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lange ich nicht gegessen habe, denn ich war nicht in meinem Körper und habe keine Augen für den Unterschied zwischen Tag und Nacht. Der Morgen ist für mich grad wie der Abend, und nur wenn von einem mir ganz nahen Gegenstande der Sonnenstrahl in das Auge zurückgebrochen wird, kann ich ihn als Schatten mit verschwommenen Umrissen erkennen. Als ich zum letztenmale aß, wird es am Jom el Guma (Freitag) früh gewesen sein.«

      »Und heute ist Jom el Itnehn (Montag), rief Halef. »Du hast also drei volle Tage nichts genossen!«

      »Ich habe doch noch keinen Hunger. Aber Tabak, Tabak, den gebt mir, wenn ich euch darum bitten darf!«

      Da hatte er auch schon eine alte Pfeife mit kurzem Rohre und ungewöhnlich großem Kopfe aus der Tasche seiner weiten Hosen gezogen und steckte sie in den Mund. Seine Bitte wurde in, ich möchte sagen, inbrünstigem Tone ausgesprochen, und in seinem Gesichte drückte sich dabei eine Sehnsucht, ja fast eine Gier aus, welche die Erfüllung des Wunsches kaum erwarten konnte. Und als dies geschehen war, rauchte, nein, qualmte er mit einem. Eifer, als ob sein Leben daran hänge, die Pfeife so bald wie möglich wieder stopfen zu können. Eine solche Leidenschaftlichkeit hätte ich einem Blinden niemals zugemutet. Sie würde mich wahrscheinlich auf den Gedanken gebracht haben, daß die Blindheit doch und doch erdichtet sei, aber ich hatte nun trotz der Kürze der Zeit die Beobachtung gemacht, daß der Blick dieser schönen Augen leer und seelenlos war und die Wimpern fast unbeweglich blieben.

      »Der arme, blinde Mann!« raunte Hanneh mir mitleidig zu. »Soeben erst vom Tode erstanden, von seinen Freunden verlassen, mitten in der Wüste! Sihdi, was hast du über ihn beschlossen?«

      Ich winkte ihr beruhigend zu und öffnete schon den Mund zum Sprechen, als Halef, welcher meine Absicht erriet, mir schnell die leise Frage vorlegte:

      »Effendi, du willst ihm sagen, wer wir sind?«

      »Ja«, antwortete ich ebenso leise.

      »Erlaube, daß ich dies tue! Ich kenne uns ja ebenso gut, wie du uns kennst!«

      Er setzte sich an die andere Seite des Blinden, zu dessen Linken ich saß, nieder und erklärte ihm:

      »Du wirst jetzt zwei sehr berühmte Männer kennen lernen, höre also mit Aufmerksamkeit, was ich dir sagen werde! Ich bin nämlich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, der oberste Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar. Und der Mann an deiner andern Seite ist der größte Gelehrte des Morgen und des Abendlandes. Er ist eigentlich der Alim el Ulema‘ (Gelehrter aller Gelehrten), denn in seinem Kopfe befinden sich tausend Fächer, und in jedem Fache stecken über hundert vollständige Wissenschaften, die er auf zweihundertsechzig Medahris (Universitäten) studiert und überwunden hat. Er stammt aus dem Lande des äußersten Moghreb, denn er ist im Wadi Draha geboren, woher bekanntlich die klügsten Leute kommen, und sein Name

      »Kutub!« unterbrach ich ihn.

      »Was? Was meinst du?« fragte er mich, in seinem Eifer nicht an die zwischen uns vereinbarte Bedeutung dieses Wortes denkend.

      »Kutub, Kutub!« wiederholte ich.

      »Wahajahti!« rief er aus, sich jetzt besinnend. »Bei meinem Leben, jetzt habe ich mich versprochen gehabt! Ich hätte mich hinterher und dann dich voransetzen sollen!«

      »Das hast du ja schon getan!«

      »Was? Nein!«

      »Doch! Du hast dann mich vorangesetzt, nämlich dann!«

      »Wallahi fasl – das ist eine sonderbare Geschichte, bei Allah! Verzeihe mir, Effendi! Ich werde es sofort besser machen und wieder von vorn anfangen, indem ich zunächst deinen Namen und dann erst den meinigen nenne!«

      »Das ist nun nicht nötig. Nenne zuerst meinen, und dann lässest du deinen weg, weil du ihn schon genannt hast!«

      »Aber er muß doch unbedingt hinterherkommen, sonst beleidigt es dich!«

      »Aber wenn du ihn noch einmal sagst, so hast du den meinigen nur einmal und den deinigen aber zweimal genannt, was doch noch viel beleidigender ist!«

