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bitter darüber beklagte, daß der Bruder in einer zornigen Aufwallung seinen Dienst quittiert und obendrein noch sein Vermögen beim Fall eines Bankhauses verloren hatte.

      Der Fall eines Bankhauses! Diese Redefigur hatte damals auf Alfred einen tiefen Eindruck gemacht, denn er konnte sich gar nicht vorstellen, »wie ein Bankhaus fallen könnte,« und seine Phantasie spielte seitdem oft dieses Spiel.

      Nun erinnerte er sich ganz deutlich, daß der Oheim mit Kind und Kegel, mit Sack und Pack auf dem Falkenhofe seinen Einzug hielt, dem er von einem Mansardenfenster aus mit atemloser Neugier zugesehen, denn er hatte gehört, daß der Herr des Hauses von einer Mulatten- und Negerwirtschaft gesprochen, die nun die altdeutschen Räume des Falkenhofes entweihen würde.

      Das hatte in seiner jungen, unternehmungslustigen Knabenseele gezündet, und er hatte glühend vor Erregung die Mutter gefragt, ob denn der Oheim ein Fürst aus dem Morgenlande sei, daß er mit Mulatten und Negern komme. Frau von Falkner hatte ihm lachend geantwortet, daß der Onkel höchstens ein Bettlerfürst sei, aber seine Frau, die Tante, wäre wohl eine Mulattin oder etwas ähnliches, jedenfalls eine »Fremde.«

      Und nun kam der Onkel Bettlerfürst an, aber es war nur eine einzige große Negerin mit ihm, vor der sich Alfred natürlich entsetzlich fürchtete wie vor dem leibhaftigen Teufel. Die Tante war jedenfalls nicht schwarz von Angesicht, das war schon ein Trost. Sie brachten auch ein kleines Mädchen mit, hell und licht wie eine Elfe, dem ein prächtiger Papagei, Rio genannt, auf der Schulter saß und den Hausherrn sofort mit einem kräftig schnarrenden ›Filou! Filou!‹ begrüßte, was jedenfalls im Lande der Mulatten eine Höflichkeitsphrase war, wie Alfred damals dachte, und sich sehr wunderte, daß der also Begrüßte blaß wurde vor Zorn und seine bissigsten Redeweisen gleich in der Stunde der Ankunft hervorkramte.

      Damals hatte er jenes helle, seltsame Lachen, dessen er sich so genau zu erinnern wußte, zum erstenmal gehört, er hatte gesehen, wie das kleine Mädchen den vorlauten Vogel gestreichelt hatte, worauf er, ermuntert und angefeuert durch den gespendeten Beifall, seiner ersten Äußerung noch ein lebhaftes »Caracho« folgen ließ.

      Nach dieser wichtigen Begebenheit wurden seine Erinnerungen wieder dunkler. Er entsann sich nur, daß das kleine Mädchen, das damals halb so alt als er selbst sein mochte, sein Spielkamerad wurde und unaufhörlich an seiner Seite blieb, bis jener Biß Rios in seinen Mittelfinger und das Lachen seiner kleinen Cousine der Freundschaft einen unheilbaren Riß beibrachte. Er kümmerte sich nach Knabenart nicht mehr um sie und um die fremden Bewohner des Falkenhofes, von denen er sich nicht besinnen konnte, sie überhaupt viel gesehen zu haben. Nur bisweilen hörte er die helle Stimme der Kleinen durch die Kreuzgänge hallen.

      Mit seinem fünfzehnten Jahre, als sein Präceptor seine Mutter heiratete, kam er auf ein Gymnasium, um dort sein Abiturientenexamen zu machen. Zwei Jahre lang, während deren er den Falkenhof nicht wiedersah, dauerte sein Studium, dann legte er sein Examen ab und trat sofort seine Reise nach der Universität an. Nach den ersten zwei Semestern seines Studentenlebens besuchte er zum erstenmal die Heimat wieder. Er fand dort alles in hastender Thätigkeit vor – die »Fremden« sollten den Falkenhof verlassen. Es war ein entsetzlicher Streit unter den beiden Brüdern ausgebrochen, welcher das Verhältnis sofort trennte – was vorgefallen war, darüber erfuhr er keine Silbe. Man war nicht sehr mitteilsam auf dem Falkenhofe.

      Der Oheim hatte schon einige Tage früher das Haus seines Bruders verlassen, seine Familie folgte ihm jetzt nach, und Alfred entsann sich genau der hoch aufgepackten Wagen, die bei seiner Ankunft vorläufig noch unbespannt vor dem großen Thore ihrer Insassen harrten.

