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Handbuch des Strafrechts. Jörg Eisele
Читать онлайн.Название Handbuch des Strafrechts
Год выпуска 0
isbn 9783811449664
Автор произведения Jörg Eisele
Издательство Bookwire
D.Suizidbeihilfe33 – 47
I.Prinzipielle Straflosigkeit der Suizidbeihilfe33 – 36
II.Strafbarkeit der geschäftsmässigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB)37 – 47
2.Objektiver Tatbestand38 – 43
4.Strafausschliessungsgrund des Abs. 245, 46
E.Vergleich der Sterbehilfe in Deutschland und der Schweiz48 – 57
I.Verfassungsrechtliche Erwägung48 – 50
II.Sterbehilfe51 – 55
1.Indirekte aktive Sterbehilfe51
2.Direkte aktive Sterbehilfe52
3.Passive Sterbehilfe53 – 55
III.Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord56, 57
1. Abschnitt: Schutz von Leib und Leben › § 2 Sterbehilfe › A. Verfassungs- und konventionalrechtliche Grundlagen der Sterbehilfe
I. Recht auf Leben
1
Das in Art. 2 Abs. 2 GG garantierte personale Freiheitsrecht der körperlichen Integrität (Leben und körperliche Unversehrtheit) ist von fundamentaler Bedeutung, da das Leben eine Voraussetzung für die Ausübung aller Freiheitsrechte darstellt.[2] Die staatliche Schutzpflicht für das menschliche Leben gilt jedoch nicht absolut und unbeschränkt; als positives Tätigkeitsrecht hängt sie von den jeweils bestehenden Umständen ab, wodurch dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum, abgesteckt durch die Grenzen des Untermassverbotes, eingeräumt wird.[3] Dadurch kann den Besonderheiten der Sterbehilfe Rechnung getragen und ein dem Lebensschutz entgegenstehendes Autonomieinteresse berücksichtigt werden.[4] Um eine Kollision zwischen Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) und Eingriffsermächtigung (Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG) zu vermeiden, lässt sich Art. 19 Abs. 2 GG in Bezug auf das Leben nur in einem generellen, institutionellen Sinne verstehen.[5] Dadurch bleibt Raum für eine Abwägung der im Einzelfall konkret bestehenden Interessen, insbesondere zwischen Lebensgarantie, Menschenwürde und Selbstbestimmung.[6] Ein Recht auf die Beendigung des eigenen Lebens kann aus dem Recht auf Leben jedoch nicht abgeleitet werden; so ist ein Recht auf Selbsttötung jedenfalls von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht umfasst.[7] Diese Entscheidung ist vielmehr Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG.[8] Zwar besteht aufgrund von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine Schutzbefugnis des Staates, die Freiheit des Betroffenen aus gewichtigen Gründen einzuschränken, jedoch kommt der Entscheidungsfreiheit des Betroffenen grosses Gewicht zu.[9] Der objektive Wertgehalt des „Rechts auf Leben“ darf nicht gegen die Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers ausgespielt werden.[10]
2
Art. 2 EMRK schützt, wie auch Art. 6 UNO-Pakt II, ebenfalls das Recht auf Leben; aus Art. 2 EMRK kann kein Recht zu sterben und ebenso wenig ein Recht auf Selbstbestimmung im Sinne eines Rechts auf Entscheidung für den Tod anstelle des Lebens abgeleitet werden.[11] Der Staat muss somit gemäss Urteil Pretty vs. United Kingdom die aktive Sterbehilfe nicht zulassen – (ausdrücklich) offen gelassen wurde die Frage, ob er sie zulassen darf.[12] Bei der Auslegung von Art. 2 EMRK sollte der durch die Rechtsprechung des EGMR herausgebildete konventionsrechtliche Menschenwürdeansatz[13] miteinbezogen werden – dies in dem Sinne, dass sich der Ausdruck „deprivation of life“ im Hinblick auf bestimmte Fälle systematisch und teleologisch reduzieren lässt.[14] Bei der passiven Sterbehilfe hingegen liegt keine gezielte Lebensbeendigung vor, sondern lediglich die Nichtaufnahme lebenserhaltender Massnahmen durch einen Dritten, weshalb durch die Möglichkeit des Behandlungsverzichts keine staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 EMRK verletzt wird.[15] Auch der Abbruch lebenserhaltender Massnahmen wird durch die h.L. hier eingeordnet, obwohl dies strittig ist.
II. Menschenwürde
3
Verfassungswidrig sind Eingriffe in Leben oder körperliche Unversehrtheit, wenn sie die von Art. 1 GG geschützte Menschenwürde verletzen; nicht jede Tötungshandlung berührt oder verletzt aber die Menschenwürde, sondern vielmehr kann sich ein Verstoss nur aus den konkreten Umständen der Eingriffshandlung ergeben.[16] Damit stellt etwa die Beendigung des eigenen Lebens in Form einer Selbsttötung aufgrund eines selbstverantwortlichen freien Willensentschlusses keinen Verstoss gegen die Menschenwürde dar, sondern findet vielmehr in ihr eine Grundlage.[17] Die Menschenwürde umfasst auch das Recht, am Lebensende über die Einleitung oder Fortsetzung lebensverlängernder Massnahmen zu entscheiden.[18] Dasselbe gilt für die Verabreichung schmerzlindernder Medikamente an einen Todkranken oder Sterbenden, deren unvermeidliche, aber auch unbeabsichtigte Folge ein früherer Todeseintritt ist (sog. indirekte Sterbehilfe).[19] Da die Menschenwürde dann verletzt ist, „wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem blossen Mittel, zur vertretbaren Grösse herabgewürdigt wird“[20], ist nicht erstaunlich, dass gerade die Menschenwürde als Argument für eine Entkriminalisierung der Sterbehilfe angeführt wird, da gerade durch die Respektierung des Sterbewunsches und damit der Selbstbestimmung das Individuum nicht als beliebiges Objekt behandelt wird.[21]
4
In der EMRK findet sich der Begriff der Menschenwürde nicht, wobei das Folterverbot gemäss Art. 3 EMRK, das Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit gemäss Art. 4 Abs. 1 EMRK sowie das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK als Konkretisierung des Menschenwürdesatzes verstanden werden.[22] Auf der Basis dieser Normen wurde mit der Rechtsprechung des EGMR ein konventionsrechtlicher Menschenwürdeansatz herausgebildet und mit der Entscheidung Pretty vs. United Kingdom nochmals präzisiert: Art. 3 EMRK verbietet Handlungen, welche es an „Achtung für die Menschenwürde fehlen“ lassen.[23] Wenn sich die Schmerzen und Qualen einer sterbenden Person nicht auf eine „Behandlung“ i.S.v. Art. 3 EMRK zurückführen