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der Oheim sagt, ich sei herz- und fühllos – ein Satanskind!«

      Und nun lachte sie wieder auf, daß es wie der Ruf der Spottdrossel durch den Garten und die Kreuzgänge klang, raffte ihr triefend nasses Kleid zusammen und floh in das Haus.

      Am nächsten Morgen, als er hinaustrat ins Freie, waren die Wagen verschwunden. Die »Fremden« waren abgereist und »es krähte kein Hahn nach ihnen,« wie Mamsell Köhler, die Beschließerin, sagte, als sie an das Inordnungbringen des verlassenen Flügels schritt.

      Nein, es krähte kein Hahn nach ihnen, denn nicht mit einer Silbe wurden sie erwähnt von dem Oheim, der Mutter und deren Gatten.

      Nur einer vermißte das »Satanskind« – das war der Verwalter des Gutes, ein mittelalterlicher Hagestolz, dem es tausend und abertausend lustige, kleine Streiche gespielt, wie allen im Hause, nur daß drinnen es mit Empörung und sittlicher Entrüstung über den »schlechten Charakter« des Mädchens erfüllte, während er darüber lachte. Dafür sang sie ihm abends, auf dem Fensterbrett seines Häuschens hockend, eine Auswahl von Liedern zur Mandoline vor. –

      Alfred von Falkner seufzte tief auf – er war mit seinen Erinnerungen fertig. Es war nicht viel und nur sehr Unklares, da man ja auf dem Falkenhofe das niederdrückende System des »Totschweigens« praktizierte und unliebsamen Personen keine Silbe gönnte, aber er war dennoch zufrieden, denn er wußte nun, wo er das Lied gehört hatte, das die »Komödiantin« heut' Abend gesungen.

      Bei dieser Erkenntnis fuhr ihm ein jäher Schreck wie ein glühender Strom durch das Herz – ihm war, als gliche die »Satanella« des heutigen Abends der kleinen zarten Elfe von damals, als sie ihn im Mondlicht am Brunnen ihrer Herzlosigkeit ernsthaft versicherte.

      Im nächsten Moment aber mußte er sein Erschrecken belächeln.

      »Unsinn,« sagte er vor sich hin, »meine Nerven sind erregt von der Satansmusik dieser im Grunde geschmacklosen Oper. Es war das Lied, das mir den hirnverbrannten Gedanken eingab – denn das kleine Mädchen, das es vor vierzehn Jahren sang, war am Ende doch eine Freiin von Falkner.«

      Mit diesem beruhigenden Gedanken suchte er sein Lager auf, aber die schlichte Weise spukte noch in seinen Träumen fort:

      Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit

      Tönt ein Lied mir immerdar.

***

      Die Zeit verging. Abend für Abend wurde die »Satanella« aufgeführt, und Abend für Abend zog die Oper eine unabsehbare Schar von Schau- und Hörlustigen in die strahlenden Räume des Opernhauses.

      Natürlich ward das Geheimnis der Autorschaft bald ein öffentliches, und so geschah es, daß diejenigen, die sich eigentlich nur für die Sängerin interessiert hatten, dieses Interesse nun auch der Oper zuwendeten, und umgekehrt.

      Donna Dolores konnte selbstverständlich nicht jeden Abend die anstrengende Partie der »Satanella« singen und alternierte in dieser Rolle mit der Primadonna der Oper, deren Gast sie war. Sie war eine geheimnisvolle Persönlichkeit, über die viel gesprochen wurde, man befragte den Intendanten, in dessen Hause sie wie eine Tochter verkehrte, aber er verriet ihre Herkunft nicht. Niemand hatte gehört, daß sie vorher anderswo aufgetreten war, sie war gekommen und hatte gesiegt – ein Mädchen aus der Fremde im Reiche der Kunst. Man brannte überhaupt darauf, mehr von ihr zu wissen, mehr über sie zu erfahren – vergebens. Denn die schwarze Tereza, ihre Kammerfrau, war unbestechlich, und ihr Kammerdiener und Sekretär in einer Person, Señor Ramo Granza, ein kleiner, nußbrauner und geschmeidiger Brasilianer, war noch unzugänglicher, sowohl Geld als guten Worten, und zugeknöpft von seiner weißen Krawatte bis herab zu den glänzenden Lackstiefeln.

      An den Abenden, an welchen Donna Dolores die »Satanella« sang, war auch regelmäßig Alfred von Falkner in seiner Loge zu finden. Er wollte die Musik studieren, fand aber keinen Blick für die Bühne, wenn Donna Dolores auf derselben stand.

      »Man sollte meinen, Sie fürchteten sich vor den fascinierenden Augen der ›Satanella‹,« sagte Richard Keppler eines Abends zu ihm. Denn auch der Maler fand sich regelmäßig ein und war immer wieder aufs neue entzückt von der plastischen Darstellungsweise der Fremden.

