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der Person. Vladimir brummelte leise vor sich hin, als er die Flüstermännchen aus der Westentasche holte. Nachdem er den schmalen Leib herumgedreht hatte, sah er, dass es sich um eine Frau handelte. Eine junge Zarte, mit abgeschnittenen Haaren. Nur eine Handbreit waren die zottelig geschnittenen Fransen lang. Bevor sie sich wehren konnte, hatte Vladimir die Dolmetscher scharf geschaltet und ihr in die Gehörgänge gedrückt. »Hallo?«

      Sie stöhnte erneut auf, lauter als zuvor.

      »He, sag was. Wer bist du und wo kommst du her?« Er richtete sich auf und sah stirnrunzelnd auf das Mädchen hinunter, das so anders war, wie er Kenntnis von der Weiblichkeit hatte. Sie war nur bedeckt mit einem dünnen schillernden Stoff, der den Oberkörper und den Rumpf verhüllte. Ein Flamingo war darauf zu sehen.

      »Was ist das?« Er stupfte mit seinem Gehstock sachte in ihre Seite.

      »Aua!« Das Mädchen rappelte sich mühsam auf. »Lass mich in Ruhe, das tut weh!« Sie stützte sich auf ihre Ellenbogen auf und winkelte ein Bein an. Dann runzelte sie die Stirn. »Ist ein Badeanzug«, erwiderte sie knapp. »Ich war schwimmen. Tauchen.« Sie sah Kukuschkin an. »Bin ich tot?«

      »Nein«, antwortete Vladimir. »Du bist in Seedorf.«

      »Seedorf?« Das Mädchen richtete sich auf und schüttelte seine Arme aus, um sie dann in ihre Seite zu stemmen. »Also gibt es diesen Ort wirklich?« Sie staunte ihn aus großen Augen an.

      »Ja, warum auch nicht?«

      »Die Leute oben reden darüber. Sie haben Legenden gesponnen, die seit Jahrhunderten weitergegeben werden. Ich wollte nachschauen, was es damit auf sich hat.«

      Dann sah sie Vladimir an. »Wer bist du?«

      Der ließ sich nicht zweimal bitten und warf sich in Pose. Vollführte einen Kratzfuß und wedelte dramatisch mit seinem Spitzentaschentuch in einem weiten Bogen vor der Nase der Unbekannten herum. »Kukuschkin mein Name, Vladimir für Freunde.« Er ließ seinen russischen Akzent breit und golden wie Honig aus sich herausfließen. Dann richtete er sich wieder auf, steckte das Taschentuch in die Manschette und zwinkerte der jungen Frau zu. »Bist du ein Freund?«

      Das Mädchen lachte frei heraus und imitierte ungekonnt den Bückling, den Kukuschkin vollführt hatte. Sie streckte sich. »Claire«, sagte sie mit einem dramatischen Unterton. »Claire Lindenbaum!« Dann nahm sie Vladimirs Hand und schüttelte sie kräftig. »Ich versuche, einer zu sein.«

      »Was zu sein?«

      »Ein Freund. Was sonst?«

      Vladimir umfasste ihre Finger fester und rüttelte sie seinerseits, ebenfalls recht herzhaft. »Dann ein Hoch auf unsere neue Freundschaft, Claire Lindenbaum.« Sodann zogen sie beide gleichzeitig die Hände zurück und grinsten sich an.

      »Und nun?« Das Mädchen sondierte die Umgebung, taxierte die Tannen, durch deren Äste sie zu Boden gestürzt war. Sie sah den kleinen Trampelpfad, der zu einem Berg führte, in dessen Mitte ein großes dunkles Loch gähnte und sie wandte sich Richtung Dorf herum, wo sich eine weißliche Straße im diesigen Grün verlor. »Liegt dort Seedorf?«

      Kukuschkin nickte leicht.

      »Können wir da hin?«

      »Nicht in diesem Zustand.« Vladimir sah Claire an. »Du bist ja förmlich nackt. Frierst du nicht?«

      Sie hielt inne, spürte in sich hinein und nickte. »Hmm. Etwas.«

      »Komm mit.« Kukuschkin wandte sich zur hellen Straße, die zu einem Haus führte, mit einem aufgeflanschten Turm. Der war durch die Jahrhunderte in eine windschiefe Lage geraten und sah aus, als ob er alsbald umfallen würde. Dieses »Demnächst« dauerte aber schon einige Epochen an, daher sorgte sich Vladimir nicht, dass ihm das Dach beizeiten auf den Kopf fallen würde.

      Claire folgte ihm staunend. In diesem Randbezirk von Seedorf herrschte dunkles Grün vor. Tannen, dicht beieinander, Büsche, Ranken, hellere Farben von Buchen und dann das eindrucksvolle Haus mit dem Turm, das auf einem verwilderten Grundstück stand. Es war umgeben von einem halbhohen Bretterzaun, der an einigen Stellen Lücken hatte. Das Tor schwang in einer Brise, kaum wahrnehmbar, auf und zu und quietschte dabei entzückend malerisch. Für Kukuschkin war das Musik in seinen Ohren. Claire mutmaßte hingegen marodes Bauwerk. Schon zog sie die Schultern hoch und ihr Gang wurde vorsichtiger.

