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antwortete ich.

      »Hat sie ihn stets gehabt?«

      »Sie hatte diesen Glauben schon, als ich sie kennen lernte; er lag in der Tiefe ihres Gemütes aufbewahrt.«

      »Und da brachtest du den Sonnenschein, der ihn hervorrief an das Tageslicht? Du hast ihn gepflegt mit liebevoller Hand und nun deine Freude daran, wie an einem Baume, an dessen Früchten man sich doppelt erquickt, weil man ihn mit eigener Hand emporgezogen hat. Sihdi, wie gern, wie so gern möchte ich deine Emmeh kennen lernen! Ich würde ihr zuliebe alles tun, ich wäre sogar bereit, mich mit ihr, wenn sie es wollte, in einen Wagen eurer Eisenbahn zu setzen, um mit ihr so weit zu fahren, wie es ihr beliebt!«

      »Ich aber mit!« bemerkte Halef schnell. »Frauen bedürfen stets der Unterstützung und des Schutzes, und das freundliche Lächeln, welches sie dann dafür geben, ist dem eigenen mehr als einem fremden Manne zu gönnen!«

      »Lächeln?« fragte sie. »Ein freundliches Lächeln? Was meinst du damit, lieber Halef? Wer lächelt da?«

      »Ihr!«

      »Wir? Also auch ich?«

      »Ja.«

      »Warum?«

      »Weit der – — – der Schutz – — – der Schutz, den sie bedürfen, stotterte er verlegen. Dann wendete er sich rasch und in resolutem Tone an mich: .Sag du es ihr, Effendi! Ich habe mich verritten, und du verstehst dich auf eure Eisenbahnen doch besser als ich, der ich ja noch gar keine gesehen habe! »

      Das Gesicht der lieblichsten unter allen Lieblichkeiten hatte einen ernsten, ja strengen Ausdruck angenommen. Nun sah sie mich erwartungsvoll an. Darum erklärte ich ihr, die von dem Lächeln ja gar nichts hatte erfahren sollen, an seiner Stelle:

      »Ich habe mit Halef von unsern Eisenbahnen gesprochen, auf denen auch unsere Frauen und Töchter fahren dürfen. Ihnen gefällt es in diesen Wagen so sehr, daß sie vor Vergnügen freundlich zu lächeln pflegen.«

      »Und das gefällt ihm wohl nicht?« fragte sie. »Warum soll eine Frau nicht lächeln dürfen, wenn ihr etwas Vergnügen macht? Ich würde auch lächeln, unbedingt lächeln! Hast du vielleicht etwas dagegen, Halef?«

      »Nein, gar nichts!«antwortete er, sehr erfreut darüber, daß es mir gelungen war, dieser »lächelnden« Angelegenheit eine unverfängliche Wendung zu geben. »Ich würde im Gegenteile sehr glücklich sein, die Strahlen deines Lächelns auf meinem Angesicht zu fühlen, das weißt du doch! Doch seht, ob ich mich irre! Der vorn Tode Errettete scheint sich zu bewegen!«

      Er hatte recht, und das Erwachen des Mekkaners kam seinem Wunsche, den jetzigen Gesprächsgegenstand fallen zu lassen, sehr gelegen.

      »Wasser!« klang es wieder wie vorhin leise von den Lippen El Münedschi‘s, welcher sich mit dem Oberkörper aufzurichten versuchte, wobei ihn zwei Haddedihn schnell unterstützten.

      Es wurde ihm gegeben, und er trank diesesmal mit vollen Zügen. Dann saß er da, ließ seine herrlichen Augen im Kreise gehen, holte tief, tief Atem und sagte dann langsam und wie geistesabwesend, indem er die Hände faltete. ,.Die Menschen schlafen; wenn sie aber sterben, dann wachen sie auf!«

      Dann schloß er die Augen und legte sich wieder nieder, wozu er keiner Unterstützung bedurfte. Seine Stimme hatte tief, aber doch sonor geklungen, wie von einer innern Resonanz verstärkt. Die von ihm gesprochenen Worte mögen einem Nichtkenner des Arabischen banal erscheinen; auf mich aber machten sie einen ungewöhnlichen Eindruck, und daß dieselbe Wirkung auch auf die Haddedihn stattfand, belehrte mich ein leises, andächtiges »Amin!« (Amen), weiches die meisten von ihnen, darunter auch Halef, dazu sagten. Diese Worte waren einer der berühmten »Hundert Sprüche« Alis, des Kalifen. Warum der soeben vom Tode Erstandene sie ausgesprochen hatte, ob aus Überlegung oder infolge eines momentanen, innern Antriebes, das wußte ich nicht; aber sie paßten so genau zu der gegenwärtigen Situation und den durch sie hervorgerufenen Gefühlen, daß ich von ihnen nicht nur oberflächlich ergriffen wurde, zumal die Art und Weise, in der sie erklangen, eine so ungewöhnliche war.

