die Briefe nicht öffnen, aber er hatte die Privatbriefe an das Personal herauszusuchen, die er dann den Empfängern beim Passieren der Portierloge überreichte.

      Es gab da Privatbriefe jeden Formats, auch parfümierte kleine Briefchen, deren Inhalt leicht erratbar war, Ansichtskarten mit verliebten Bildern und – wie sich Binder beim Lesen überzeugte – ebenso verliebten Mitteilungen, Kuverts mit Firmenaufdruck, die auf unbezahlte Rechnungen schließen ließen – o, Binder war eine Art Vertrauensperson für alle Angestellten. Mancher kleine Roman hatte sich vor seinen Augen abgespielt, manche Katastrophe hatte er ahnend miterlebt.

      Da war zum Beispiel der »schöne Adolf« vom zweiten Kassenschalter gewesen, der eine Zeitlang jeden Morgen ein blaues und ein rotes Brieflein – »mit ere Kron’ druff« – bekommen hatte. Bis eines Tags die roten Brieflein ausblieben und sich statt dessen in längeren Zwischenpausen Kuverts mit dem Aufdruck »Kgl. Amtsgericht« einstellten. Damals hatte der »schöne Adolf« den alten Binder instruiert: »Wenn mich eine Dame am Telephon verlangt, sagen Sie, ich bin in Urlaub.« Und dann war eine dicke, keineswegs hübsche Madam’ in der Industriebank erschienen und hatte in der Schalterhalle einen derartigen Lärm geschlagen, daß das ganze Haus alarmiert wurde. Und der »schöne Adolf« wurde in die Direktion gerufen und ging nun wirklich in Urlaub, aber gleich für immer.

      Der alte Binder, der seine Portierloge durch das Haustelephon mit dem Privatzimmer der Direktoren verbunden hatte, hatte deutlich den Direktor Hermann sagen hören: »Nur aus Rücksicht auf Ihre arme Frau und Ihre bedauernswerten Kinder sehen wir von einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ab!«

      Eine Viertelstunde später war der »schöne Adolf« an der Portierloge vorbeigekommen, sorglos sein Spazierstöckchen schwingend, und hatte gerufen:

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