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will ich bemerken, daß der Beduine außerordentlich mäßig lebt und nur bei festlichen Schmausereien von dieser Regel eine Ausnahme macht. Der Fremde, weicher sich denselben Anstrengungen wie der Einheimische unterwerfen will. muß sich auch ganz derselben Mäßigkeit befleißigen, wenn er nicht von Krankheiten schnell dahingerafft sein will. Ich denke da noch heut mit großem Vergnügen eines Zusammentreffens zwischen mir und einem Wüstenreisenden, dessen Werke nicht unbekannt sind. Er erzählte mir mit großer, sichtlicher Befriedigung, daß er in der Wüste stündlich mehrere Glas Wasser getrunken habe. Er reiste mit vierzehn Zelten. Sobald diese aufgeschlagen waren, nahm er ein Frühstück zu sich, weiches aus einer Flasche Wein, Sardinen, kalter Zunge und Biskuit bestand, hierauf aß er zu Mittag eine »Suppe ersten Ranges«; so nannte er sie nämlich. Sie bestand, notabene für ihn ganz allein, aus drei Hühnern und einer ganzen Ochsenschwanz— oder Schildkröten-Konserve. Hierauf folgten Schafs oder Lammbraten, eine Eier oder Reisspeise, Biskuit nebst Wein und Kaffee. Dieser Herr versicherte mir im Tone stolzer Genugtuung, daß er »in der Wüste niemals einen Beduinen besucht habe, ohne Handschuhe anzuziehen! Und das, was er mir erzählte, hat er auch geschrieben und durch den Druck veröffentlicht! Wenn es Europäer gibt, welche in südlichen Ländern in dieser ausgiebigen Weise für das Wohlbefinden ihres Körpers sorgen, so ist es gar kein Wunder, wenn die durch diese Völlerei erzeugten überschüssigen Säfte sich auf dem auch schon nicht mehr ungewöhnlichen Wege des Tropenkollers Luft zu machen suchen! Ich habe stets genau in derselben Weise wie die Eingeborenen gelebt und bin nie der Ansicht gewesen, daß ich mich durch den Genuß von Extraspeisen und Delikatessen vor ihnen auszeichnen müsse. Was sie hatten und aßen, das hatte und aß auch ich, und da ich diesen Grundsatz auch in jeder andern Beziehung verfolgte, so bin ich mit ihnen stets, auch ohne Tropenkoller, sehr gut ausgekommen.

      Als wir den Morgenkaffee zu uns genommen hatten, durften wir an unsern Aufbruch denken; vorher aber hatten wir das zu tun, was zu tun wir uns durch die Malice el Ghanis gezwungen sahen: Wir mußten die Leiche des Münedschi vollends mit Sand bedecken, wenn wir uns nicht einer ganz unverzeihlichen religiösen Unterlassungssünde schuldig machen wollten. Es wurden einige Haddedihn damit beauftragt, denen Halef befahl, es nicht bloß bei dem einfachen Zudecken zu lassen, sondern einen hohen und möglichst festen Grabhügel aufzubauen. damit die Geier dann nicht zu der Leiche könnten. Meiner alten Gewohnheit folgend, mich womöglich um alles selbst mit zu bekümmern, ging ich mit diesen Leuten nach der Stelle, wo die Mekkaner ihren Toten liegengelassen hatten; Halef war auch dabei.

      Der Körper der Leiche war im Sande eingegraben, der Kopf noch nicht, das Gesicht hatte man mit einem Zipfel des Gewandes bedeckt. Ich schlug diesen Zipfel zurück.

      »Allah w‘Allah!« sagte Halef. »Welcher Ausdruck der Ehrwürdigkeit! So wie diesen Mann habe ich mir die Propheten vergangener Jahrhunderte vorgestellt!«

      Er hatte recht; es ging mir grad so wie ihm. Ich hatte wohl noch selten ein so schönes, Ehrfurcht gebietendes Greisenangesicht gesehen, noch jetzt, im Tode, schön!

      »Er hat nicht das Aussehen eines Toten, sondern eines Schlafenden«, fuhr Halef fort, »eines Schlafenden, der von Allahs Himmel träumt. Sieh, wie er selig lächelt!«

      Es ist nach meinen Erfahrungen mit diesem sogenannten »seligen Lächeln« der Verstorbenen eine ganz eigene Sache, denn ich habe es am ausgeprägtesten, am ergreifendsten bei Personen gefunden, deren Ende ein gewaltsames gewesen war. Ich habe in den Zügen im Kampfe Gefallener kurz nach ihrem Tode den sprechendsten Ausdruck des Hasses, des Grimmes, der Angst, d ‚ es physischen Schmerzes gesehen, und dann wahrgenommen, daß dieser Ausdruck sich sehr bald in denjenigen der Milde, der Ruhe, des Friedens verwandelte. Und wiederum sah ich Leute so sanft und kampflos hinüberschlafen, daß ich mir wünschte »so möchte einst auch dein Tod sein!«, und dann nahmen ihre Gesichter nach und nach das Gepräge seelischer Angst oder körperlicher Pein, des Leidens an. Sollten die Affekte oder Stimmungen, welche im Augenblicke des für uns sichtbaren Sterbens vorherrschend sind, nur deshalb keine nachhaltige Wirkung hinterlassen, weil die eigentliche Trennung der Seele von dem Körper erst später, von uns unbemerkbar, erfolgt und der Geist erst dann das, was ihm bei diesem endgültigen Scheiden bewegt. zum Troste oder zur Warnung für die Hinterbliebenen auf das Angesicht schreibt? Diese Frage gehört auch zu denen, welche wir Lebenden wohl aussprechen, aber nicht beantworten können.

