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Am Jenseits. Karl May
Читать онлайн.Название Am Jenseits
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Dir das zu erklären, habe ich jetzt keine Zeit. Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, wenn wir mit unserer Hilfe nicht zu spät kommen wollen.«
»Aber ich darf mithelfen?«
»Ja. Ich werde dir zeigen, was du zu tun hast.«
Der Oberkörper des Mekkaners wurde ganz entkleidet und, etwas erhöht, auf den Rücken gelegt. Ich zog seine Arme in regelmäßigen Intervallen vom Brustkorbe ab, langsam nach oben über den Kopf und drückte sie ihm dann wieder an den Körper. Halef mußte in den gleichen Intervallen ihm den Unterleib nach oben drücken, wodurch eine regelmäßige Erweiterung und Verengerung des Brustkorbes entstand, durch weiche die Lunge gezwungen wurde, abwechselnd Luft aufzunehmen und wieder abzugeben. Natürlich hatte ich ihm vorher die Zunge so weit vorgezogen, daß ein Haddedihn sie fassen und festhalten konnte, weil durch sie sonst der Atmungsweg verschlossen worden wäre. Während wir in dieser Weise beschäftigt waren, wurde der Körper des Münedschi, auch an den Beinen, von noch zwei Haddedihn unausgesetzt sehr stark frottiert.
Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß der kleine, gesprächige Hadschi sich während dieser Arbeit fortwährend in Bemerkungen erging, die nicht zur Sache gehörten, von mir aber nicht zurückgewiesen wurden, weil dies auf seinen Eifer abkühlend gewirkt hätte. Dieser mußte im Gegenteile erhalten werden,. denn unsere Bemühungen schienen lange Zeit ohne allen Erfolg zu sein.
Es war wohl schon eine Stunde vergangen, und ich wurde von der einförmigen Bewegung müde. Eben wollte ich mich für einige Zeit ablösen lassen, als ich bemerkte, daß der Scheintote Farbe bekam; da war nun freilich von Ermüdung keine Rede mehr. Schon nach kurzem holte er selbständig Atem und öffnete die Augen. Was für prachtvolle Augensterne das waren!
Ich habe viele, viele Reimereien gelesen und gehört, in denen von herrlichen blauen oder gar himmelblauen Augen die Rede ist, aber noch nie ein himmelblaues Augenpaar gesehen. Ich behaupte darum, daß es gar kein rein blaues Auge gibt. Hat es aber jemals wirkliche, herrliche, himmelblaue Augen gegeben, so sind es die des Münedschi gewesen, welche sich jetzt so weit öffneten und mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke groß und voll auf den Hadschi richteten. Das war ein mir völlig unbekannter Glanz, ein Blick, der nicht dieser Weit anzugehören, sondern aus dem Jenseits zu kommen schien.
»Sihdi, er ist wach! Er atmet und schaut mich an!« rief Halef überglücklich.
»Durst!« hauchte der Kranke.
Es wurde Wasser gebracht; wir setzten ihn aufrecht und flößten es ihm langsam und vorsichtig ein, fast nur tropfenweise. Durch diese langsamen und regelmäßigen Schlingbewegungen wurde sein noch schwaches Atmen unterstützt. Es besserte sich.
»Danke!« sagte er, als der ärgste Durst gelöscht zu sein schien. Dann sank er um, schloß die Augen wieder und schlief ein, wodurch aber das Atemholen nicht gestört wurde. Die Züge wurden im Gegenteile immer kräftiger und tiefer.
»Hast du seine Augen gesehen, Sihdi?« fragte mich Halef.
»Ja«, nickte ich.