      »Gut, du sollst deinen Willen haben, weil du aus dem äußersten Moghreb stammst und im Wadi Draha das erste Licht der Welt erblickt hast! Also dein hochberühmter Name lautet Hadschi Akir Schatir el Megarrib Ben Hadschi Alim Schadschi er Rani Ibn Hadschi Dajim Maschhur el Azami Ben Hadschi Taki Abu Fadl el Mukarram.«

      Es war wirklich lustig anzuhören, wie schnell und fehlerlos er diese lange Schlange herunterleierte. Und ebensoviel Spaß machte mir dabei der Anblick der fünfzig Haddedihn, welche die zwei Dutzend Worte leise mitsagten und dabei die Lippen wie kauende Kaninchen bewegten. Da der Münedschi ein Beduine war, hatte ich nicht zu befürchten, daß der Name und die vorhergehende Zurechtweisung ihm lächerlich vorkommen würden. Er hatte mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit zugehört und fragte nun:

      »Bist du vielleicht derselbe Scheik Halef Omar der Haddedihn, welcher vor einigen Jahren den Schatz der Schmuggler in den Ruinen des Birs Nimrud im alten Babylon entdeckt hat?«

      »Ja, der bin ich allerdings!« antwortete der kleine Hadschi mit großem Selbstbewußtsein. »Du weißt also von dieser meiner Ruhmestat? Wo hast du denn davon gehört?«

      »In Meschhed Ali, der heiligen Stätte der Schiiten.«

      »Wann?«

      »Jetzt, als wir dort waren.«

      »Du und El Ghani?«

      »Ja!«

      »Aber ihr seid doch nicht Schiiten!«

      »Nein. El Ghani ging als Gesandter des Großscherifs hin und nahm mich mit.«

      »Darf ich fragen, was er dort sollte?«

      »Das weiß ich nicht; er hat es mir nicht gesagt. Es scheint eine religiöse Angelegenheit gewesen zu sein, von welcher nur der Großscherif und sein Bote wissen durften.«

      »Und dort habt ihr von mir gehört?«

      »Ja. Es waren Perser da, welche euer damaliges Erlebnis ganz genau kannten. Die Schmuggler, weiche von euch ergriffen wurden, sind, anstatt Strafe zu bekommen, mit der Anstellung als Zollbeamte begnadigt worden. Darum verkünden sie euern Ruhm, so oft und so weit sie nur können. So haben auch wir davon erfahren.«

      »Du sagst euer, sprichst also nicht von mir allein?«

      »Weil noch jemand bei dir gewesen ist, ein Effendi aus dem Abendlande. Er war ein Christ und hat Emir Kara Ben Nemsi geheißen. Ist das richtig?«

      »Ja. «

      »In welchem Reiche des Abendlandes ist er geboren?«

      »In Dschermanistan.«

      »Das dachte ich mir allerdings, denn Ben Nemsi ist ja dasselbe wie Sohn von Dschermanistan. War er auch wirklich ein Christ?«

      »Der beste, den es geben kann!«

      »Es wird von ihm erzählt, daß er, obgleich er ein Christ ist, den ganzen Kuran auswendig könne. Ist das wahr?«

      »Ja. »

      »Auch sollen ihm alle Auslegungen desselben besser und vollständiger bekannt sein als muhammedanischen Gelehrten. »

      »Auch das ist richtig.«

      »Ich bin ein armer Mann und habe keinen Besitz; aber wenn ich reich wäre, ich würde gern die Hälfte meines Vermögens dafür geben, wenn ich ihn einmal einige Tage bei mir haben und mit ihm sprechen könnte!

      »Warum?«

      »Weil ich die heilige Schrift der Christen so kenne, wie er den Kuran kennt. Es würde mir eine Wonne sein, mit so einem Manne, wie er zu sein scheint, die wirkliche Wahrheit zu ergründen und ihn zu den Lehren des Islam zu bekehren.«

      Als er dies sagte, holte er tief, sehr tief Atem wie einer, dem die Sache, von weicherer spricht, außerordentlich am Herzen liegt und schon viele Sorgen bereitet hat. Schon das war für seinen Kuran glauben kein günstiges Zeichen, Dazu kam, daß er erst mit mir .,die wirkliche Wahrheit zu erforschen wünschte, sich also noch nicht im Besitze derselben wußte. Wenn er trotzdem davon sprach, mich zum Islam bekehren zu wollen, so war das wohl nur eine Redensart und dazu bestimmt,

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