      Vladimir merkte nichts davon und stolzierte voller Inhaberstolz auf die Eingangstür zu. Einen Schritt davor stoppte er, hob die Hände und schlug sie mit Grandezza zweimal zusammen. Daraufhin schwang die Tür wie von Geisterhand auf. Hier wurde der Vorgang von einem Ächzen und Stöhnen begleitet, das tiefer und volltönender war als das des Gartentors und daher furchteinflößender.

      »Da rein?« Claires Stimme war zwei Oktaven nach oben geklettert.

      »Aber sicher doch.« Vladimir sah über seine Schulter und was er da erblickte, ergriff sein Herz ungewohnt. Die junge Frau rieb sich den linken Oberarm und presste die Beine zusammen und sah dabei so verloren aus, wie er es bis dato nicht erlebt hatte.

      »Jetzt komm schon«, kommandierte er. »Ich geb’ dir was zum Anziehen. So kannst du hier doch nicht weiter rumlaufen. Du holst dir noch den Tod.«

      Claire schniefte leise und setzte sich in Bewegung. Die drei Stufen zur Eingangstür waren tückisch schief und knarzten unter ihrem Schritt. Aber jetzt ließ sie sich davon nicht ins Bockshorn jagen. Egal, was hier welche Töne von sich gab, es schien ja alles zu halten.

      Claire beschloss: Rein, ins Innere, und das Haus erkunden. Vladimir trat zur Seite und winkte sie hinein, ab in die Wohndiele, in der ein langer Tisch den meisten Platz einnahm. Sie zählte die Stühle und Bänke und kam auf zwölf Sitzplätze. Ob das so genutzt wurde? Wenn ja, dann würde sie hier mit einer munteren Gesellschaft rechnen können, ein buntes Treiben, laute Feierlichkeiten und ausschweifende Feste. Sie lachte hell auf und schlug die Hände in freudiger Erwartung zusammen.

      Vladimir wandte sich unverzüglich einem großen geschnitzten Holzungetüm in der hinteren Ecke zu. Er schlug dessen riesige Türen mit Schwung auf. Der Schrank öffnete sich und darinnen türmte sich ein Sammelsurium der seltsamsten Kleidungsstücke auf.

      »Such dir was aus, Claire Lindenbaum. Du kannst alles anprobieren. Und wenn du etwas gefunden hast, was dir gefällt, dann behalt es einfach.«

      Das Mädchen nickte. »Wirklich alles?« Sie hielt den Atem an.

      Als Vladimir ihr zunickte, warf sie ihre Zurückhaltung über Bord und wühlte sich durch den Inhalt des Schrankes. Da hingen kurze Kleider, lange Roben, Zelte, Schläuche, Textilien, die sie nicht verstand, weil zu viele Ärmel oder Träger daran genäht waren, wobei sich die Frage stellte, wer denn da überhaupt hineinpasste. Sie fand in einer der unteren Schubkästen eine schmal geschnittene Bluejeans mit einem Riss über dem linken Knie. Und so, wie er beschaffen war, handelte es sich eindeutig um keinen maschinell hergestellten Used Look, sondern um einen realen Unfall, der den Stoff gelöchert hatte.

      Claire schluckte. Dann stieg sie in die Hose, die sich wie eine zweite Haut um ihre Beine schmiegte. Danach suchte sie ein Oberteil und wurde schnell fündig. Ein kurzer Kaftan in verschiedenen Grüntönen und mit seltsam mutierten Vögeln darauf gestickt, bauschte sich um ihren Oberkörper. Die schillernden Farben und die exquisite Stickerei faszinierten Claire.

      »Gefällt dir, was du gefunden hast?«

      »Ja, sehr. Der Kaftan wirkt, als sei er nicht von dieser Welt. Die Machart habe ich so noch nie gesehen.« Claire strich bewundernd über den Stoff. Er knisterte leise. Sie lächelte. Hier gab jeder Gegenstand seinen Senf zur allgemeinen Lage hinzu.

      »Nun ja, das da«, Vladimir wies auf das Oberteil, »das kommt ja auch aus der vierten Kaiserepoche der Antalianer von Norius 7. Sehr feine Wesen, die Antalianer. Sehr exaltiert. Sie lieben die schönen Künste, Dinge, einfach alles muss zart und fein und schön sein, womit sie sich umgeben. Ich habe mich immer gut mit ihnen verstanden. Deswegen haben sie mir das edle Stück auch vermacht.«

      Claire weitete die Augen. »Antalianer? Norius 7? Wovon redest du?«

      »Na,

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