»Und dich über sie gewundert?«
»Nein. Diese Augenfarbe hat nicht bloß der Norden. Ich habe sie sogar im Süden der Sahara an ganz dunkel gefärbten Leuten bemerkt.«
»Das ist es nicht, was ich meine. Ei Ghani hat doch behauptet, daß El Münedschi blind sei; das halte ich aber, seit ich diese Augen gesehen habe, für eine große Lüge!«
»Auch ich neige mich dieser Ansicht zu, doch ist es nicht unmöglich, daß wir uns täuschen. Warten wir es ab!«
»Aber was tun wir nun? Wir müssen doch aufbrechen, und er schläft!«
»Wir dürfen ihn jetzt nicht stören, werden also bleiben, bis er erwacht.«
»Und dann?«
»Dann werden wir ja mit ihm sprechen und also erfahren, was er zu tun beschließen wird.«
»Gut, warten wir also! Es zwingt uns ja nichts zur Eile, und so können wir, während er im Schlafe neue Kräfte sammelt, uns über die Kijahma (Auferstehung) freuen, durch welche wir seine schon abgeschiedene Seele aus dem Lande des Todes zurückgerufen haben. Hast du schon einmal von einer solchen Kijahma gehört, Sihdi?«
»Ja. Ich habe sogar eine Auferstandene sehr gut gekannt und außerordentlich lieb gehabt; ich liebe sie noch heut, obwohl sie nun nicht mehr zu den Irdischen gehört.«
»Wer ist das gewesen?«
»Meine Großmutter, die Mutter meines Vaters, weiche der irdische Engel meiner Kindheit gewesen ist und jetzt nun sicher bei den Engeln weilt. Sie war, grad wie auch meine Mutter, so reich an Liebe, daß ich noch heute von und in diesem Reichtume lebe; es ist das der größte Reichtum, den es gibt, mein lieber Halef. Die Verletzung eines Nervs war schuld, daß sie in Starrkrampf fiel und für tot gehalten wurde. Man bettete sie in den Sarg, und erst ganz kurz vor dem Begräbnisse, als die Leidtragenden den letzten Abschied von ihr genommen hatten, wurde entdeckt, daß sie noch lebte.«
»Durch einen Zufall?«
»Halef, du weißt, daß es für mich keinen Zufall gibt. Wenn die allmächtige Weisheit Gottes Ursachen und Wirkungen miteinander verknüpft, deren Verbindung das schwache Auge des Menschen nicht zu erkennen vermag, so wird zur Erklärung das mir so unsympathische Wort Zufall hervorgesucht. Es ist das eine Kantara el humar (Eselsbrücke), über welche sogar sonst ganz kluge Leute reiten.«
»Lebtest du damals schon, als deine Großmutter scheintot war?«
»Nein. Sie ist zu jener Zeit noch jung gewesen, hat aber bis in ihr sehr hohes Alter oft von der entsetzlichen Angst gesprochen, weiche ihr durch den Gedanken, lebendig begraben zu werden, verursacht worden war.«
»Hat sie denn diese Angst empfunden? Ich habe nämlich gehört, daß der Scheintote gar nichts von sich weiß, weil seine Seele den Körper verlassen hat und außerhalb desselben wandelt.«
»Die Gelehrten behaupten allerdings, daß beim wirklichen Scheintode das Bewußtsein und die Empfänglichkeit der Sinne vollständig erloschen seien. Das ist bei meiner Großmutter zwei Tage lang der Fall gewesen; als dann am dritten Tage ihr die Besinnung zurückkehrte, hat sie sich im Sarge liegend gefunden. Doch hat sie das nur aus den Reden der um sie Stehenden schließen, nicht aber sehen oder fühlen können, weil es ihr unmöglich gewesen ist, die Augen zu öffnen oder überhaupt mit irgendeinem Gliede die geringste Bewegung zu machen. Sie fand später keine Worte, die entsetzliche Angst, die Verzweiflung zu beschreiben, mit weicher sie sich angestrengt hatte, ein Lebenszeichen zu geben; aber ihr Wille, die ganze Summe ihrer geistigen Energie, war ohne Einfluß auf den Körper gewesen. Da hatte sie eingesehen, daß ihre einzige Rettung nur noch im Gebete liege. Sie war eine gottesgläubige, sehr fromme Frau, und du kannst dir denken, daß sie nie so inbrünstig gebetet hat wie damals vor der dunklen Pforte des Grabes, in weiches sie bei vollem Bewußtsein gebettet werden sollte. Unsere heilige Schrift sagt: Das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist.‘ An diesem Ernste hat es bei Großmutter wohl nicht gefehlt, und so sind diese Bibelworte auch an ihr zur Wahrheit geworden. Als ein Kind zum Abschiede ihre Hand faßte, hat sie endlich, endlich die Finger bewegen und den Druck erwidern können. Das Kind hat vor Schreck laut aufgeschrieen und zitternd und stammelnd die Mitteilung gemacht, daß die Tote noch nicht ganz gestorben, sondern in der Hand noch lebendig sei‘, worauf man sich von der Wahrheit dieser Behauptung überzeugte und nach dem Arzte schickte, unter dessen Behandlung die Kranke dann langsam wiederhergestellt wurde.«
Hanneh hatte vorhin ihr Zeit verlassen und sich uns auch zugesellt. Sie verfolgte das, was ich erzählte, mit großer Aufmerksamkeit und fiel jetzt mit der Frage ein:
»Du bist der Ansicht, Sihdi, daß die Seele der Mutter deines Vaters damals ihren Körper verlassen habe?
»Ja«, antwortete ich. »Das ist mir von großer Wichtigkeit! Aus dem, was du erzähltest, folgt, daß deine Großmutter eine Seele gehabt hat?«
»Allerdings.«
»Glaubst du, daß sie die einzige Frau auf Erden war, welcher Allah eine Seele gab?«
»Nein, denn jedes Weib erhielt dies Gottesgeschenk.«
»Und