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ihn am nächsten Tag die neugierigen Beamten frugen, was denn eigentlich mit dem »schönen Adolf« sei, und was das für eine geräuschvolle Dame gewesen sei, antwortete er nur: »Waaß ich’s? Gekindigt hat er halt!«

      Martha ging in das Wechselbureau und stellte sich dem Bureauchef Rittershaus vor. Das war ein verrunzelter, knöcherner Zahlenmensch, der sich langsam auf diesen Posten emporgearbeitet hatte, und dem im Laufe der Dienstjahre das bißchen Verstand und Daseinsinteresse eingetrocknet waren.

      Die eigentliche Herrschaft im Wechselbureau führte denn auch nicht er, sondern der dicke Rehle, der Inhaber des Schalterplatzes. Ein gemütlicher Epikureer, beliebt im ganzen Hause ob seiner ewig guten Laune.

      Drei Leidenschaften besaß Rehle: gut essen, gut trinken und gut schnupfen. Und wegen dieser dritten Leidenschaft führte er seit nun bald dreißig Jahren mit seiner lieben Alten, die die verschnupften Taschentücher waschen mußte, einen humorreichen häuslichen Krieg.

      Gnädig und kalauergesegnet führte Rehle sein Zepter, ein kleiner Schlaraffenkönig. Mit den Damen des Hauses stand er auf einem gemütlichen Papafuß und durfte sich manchen Scherz erlauben, den sie sich von anderer Seite ernstlich verbeten hätten. Nur wenn er, unbekümmert um die anwesende Weiblichkeit, gar zu derbfrankfurterische Stammtischwitze zum besten gab, entstand ein kleiner Aufruhr, so daß sich der Bureauchef Rittershaus auf seine Amtswürde besann und in den Raum krähte:

      »Ruhe!! Während der Arbeit darf nicht geschwätzt werden!«

      Worauf Rehle regelmäßig mit lauter Stimme zu rezitieren anhub: »Und es entstand eine große Stille im ganzen Lande, und jegliches Volk lauschte den Worten des erhabenen Königs!«

      Dann warf ihm Rittershaus einen bösartigen Blick zu. Aber er sagte nichts, denn Rehle hatte ebensoviele Dienstjahre auf dem Rücken wie er selbst und war »oben« gut angeschrieben.

      Natürlich wußte der dicke Rehle ebensogut wie der alte Binder, daß ein neues Fräulein engagiert war, und er wußte auch bereits, daß sie eine appetitliche Blondine sei.

      Aber so hübsch hatte er sie sich nicht vorgestellt.

      Er bemerkte daher bei Marthas Eintritt beifällig: »Da hawwe se endlich emal in der Direxio’ en gescheite Gedanke gehabbt, daß se so ebbes Hibsches angaschiert hawwe!«

      »Oho!« protestierten die anderen Beamtinnen, »sind wir vielleicht nicht hübsch?«

      »Ruhe im Schdaate Dennemark,« begütigte Rehle die Wortführerin. »Du waaßt doch, ich habb’ derr ewige Treu geschworn, von morjens Acht bis abends Sechse mit zwei Schdund Mittagspaus’!«

      Er duzte grundsätzlich jedermann.

      Martha wunderte sich keineswegs über den Ton, der im Wechselbureau herrschte. Sie fand sich mit ihrem unbefangenen Sanguinismus in alle Lebensverhältnisse, griff überall gleich den rechten Ton.

      Wo hatte das junge Mädel nur diese Gewandtheit, diese instinktive Menschenkenntnis her?

      Nachdem sie ihren näheren Arbeitsgenossen vorgestellt worden war, begann unter der Führung Rittershausens ein Rundgang durch sämtliche Bureaus, bis dicht unter das Dach, wo die Buchhalter der Revisionsabteilung saßen, deren Arbeitszimmer mehr einer Frühstücksstube glich als einem Bureau. Denn dort oben hinauf verirrte sich selten ein Aufsichtsorgan.

      Hunderte von Namen glitten an Marthas Ohr vorüber, hundert Male nickte sie freundlich mit dem Kopf oder gab ein paar gleichgültige Antworten auf gleichgültige Fragen.

      Und immerfort krähte Rittershausens monotone Stimme:

      »Fräulein Böhle, unsere neue Kollegin – Herr Soundso! Fräulein Böhle, unsere neue Kollegin – Fräulein Soundso!..«

      In etlichen Bureaus wurden von den Herren renommierend die Sonntagserlebnisse erzählt, in anderen gab es schon am frühen Morgen Streit um nichtige Angelegenheiten. In jenen Räumen, die unmittelbar mit dem Posteinlauf zu tun hatten, herrschte schon rege Betriebsamkeit.