      Als Alfred am nämlichen Abend noch allein durch die Kreuzgänge des inneren Hofes schritt, die Cigarre im Munde, und das Mondlicht beobachtete, wie es durch die doppelten Säulenreihen der mit Epheu und Kletterrosen umsponnenen gotischen Bogen huschte und sich in breiten, fahlgrünlichen, glänzenden Streifen auf die Steinfliesen legte, da hörte er plötzlich eine wunderschöne, wenn auch noch kindlich klingende Stimme ein einfaches Volkslied singen:

      Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit

      Tönt ein Lied mir immerdar –

      Er hatte das Lied hundertmal gehört und wohl auch selbst gesummt, dennoch aber veranlaßte es ihn diesmal, still zu stehen und den süßen Tönen zu lauschen. Der nächste Gedanke galt der Sängerin – wer und wo war sie? Er brauchte nicht lange zu suchen. Die Gebäude umschlossen ein viereckiges Stück Land, auf dem von jeher ein herrlicher Blumenflor grünte und blühte. Inmitten des Gartens befand sich das Bassin eines großen Brunnens, und vier kräftige, krystallhelle Wasserstrahlen schossen aus ebensoviel dräuenden Delphinenköpfen in das graue, steinerne Becken, das außen mit grünen Farnen und Huflattich üppig umsäumt war. Die vier mächtigen Schweife der Delphine vereinigten sich in der Mitte des Brunnens zu einem säulenartigen Gewinde, das sich nach oben vasenförmig öffnete und eine ehemals vergoldet gewesene, mächtige, siebenzackige Freiherrenkrone trug.

      Auf dem Rande des Bassins saß, oder schwebte die Sängerin des ergreifenden Liedes – eine weißgekleidete Mädchengestalt, ein Kind, mit lang herabwallenden Haaren, die im Mondlicht glänzten wie flüssiges, mit Kupfer gemischtes Gold.

      Alfred meinte an jenem Abend eine jener Lichtelfen zu sehen, wie das Märchen sie beschreibt, so duftig und zart wie aus Mondschein gewoben. Er wagte es nicht, sich zu rühren, aus Furcht, die Elfengestalt am Brunnenrand könnte in Nebel zerfließen, wie es die Art und Weise dieser holden Geister ist.

      Und die Schwalbe singt, und die Schwalbe singt

      Im Dorf wie einst –

      verklang das Lied. Die Sängerin aber erhob sich und stand im nächsten Augenblick auf dem Rande des Bassins, einen Kranz von Rosen und dunklem Blattwerk in den Händen – sie hatte ihn während des Liedes gewunden.

      Mit sicheren schnellen Schritten lief sie rings um den schmalen Rand des Bassins herum, als sei sie an solche handbreite Pfade gewöhnt.

      Da tönte eine erschreckte Stimme aus dem im Schatten liegenden Flügel des Falkenhofes hervor:

      »Bei allen Heiligen, Kind, halt ein, du fällst!«

      Und nun lachte die Elfe als Antwort. Ein lustiges, helles Lachen, das einen Anflug von Spott hatte.

      »Laß mich nur machen,« rief sie zurück, »ich habe hier einen schönen Kranz gewunden, meinen Abschiedsgruß dem Falkenhof! Den will ich der Steinkrone da droben überwerfen, damit sie auch einmal etwas spürt von Rosenduft –«

      »Kindereien – komm ins Haus, es ist spät!« tönte die strenge Stimme zurück.

      »Ich komme schon – aber erst den Kranz,« antwortete die Elfe im Mondlicht, »er kann der alten, verwitterten Krone dort nicht schaden, der frische Schmuck, wenn er auch morgen früh schon welk ist. Vielleicht blüht er noch einmal auf!«

      Sie hob den Arm und warf den Kranz, und warf ihn so sicher, daß er richtig über die Krone fiel und ihre sieben, perlengezierten Zacken wie mit Purpur umsäumte.

      »Wie schön,« – rief die Elfe triumphierend, aber in dem nämlichen Moment glitt ihr Fuß auf dem schlüpfrigen Gestein aus – ein Schrei aus dem Dunkel des Hauses, und die weiße Gestalt verschwand in dem hochaufspritzenden Wasser des Bassins.

      Mit einem Sprunge war Alfred in dem Hofe und am Brunnen – sein kräftiger Arm zog die leichte Gestalt des Mädchens aus dem Wasser und setzte sie vorsichtig auf den Boden. Sie war nicht bewußtlos, kaum erschrocken, und ihre Augen, die ihm im Mondlicht seltsam dunkel erschienen, sahen ihn fragend an.

      »Bist du – sind Sie verletzt?« fragte er stockend.

      Da lachte sie schon wieder.

      »O nein,« sagte sie, »der Oheim drinnen hat mir's hundertmal gesagt, ich sei eine herzlose Person – und denen geschieht nichts, wenn sie ins Wasser fallen, sie können nicht untergehen. Nur Menschen, die ein Herz haben, zieht's hinunter in den Grund.«

      »So? Und was klopft denn da bei dir an der Stelle, wo bei anderen Menschen das Herz sitzt?« fragte Alfred amüsiert.

      »Da?« sie legte die Hand auf die Stelle. »O, da liegt bei mir ein hohler Muskel!«

      »Wirklich?

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