      Alfred zuckte die Achseln.

      »Sie hat eine wunderbar schöne Stimme, und ich komme, sie zu hören,« erwiderte er kühl, »aber das verpflichtet mich nicht, die Sängerin anzusehen, deren Erscheinung mir unsympathisch ist.«

      Dagegen ließ sich natürlich nichts einwenden.

      Es war etwa einen Monat nach jenem Abend beim Professor Balthasar, als Donna Dolores bei dem Atelier Richard Kepplers vorfuhr.

      Señor Ramo sprang vom Bock und öffnete seiner Dame die Wagenthür. Die Sängerin, wie gewöhnlich in Schwarz gekleidet, verließ das Coupé und betrat das Vorzimmer des Ateliers, das sich Keppler hier, inmitten des grünen Stadtparks, selbst erbaut hatte, und zu dem die reisende Welt, vulgo Ateliermarder, strömte, um sogar die Frühstücksreste des Meisters zu bewundern und vor dem halbvollendeten Bilde eines Schülers in Entzückungsrhapsodien auszubrechen, in der Meinung, vor einer Schöpfung des Genialen zu stehen.

      Donna Dolores durchschritt die wohldurchwärmte, komfortabel und künstlerisch ausgestattete Vorhalle und öffnete die Thür, ohne anzuklopfen. In dem mit Oberlicht versehenen Raume stand Keppler, Pinsel und Palette in der Hand. – Aber das gewaltige Historienbild, an welchem er bisher arbeitete, hatte er zurückschieben lassen – eine andere Staffelei war herbeigerollt und darauf stand im prächtigen goldenen Renaissancerahmen das halbvollendete, lebensgroße Porträt der Satanella.

      Der Meister war so versenkt in den Anblick des Bildes, in das Studium desselben, daß er's nicht einmal hörte, wie das Original hinter ihm erschien, und so bot Dolores ihm auch keinen guten Tag, sondern huschte lautlos durch die purpursamtne Portiere in das Nebenzimmer, dem buen retiro des Meisters, wo in einem Korbe verpackt das Satanellenkostüm lag.

      Lautlos und schnell warf sie ihr schwarzes Kleid von sich und das andere über, dann löste sie die Haare und trat mit einem Male neben das Bild. Keppler erschrak beinahe, dann irrte sein Auge von der Leinwand auf die Sängerin, er verglich die Wirklichkeit mit der Kunst. Fast ängstlich prüfte er die Wirkung des farbensatten Bildes – dies feuerfarbene Kleid von starrer Seide im Schnitt der Renaissance, gerafft über einem Rocke von Goldbrokat. Und über die rauschenden, roten Falten wogte das goldrote Haar in üppigen Massen in jenen wunderbaren Reflexen, wie sie eben nur dieses Haar hat. Das zweizackige Brillantdiadem raffte die schweren Wellen zurück nach dem Nacken und funkelte über der weißen Stirn mit diabolischem Leuchten, denn die zwei rückwärts gebogenen Zacken flammten wie kleine Hörner, das Wahrzeichen Satanellas.

      Mit einem Seufzer der Enttäuschung warf Keppler die Palette zur Seite. »Ich bin ein Stümper,« sagte er traurig, »denn ich stehe ratlos vor der Natur. Mir fehlen die Farbentöne, die rechten Tinten für Ihr farbensattes Bild, Madonna Diavolina!«

      »Zinnober, Meister, viel Zinnober, Karmin und Ocker,« scherzte die Sängerin.

      »Und Sie damit rot anzutünchen wie den Hans Styx im Orpheus von Offenbach! Ja, wenn ich allein vor dem Bilde stehe, dann sieht mein Auge diese Übergänge vor sich, dann weiß ich's, wie Ihr weißer Nacken, Ihr Antlitz sich hervorheben muß aus dieser Flut von Rot und Gold – stehen Sie selbst aber neben dem Bilde, da möcht' ich schier verzweifeln, dann verwirren sich meine Begriffe – ich werde farbenblind!«

      »Das macht, weil Sie mit dem Kopfe begonnen haben –!«

      »Nein, das machen Ihre Augen,« rief er heftig. »Ich war ein Thor, Ihre Stellung so anzuordnen, daß Sie mich ansehen müssen – mit diesem Ausdruck ansehen müssen!«

      Sie lächelte gezwungen.

      »Ich werde an eine weidende Gänseherde denken,« sagte sie, »vielleicht daß dieses Bild den Ausdruck meiner Augen verändert.«

      »Sie spotten und haben recht,« entgegnete Keppler finster, indem er die Palette wieder aufnahm. »Die Satanella muß diesen Ausdruck im Auge haben – wie wäre sonst die Rolle denkbar, die sie im Leben spielt?«

      Er beugte sich nach seinem Farbenkasten, und Donna Dolores stieg auf das Empor, um ihre Stellung einzunehmen:

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