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hat eine Person mit Spinnenphobie noch keinen schmerzhaften Spinnenbiss erlitten, wodurch sie lernte, die Spinne mit Gefahr zu assoziieren. Auch Personen mit Höhenangst sind im Normalfall noch nie aus großer Höhe gestürzt, so dass sie Höhe mit Gefahr assoziieren. Die Paarung des konditionierten Reizes mit einer Angstreaktion findet also möglicherweise nur in der Vorstellung statt. Diese ist eine aktuelle Fragestellung, zu der gerade viel geforscht wird.

      Literaturtipp | Hier ein aktuelles Review, in dem der aktuelle Forschungsstand zusammengefasst wird: Mertens, G., Krypotos, A.-M. & Engelhard, I. M. (2020). A review on mental imagery in fear conditioning research 100 years since the ‘Little Albert’ study. Behaviour Research and Therapy, 126, 103556.

      Was ist operantes Konditionieren?

      Eine zweite Form des Lernens ist die operante KonditionierungKonditionierungoperante. Hier geht es darum, dass Verhalten häufiger auftritt, wenn es positive Konsequenzen hat und seltener, wenn es negative Konsequenzen hat. Wenn das Daumenlutschen für den kleinen AlbertAlbert eine beruhigende Wirkung hat, ist das eine positive Konsequenz und er wird es deshalb häufiger machen. Operantes Konditionieren wird auch „Lernen am Erfolg“ genannt. Im Gegensatz zum klassischen Konditionieren, wo es um die Kopplung zweier Reize geht, steht hier das Verhalten in bestimmten Situationen im Vordergrund. Dabei wird die Auftretenswahrscheinlichkeit von Verhalten maßgeblich von den Konsequenzen dieses Verhaltens beeinflusst. Durch Belohnung wird eine bestimmte Verhaltensweise häufiger, durch Bestrafung seltener. Um diese Theorie zu belegen, wurden viele Tierexperimente gemacht. Beispielsweise mussten sich Katzen aus Käfigen befreien, indem sie herausfanden, was sie dafür tun mussten. Die Belohnung war in dem Fall Freiheit und Futter außerhalb des Käfigs. Die Katzen brauchten zuerst lange, bis sie den Käfig öffnen konnten, lernten aber schnell und führten bei erneuten Versuchen gleich die richtige Verhaltensweise aus, die den Käfig öffnete. Diese Experimente machte Edvard Lee ThorndikeThorndike, Edvard Lee an der Columbia University und verfasste 1898 das „Gesetz der Wirkung“ (englisch: law of effect). Dieses Gesetz beschreibt, dass eine bestimmte Situation, also beispielsweise die Katze im Käfig, stärker mit einem Verhalten gekoppelt ist, das mit einer positiven Konsequenz verbunden ist, also mit dem Öffnen des Käfigs. Dieses Verhalten wird dann häufiger. Eine positive Konsequenz kann dabei sowohl eine Belohnung sein, zum Beispiel in Form von Futter, aber auch das Ausbleiben einer Bestrafung, zum Beispiel in Form eines erschreckenden Reizes. Die Belohnung heißt → positive VerstärkungVerstärkungpositive, das Ausbleiben der Bestrafung heißt → negative VerstärkungVerstärkungnegative. Beides erhöht die Auftretenswahrscheinlichkeit des damit assoziierten Verhaltens. Die hier vorgestellten Arbeiten zum klassischen und operanten Konditionieren begründeten eine Strömung der Psychologie, die man BehaviorismusBehaviorismus nennt. Wie der Name schon andeutet, geht es darum, das Verhalten der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht also weniger darum, was in der Psyche der Menschen passiert als darum, was das Resultat daraus ist. Angsttheorien des Behaviorismus gehen davon aus, dass Angst durch eine Kombination von klassischem und operantem Konditionieren entsteht. Dabei erklärt die operante Konditionierung vor allem das typische Vermeidungsverhalten bei → Angststörungen. Durch das Vermeiden der angstauslösenden Situation oder des angstauslösenden Reizes wird die negative Konsequenz der akuten Angstgefühle vermieden und verstärkt dadurch das Vermeidungsverhalten.

      Kann Angst auch durch Vorstellungen entstehen?