      Wir standen stumm im Kreise um den Münedschi und warteten, was e nun tun werde. Er lag einige Zeit bewegungslos, langsam und regelmäßig Atem holend. Dann richtete er sich wieder, ohne der Hilfe zu bedürfen, in sitzende Stellung auf, behielt aber die Augen noch geschlossen und sage, mit der Hand neben sich deutend:

      »Setz dich zu mir!«

      Wir wußten nicht, wen er meinte, aber es schien nicht nur mir, sondern auch allen andern ganz selbstverständlich zu sein, daß ich es war, der dieser Aufforderung folgte.

      »Hast du genau gehört, was ich vorhin sagte?« fragte er jetzt.

      »Ja«, antwortete ich.

      »Kennst du die Worte?«

      »Es war der zweite von den hundert Sprüchen des Kalifen Ali Ben Abi Taleb.«

      Er neigte den Kopf leicht nach meiner Seite, als ob er, nachdem ich schon gesprochen hatte, noch auf den Ton meiner Stimme lauschte. Dann sagte er, die Augen immer noch geschlossen:

      »Der zweite? Das sagst du? Es stimmt! Ich weiß, daß du mehrere dieser Sprüche kennst, aber nicht ihre Reihenfolge. Wie kommt es, daß du jetzt so genau die Nummer Zwei angibst? Das wundert mich. Auch klingt deine Stimme anders als bisher. Die Erklärungen dieses Spruches aber kennst du nicht?«

      »Ich kenne sie.«

      Er neigte den Kopf noch weiter herzu mir und sein Gesicht nahm während der folgenden Fragen und Antworten den Ausdruck immer größer werdenden Erstaunens an.

      »Alle beide?«

      »Die arabische und die persische.

      »Wer hat sie gegeben?«

      »Der persische Dichter Reschid ed Din Abd el Dschelil, welcher den Beinamen Watwat bekommen hat.«

      »Wie? Du kennst ihn so ausführlich!«

      »Er lebte an den Höfen dreier Herrscher und starb im Jahre 578 (1182 n. Chr.) der Hedschra (Juni 622 n. Chr.).

      »Maschalfah! Wie lautet die arabische Erklärung dieses zweiten Spruches des vierten der Kalifen?«

      »So lange die Menschen in dieser Welt leben, sind sie ohne Sorge. Sie scheinen in einem so tiefen Schlummer zu liegen, daß sie darüber die Wonnen des Paradieses und die Flammenpein der Hölle vergessen. Aber wenn sie sterben, dann wachen sie auf von diesem Schlummer der Sorglosigkeit und bereuen ihre Saumseligkeit im Dienste dessen, der sie geschaffen hat, und machen sich selbst Vorwürfe über ihre Nachlässigkeit im Danke gegen den, der ihnen alles gespendet hat, aber erst dann, wenn die Reue zu spät kommt und die Selbstvorwürfe nutzlos sind!«

      »Und die persische Erklärung?«

      »Die Menschen sind während ihres Aufenthaltes auf dieser Erde unbekümmert uni die Angelegenheiten der andern Weit. Erst wenn sie sterben, erwachen sie aus dem Schlafe der Gleichgültigkeit, dann erkennen sie, daß sie den Wert des Lebens nicht beachtet haben und nicht den rechten Weg gegangen sind, und bereuen ihre schlimmen Reden und verwerflichen Taten; aber dann hilft und nützt ihnen dies nichts mehr!

      Jetzt war seine ganze Körperhaltung und jeder Zug seines Gesichtes zum sprechendsten Ausdrucke aufmerksamen Lauschens geworden. Er wartete eine Weile und fragte dann:

      »Bist du El Ghani, mein Wohltäter, von dem ich dachte, daß er jetzt bei mir säße?«

      »Nein.«

      »So sag, o sag, ob du mit diesen beiden Erklärungen einverstanden bist!«

      »Sie haben meinen Beifall nicht, denn sie sind zu oberflächlich. Den tiefen Sinn des Spruches lassen sie unberührt liegen. »

      »Und welches ist dieser Sinn?«

      »Die Menschen schlafen; wenn sie aber sterben, dann wachen sie auf. Das heißt: Die Menschen leben wie Schlafende, mit geschlossenen Augen, sie sehen nicht die Beweise eines ewigen Lebens, und wenn sie die Stimmen Allahs und seiner Boten hören, so glauben sie, zu träumen, und folgen ihnen nicht. Aber dann, wenn der Tod sie aus diesem Schlafe rüttelt und sie die Augen öffnen müssen, dann sehen sie sich unvorbereitet

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