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nur ein Wesen, das möglichst viel Kapital aus ihrer Stimme schlägt, und wie der Schuster seinen Pechdraht, allabendlich ihre Gesangspartie abarbeitet? Ich beneide Sie nicht um diese gewonnene Erkenntnis, Baron Falkner, und freue mich, daß ich naiv genug geblieben bin, an die Heiligkeit eines wahren Künstlertums zu glauben.«

      »Chacun à son gout,« erwiderte Falkner leicht, »ich bekenne, daß mir ein so starker Glaube fehlt, wenn ich auch zugestehen will, daß es in früheren Zeiten solche um der Kunst willen wirkende Künstler gegeben hat.«

      »In jedem Fall ist die Grundidee der ›Satanella‹ eine tief durchdachte,« mischte sich der Professor in das Gespräch.

      »Meinem Geschmacke nach zu tief durchdacht für eine so junge Dame, wie diese deutsche Brasilianerin,« unterbrach ihn Falkner nicht ohne Hohn.

      »Nun, nun – einmal hat sie nur die Musik gemacht und nicht die Worte, und dann abstrahiere ich von der Person und zolle gern dem Werke die gebührende Anerkennung,« rief Balthasar lebhafter werdend.

      »Und ich vermag die Person von dem Werke nicht zu trennen, da sie mit demselben durch ihren Individualismus verbunden ist.«

      »O Sie Barbar,« rief Frau Balthasar, lachend zwischen die Herren tretend, deren Dialog sie allzuscharf zugespitzt fand, »wie können Sie so hart sein? Aber wir wollen Ihnen verzeihen, wenn Sie das Zugeständnis machen wollen, daß Señora Falconieros eine ungewöhnlich begabte, hervorragende Frauengestalt ist.«

      Falkner verbeugte sich.

      »Ich gebe das gewiß zu,« sagte er, »aber mir fehlt das Verständnis und der Geschmack für dergleichen ›ungewöhnliche und hervorragende Frauen‹, die in unseren Kreisen, gottlob, nicht üblich sind.«

      Abermals eine Verbeugung, und Falkner verließ den kleinen Kreis.

      »Das sind empörende Ansichten,« brach nun Frau Balthasar los. »Ich begreife nicht, wie ein Mann von der geistigen Bedeutung des Barons so engherzig sein kann.«

      »Liebe Marianne, es mag sehr schwer sein, sich aus den festgeschnürten Wickelkissen gewisser Vorurteile selbst herauszuarbeiten,« entgegnete der Professor kaltblütig. »Auch wir mögen unsere Vorurteile haben, ohne daß wir es wissen, und auch wir mögen bei der Verteidigung der von uns aufgestellten Ansichten aus Eigensinn und angeborener Rechthaberei weiter gehen, als wir vordem beabsichtigten. Überdies kann kein Mensch gegen seine Antipathien.«

      »Die Äußerungen Falkners gegen Dolores deuten auf mehr als auf bloße Antipathie.«

      »Das ist noch kein Grund, weshalb sich die beiden nicht noch einmal fabelhaft lieben sollten,« sagte Balthasar humoristisch.

      »Nonsens.«

      »Was willst du? Wie sagte Julia, als sie sehr rasch die Bekanntschaft ihres Romeo gemacht?

      So große Lieb' aus großem Haß entbrannt!

      Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt.

      O Wunderwerk! ich fühle mich getrieben,

      Den ärgsten Feind aufs Zärtlichste zu lieben.«

      Frau Marianne lachte.

      »Du vergissest nur, lieber Mann, daß weder Baron Falkner das Zeug dazu hat, ein Romeo zu sein, noch Donna Dolores, unsere Satanella, sich in eine schmachtende Julia verwandeln wird.«

      »Weshalb nicht?« meinte Keppler, dem Paare »Gute Nacht« bietend, »die Natur spielt wunderbar, und am Ende hat jede Frau soviel von einer Julia in sich, wie jeder Mann von einem Romeo.«

      Inzwischen hatte Falkner seine Wohnung erreicht, aber er konnte noch keine Ruhe finden. Er trat ans Fenster, öffnete es und ließ die kalte Nachtluft in das Zimmer strömen, denn obwohl der Winter sich seinem Ende zuneigte, und man auf den Straßen schon die ersten Frühlingsboten in Gestalt winziger Veilchen- und Schneeglöckchensträuße verkaufte, so war des Winters Herrschaft doch noch nicht gebrochen, und noch zeigte er manchmal empfindlich seine Macht.

      Falkner war erregt, und daß er's war, ärgerte ihn um der Ursache willen.

      »Um eine Sängerin,« murmelte er verächtlich, und doch konnte er das Bild dieser Sängerin nicht loswerden – es gaukelte ihm vor den Augen und blendete ihn.