      Wer etwas lernt, muss etwas bereits erlebt haben. Oder reicht bereits die Vorstellung des Erlebens aus? Der kleine AlbertAlbert erlebte gleichzeitig die weiße Ratte und das ohrenbetäubende Geräusch. Was aber, wenn sich der kleine Albert das Geräusch nur vorgestellt hätte? Das von Watson und Rayner propagierte Erklärungsmodell ist einleuchtend. Die Angst wird gelernt durch Paarung eines zuvor neutralen Gegenstands oder einer zuvor neutralen Situation mit einem angsteinflößenden Reiz wie einem lauten Geräusch. Nur: viele Ängste haben keine erlebte Erfahrung als Grundlage, die ja der Ausgangspunkt des Lernens nach diesem Erklärungsmodell ist. Menschen mit Spinnenphobie wurden weder von einer Spinne gebissen noch muss die Begegnung mit einer Spinne mit einem lauten Geräusch oder sonst einem angsteinflößenden Reiz gepaart worden sein. Dennoch haben sie Angst vor der Spinne entwickelt. Wie kann das sein? Dazu haben Forscher an der Universität Marburg ein spannendes Experiment durchgeführt (Müller, Sperl & Panitz, 2019). Dabei wurden nicht wie sonst üblich echte Schmerzreize verwendet, um Furchtreaktionen auf einen neutralen Reiz zu erzeugen, sondern nur vorgestellte Schmerzreize. Die Proband:innen wurden aufgefordert, sich vorzustellen, wie es sich anfühlt, mit der Ferse mit voller Wucht auf einen Reißnagel zu treten. Autsch! An diesen Schmerz sollten sie immer denken, wenn ein bestimmtes geometrisches Symbol auf dem Bildschirm gezeigt wurde. Dieses Symbol erschien dann zusammen mit einem neutral blickenden Gesicht, das auf diese Weise mit dem angsteinflößenden Reiz gepaart wurde. Danach reagierten die Proband:innen allein auf das neutrale Gesicht schon mit einer körperlich messbaren Angstreaktion. Die Proband:innen lernten also nur aufgrund des vorgestellten Schmerzes eines Reißnagels in der Ferse, vor bestimmten neutralen Gesichtern Angst zu haben!

      Der etwas größere Albert könnte also auch Angst vor der weißen Ratte lernen, indem er sie sich als sehr gefährlich vorstellt, wie in der Illustration veranschaulicht. Dazu ist dann keine klassische Konditionierung notwendig, die den Anblick der weißen Ratte mit einem lauten Geräusch paart.

      Abbildung 2 |

      Der etwas ältere Albert stellt sich vor, dass die weiße Ratte sehr gefährlich ist. Allein die Vorstellung kann schon zu Angst führen.

      Geht das auch in die andere Richtung? Kann man Angst durch positive Vorstellungen wieder verlernen? Genau das wird in sogenannten vorstellungsbasierten TherapieverfahrenTherapieverfahren, vorstellungsbasiertes gemacht und es funktioniert erstaunlich gut! Beispielsweise bei der sozialen → Phobie, bei der die Betroffenen Angst vor sozialer Zurückweisung haben. Dort spielt die Interpretation von sozialen Situationen eine zentrale Rolle. Geht eine Person mit sozialer Phobie in ein Café, in dem sich zwei Leute unterhalten und plötzlich in dem Moment anfangen zu lachen, wenn die Person an ihrem Tisch vorbeigeht, wird sie möglicherweise denken: „Die lachen bestimmt über mich! Ich habe mich bestimmt ungeschickt verhalten oder sehe seltsam aus!“ Die sozial ängstliche Person kann dann in ihrer Vorstellung oder mit Hilfe von virtueller Realität die zuvor beängstigende Situation noch einmal erleben. Diesmal aber mit der Vorstellung, dass sich die beiden Lachenden am Tisch einfach sehr gut verstehen und sich über etwas amüsieren, das die eine Person gerade erzählt hat. So lernt dann die betroffene Person, dass die Situation gar nicht bedrohlich ist und im besten Fall überträgt sie diese Erfahrung dann auf zukünftige Erlebnisse. Ziel ist, die spontane Interpretation der Situation zu verändern. Das erfordert viel Übung und oft große Überwindung, da die Betroffenen die beängstigenden Situationen normalerweise vermeiden. Dabei ist es eine sehr effektive Methode, sich Ängsten auszusetzen, um sie zu überwinden.

      Linktipp | Betroffene können angstbesetzte Situationen oder angstbesetzte Objekte auch über virtuelle Realitäten erleben. Hier gibt es einen anschaulichen Überblick darüber, wie virtuelle Realität bei der Behandlung spezifischer Phobien helfen kann. Beispielsweise wird das Achterbahnfahren mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden trainiert: https://www.youtube.com/watch?v=mi6GxuGVEd0.

      Welche Prozesse laufen in Gehirn und Körper ab?

      Angst ist ein komplexes Phänomen und der Körper zeigt auf vielen Ebenen Reaktionen, die darauf ausgelegt sind, auf eine akute Gefahr reagieren zu können. In Horrorfilmen wird Angst beispielsweise folgendermaßen dargestellt: Man hört den Herzschlag, der sich beschleunigt, dazu kommt schnelles Atmenatmen. Die Anspannung des Körpers

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