      »Fräulein Böhle, unsere neue Kollegin – Herr Soundso!« Herrgott, nahm das denn gar kein Ende! Von Tür zu Tür ging es, treppauf, treppab. Auf den Stufen gingen zuweilen Beamtinnen an ihnen vorüber, die Briefe oder Notizzettel in andere Bureaus trugen. Es war eine stillschweigende Übereinkunft zwischen dem männlichen Personal, daß alle untergeordneten Arbeiten, die in anderen Betrieben von den Lehrlingen verrichtet zu werden pflegen, den Damen aufgehalst wurden.

      Da Martha hübsch und offenen Blickes war, schwirrten bald galante, bald neidisch-hämische Glossen hinter ihr her.

      »Alle Hochachtung, ’n niedliches Tierchen!«

      »Scheint auch mehr Prinzessin als Arbeitskraft zu sein!«

      »Fesch, tipp-topper Kerl!«

      »Für ’ne Neue dürfte sie sich schon ein bißchen weniger selbstbewußt aufführen!«

      »Fräulein Böhle, unsere neue Kollegin – Herr Wittmann!«

      Wittmann machte eine leichte Verbeugung. »Wir haben uns schon vorige Woche auf der Galatreppe gesehen, wenn ich nicht irre? Ich hielt Sie allerdings damals für ’ne Gräfin oder so was! Weil Sie so würdevoll an mir vorbeirauschten! Na, auf gute Kollegenschaft!«

      Es sollte kameradschaftlich klingen, aber Martha hörte die unleugbare Arroganz heraus und ergriff nur zögernd die dargebotene Hand.

      »Schade, daß Sie nicht in meinem Bureau sind!« flüsterte Wittmann dabei.

      Und weiter ging’s, von Pult zu Pult.

      »Fräulein Böhle, unsere neue Kollegin – Herr Benno Stehkragen!«

      Martha lächelte, und Benno fühlte, daß dieses Lächeln seinem kuriosen Namen galt.

      »Ich heiße Stehkragen,« sagte Benno, »und ich bin e Stehkragen. Ein Stehkragen, der in dieser schmutzigen Welt manchen Dreckfleck bekommen hat. Aber wenn ich emal tot bin – und ich komm in den Himmel – zu den Engeln und dem anderen Geflügel – dann wird der Stehkragen gewaschen, in purem Wolkenwasser – und geplättet und gestärkt – und vielleicht setzt der liebe Gott mich als Sternbild an den Himmel – und die Astronomen melden: Ein neues Sternbild entdeckt – in Form eines Stehkragens! Aber irgendwo is doch e winziges Schmutzfleckchen stehengeblieben – vielleicht taugt die himmlische Soda gradsowenig wie die irdische – und e junger Gelehrter guckt das Fleckchen durch sein Fernrohr – und hält’s für en Kanal oder ’n erloschenen Krater – und schreibt en Buch drüber – und wird dafür Professor der Astronomie! Und so is der bucklige Benno Stehkragen doch zu ebbes gut gewesen auf der Welt!«

      Er schwieg.

      So eine lange Rede hatte der schweigsame Benno Stehkragen noch nie gehalten.

      Die Kollegen schauten verwundert auf, Wittmann grinste geringschätzig, und Martha blickte den sonderbaren Sprecher groß an.

      »Ich habe keineswegs über Ihren Namen gelächelt,« sprach sie und log gutmütig, »wirklich nicht!«

      Aber Benno hatte sich schon wieder über seine Arbeit gebeugt und hörte gar nicht mehr hin. Er bereute auch schon, so viel gesprochen zu haben. Unerklärliches hatte ihn dazu gezwungen. Er wollte in den Augen dieses Mädchens nicht lächerlich erscheinen und hatte nun das bittere Gefühl, sich doppelt lächerlich gemacht zu haben.

      Sicherlich hat se kein Wort von dem verstanden, was ich ausdrücken wollt’, dachte er.

      Aber eine heimliche Stimme sagte ihm: Se hat’s doch verstanden. Sie is so schön und se muß ein gutes Gemüt haben!

      Nachdem sie in das Wechselbureau zurückgekehrt waren, teilte Rittershaus Martha ihre Arbeit zu. Sie hatte die einlaufenden Wechsel in ein großes Buch einzutragen und mit dem Gummistempel »Industriebank« zu versehen, in dessen Mitte die laufende Nummer des Wechselbuchs zu schreiben war.

      Dabei mußte sie prüfen, ob die Wechsel richtig ausgestellt waren, ob sie die vorgeschriebene Stempelmarke trugen, und ob die Girierungen stimmten.

      Ferner hatte sie das Kopierbuch zu registrieren, die Kopien der am vorigen Tage abgegangenen Fakturen nachzurechnen.

      »Zur Übung!« hatte

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