      Indem ich die Züge des Münedschi betrachtete, fiel mir die Färbung des Gesichtes auf; sie war blaß und totenähnlich, dabei aber von einem so eigentümlichen Ton, daß ich aufmerksam wurde. Ich legte die Hand an seine Wange und fühlte, daß sie kalt war. Ich entfernte den Sand von den Armen und den Händen; diese letzteren hatten auch die Kälte des Todes. Nach der Trübung der Augen sah ich nicht, da ich ja gehört hatte, daß der Münedschi blind gewesen war. Leichengeruch gab es nicht, doch war die Todesstarre eingetreten, die aber ebenso wie die Kälte und die Veränderung der Hornhaut des Auges kein unzweifelhafter Beweis des wirklich eingetretenen Todes ist. Ich forderte einige Haddedihn, welche bei uns standen, auf, den Mekkaner ganz vom Sande freizumachen.

      »Warum das?« fragte Halef im Tone der Überraschung. »Denkst du etwa, daß er noch lebt, Sihdi?«

      »Das wohl nicht«, antwortete ich, »aber ich habe das Gefühl, als läge auf dem Gesichte noch ein leiser, leiser Lebenshauch, der nicht auf wirklichen Tod, sondern nur auf Ohnmacht schließen läßt.«

      »Nur ohnmächtig? Also scheintot? Effendi, wir haben schon viel, sehr viel erfahren und gar manches erlebt, was kein anderer Mensch erleben wird, aber einen Scheintoten wieder lebendig zu machen, dazu haben wir doch noch keine Gelegenheit gehabt! Was für ein großer Ruhm würde es für uns sein, wenn wir sagen könnten, daß sogar die Macht des Todes nicht vor uns standhalten könne! Hier ist die beste, die allerbeste Gelegenheit dazu, dies zu beweisen! »

      »Nur langsam, nicht wieder so vorschnell, lieber Halef! Ich habe ja noch gar nicht behauptet, daß es sich hier nur um Scheintod handle! Ich täusche mich jedenfalls, hatte es aber doch für meine Pflicht, diesen Mann nicht eher vollends zu begraben, als bis ich mich überzeugt habe, daß der Tod wirklich eingetreten ist.«

      »Wie kannst du zu dieser Überzeugung gelangen?«

      »Indem ich seine Atmung und den Puls untersuche.«

      »Die Atmung? Er holt keinen Atem mehr; das muß ja jeder sehen!«

      »Das Atmen eines Scheintoten geht so leise vor sich, daß es nur bei der größten Aufmerksamkeit zu bemerken ist. Wollen sehen!«

      Die Haddedihn hatten den Sand entfernt und den Körper neben die Grube gelegt. Ich kniete bei ihm nieder, schlug die Kleidung weit von der Brust zurück und hielt die Augen auf den Brustkorb gerichtet. Halef ließ sich zu gleichem Zwecke neben mich nieder. Es versteht sich ganz von selbst, daß alle andern Haddedihn nun auch herbeigekommen waren und in höchster Spannung im Kreise um uns standen. Noch war kaum eine Minute vergangen, so rief Halef:

      »Jetzt, jetzt hat er Atem geholt! Hast du es gesehen, Effendi?«

      Auch mir war es so gewesen, als ob eine ganz leise und sehr flache Bewegung des Thorax stattgefunden hätte; aber selbst als sich das nach einiger Zeit wiederholte, glaubte ich, an der Wahrheit dieser Beobachtung zweifeln zu müssen. Ich ließ mir ein Stück Leder geben, rollte es zum Rohr zusammen und setzte es, die Haddedihn zum tiefsten Schweigen auffordernd, dem Mekkaner auf das Herz. Es verging wohl über eine Minute; da glaubte ich, ein Geräusch gehört zu haben, sagte aber nichts; dann hörte ich es wieder, auch zum dritten, vierten und fünften Male, es waren die Diastolgeräusche, die zweiten kürzeren und helleren Herztöne, welche ich bemerkt hatte; die ersten Herztöne sind zwar stärker und länger, aber dumpfer und an Scheintoten nie zu hören. Jetzt war ich meiner Sache sicher und sagte, indem ich schnell aufsprang:

      »Halef, dein Wunsch ist erfüllt, denn dieser Mann lebt; er ist nur scheintot, und mit Gottes Hilfe wird es uns gelingen, seine Seele zurückzurufen!«

      »Hamdulillah! Wir werden den Tod überwinden und dem Leben befehlen, wieder dahin zurückzukehren, wohin es rechtmäßigerweise gehört! Wir werden es an seine Pflicht erinnern und nicht eher ruhen, als bis es uns Gehorsam geleistet hat! Aber da ich nicht weiß, wie das zu machen ist, so fordere ich dich auf, Effendi, uns zu sagen, wie es geschehen soll!«

      »Das wird durch den Itnaffas

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