      »Ich hasse rote Haare« – sagte er sich, indem seine Phantasie die goldenen Haarmassen der Satanella in jene fuchsige Farbe tauchte, die im Verein mit wässerigen Augen und fleckigem Teint so abstoßend wirkt.

      »Sie werden bei Tageslicht so aussehen,« sagte er sich »und die dunklen Brauen und Wimpern werden die Spuren der Farbe zeigen –«

      Aber die Augen! Nein, die zu färben war ja ein Ding der Unmöglichkeit.

      »Hüte dich vor denen, deren Haarfarbe von der der Augen absticht,« sagte er vor sich hin und mußte gleichzeitig lächeln über die ausgekramte Kinderfrauenweisheit. Und am Ende, was ging ihn die »Brasilianerin« an, die vielleicht in ihrem Privatleben den seltenen Namen Jette Müller oder Gustel Schulze führte. Der Gedanke daran machte ihn lachen.

      »Donna Dolores Falconieros,« sagte er mit pathetischem Spott, »ich werde Ihnen aus dem Wege gehen. Zum Glück habe ich gar nichts mit Ihnen zu schaffen und werde es auch voraussichtlich nicht. Unsere Wege führen sehr weit auseinander.«

      Mit diesem Entschlusse glaubte Alfred von Falkner die Sache erledigt zu haben. Aber da fiel ihm das Lied ein:

      Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit

      Tönt ein Lied mir immerdar –

      Er kannte das Lied, aber wer hatte es gesungen, wann war es gesungen worden und von wem? Er sammelte seine Erinnerungen und dachte an die längstvergangenen Kinderjahre. Wen hatte damals der Falkenhof beherbergt? Er erinnerte sich nur eines prächtigen, grünen Papageien, der ihm den Mittelfinger der rechten Hand durch und durch gebissen hatte, daß man die Narbe heute noch sah. Damals hatte ihn jemand verlacht mit hellem, lustigem Lachen und ihm gesagt: »Es geschieht dir schon recht, denn wer hieß dich, den armen Rio zu reizen!«

      Er hörte plötzlich ganz deutlich die Worte wieder. Ganz recht, Rio war der Name des gelehrten Vogels, der, wie er sich deutlich erinnerte, in drei Sprachen zu schimpfen verstand und dabei maliziös genug aussah. Rio! Nach jenem Biß und dem unbarmherzigen Lachen war er, Alfred Falkner, zu dem Oheim und Lehnsherrn des Falkenhofes gelaufen und hatte sich bitter beklagt, und seine Mutter, die damals noch Witwe seines Vaters war, hatte ihm tröstend den blutenden Finger verbunden und dazu finsteren Angesichts über das »herzlose fremde Ding« gemurrt, das seine Freude habe an den Schmerzen anderer.

      Aber wer war die Gescholtene?

      Der Lehnsherr vom Falkenhofe hatte zwei Brüder, eigenwillige, unbeugsame Naturen, wie sie das Falkengeschlecht nur jemals aufzuweisen hatte. Der jüngere der beiden, Alfreds Vater, hatte sein und seiner Gattin Vermögen während der Dauer, daß er des Königs Rock trug, total verschwendet und starb kurz vor dem drohenden Ruin. Der Freiherr von Falkner nahm nun die Witwe mit dem Knaben zu sich und hielt letzterem einen Gouverneur, der es verstand, seine Stellung derartig zu befestigen und sich unentbehrlich zu machen, daß ihm schließlich die immer noch stattliche Witwe die Hand reichte. Da sie nun auf dem Falkenhofe seit mehreren Jahren die Pflichten einer Hausfrau versah, weil der Lehnsherr unvermählt geblieben war, so wollte der Freiherr die Schwägerin, welche seine Interessen vortrefflich zu wahren verstand, nicht mehr missen und sich von ihr trennen, und so geschah es, daß sie mit ihrem Gatten einen Flügel des Falkenhofes zu dauerndem Aufenthalte bezog.

      Der ältere Bruder des Lehnsherrn war ein unruhiger Kopf gewesen, dessen erinnerte sich Alfred Falkner genau. Aber da er ihm im fünfzehnten Jahre seines Lebens schon aus den Augen geschwunden war, und auch kein Mensch mehr seinen Namen genannt, so wußte er nichts mehr von ihm. Zwanzig Jahre sind eine Zeit, in der man vergessen kann, besonders wenn der Gegenstand des Vergessens totgeschwiegen wird. Je mehr indessen Alfred Falkner der entschwundenen Erinnerung nachsann, desto mehr fand er davon wieder, und nun trat auch die hohe, blonde Erscheinung des Oheims wieder vor sein geistiges Auge. Er erinnerte sich dunkel, daß der seltsamerweise niemals mehr Erwähnte gleich ihm der diplomatischen Carriere angehörte und jahrelang einer Gesandtschaft attachiert

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