Скачать книгу

mit der schwierigen Lage Bismarck gegenüber rechnende Taktik nachträglich zu kritisieren. Man kann die natürlichen Schwierigkeiten einer so rein politisch orientierten und dabei doch mit veralteter ökonomischer Dogmatik belasteten Partei den wirtschaftlichen und sozialpolitischen Problemen gegenüber für den Abstieg ihrer Stellung mit verantwortlich machen, – obwohl es schließlich in allen diesen Dingen bei den konservativen Parteien wahrlich nicht besser stand. Der Gegensatz ihrer Verfassungswünsche nach 1866 gegen Bismarcks Ziele lag in ihren damaligen – nach Treitschkes Art – unitarischen Idealen (die wir inzwischen aus zum Teil ganz außerpolitischen Gründen aufgegeben haben), nicht, wie man gern sagt, in „Kurzsichtigkeit“. In den fundamentalen politischen Voraussetzungen ihres Verhaltens hat ihnen jedenfalls die spätere Entwicklung völlig recht gegeben.

       Sie konnten ihre selbstgewählte politische Aufgabe nicht durchführen und zerbrachen, letztlich nicht aus sachlichen Gründen, sondern weil Bismarck keine wie immer geartete irgendwie selbständige, d. h. nach eigenen Verantwortlichkeiten handelnde Macht neben sich zu dulden vermochte. Nicht innerhalb der Ministerien. Einzelnen parlamentarischen Politikern wurde der Eintritt in die Ministerien angeboten; aber sie alle mussten die Erfahrung machen, dass Bismarck schon im Voraus klüglich Veranstaltungen traf, den neuen Mitarbeiter jederzeit durch rein persönliche Diskreditierung zu Fall bringen zu können (dies und nichts anderes war letztlich auch der Grund von Bennigsens Ablehnung). Nicht im Parlament; seine ganze Politik ging darauf aus, irgendeine starke und dabei irgendwie selbständige konstitutionelle Partei sich nicht konsolidieren zu lassen. – Dazu boten ihm, neben der höchst absichtsvollen und geschickten Ausnützung der zollpolitischen Interessenkonflikte, die Mittel vor allem: die Militärvorlagen und das Sozialistengesetz.

      In Militärfragen war der innerliche Standpunkt der damaligen nationalliberalen Politiker nach meiner Kenntnis der: dass die Präsenzstärke des Heeres, welche sie so hoch wie irgend erforderlich zu halten geneigt waren, eben deshalb als rein sachliche Frage behandelt, der alte Zwiespalt der Konfliktszeit dadurch begraben und wenigstens diese Quelle demagogischer Erregung zum Heile des Reichs verstopft werden müsse. Die schlichte Feststellung durch das alljährliche Budgetgesetz war dafür das einzige Mittel. Keiner der Führer hat je bezweifelt, dass auf diesem Wege die erforderliche Vermehrung des Heeres ohne innerpolitische und internationale Erregung und Erschütterung vor sich gehen, und dass vor allem auch die Militärverwaltung bei dieser rein sachlichen Behandlung weit höhere Anforderungen in weit unauffälligerer Art durchsetzen werde, als wenn diese sachliche Frage mit innerpolitischen Machtinteressen der Amtsstellen gegenüber dem Parlament verquickt würde und dadurch die Militärfragen alle sieben Jahre sich auswüchsen zu einer katastrophenartig die Grundfesten des Reiches erschütternden politischen Sensation und einem wilden Wahlkampf unter der Parole: „Kaiser-Heer oder Parlaments-Heer!“ Einer tief unwahrhaftigen Parole: denn die Armee wurde ja durch jährliche Bewilligung nicht um Haaresbreite mehr Parlamentsheer als bei einer Bewilligung auf sieben Jahre. Zumal das Septennat ohnehin Fiktion blieb. Ausschließlich unter der Fragestellung: „Bewilligung der von allen bürgerlichen Parteien als erforderlich anerkannten Präsenzstärke auf drei oder sieben Jahre?“ wurde der Reichstag 1887 aufgelöst und die Bewilligung auf nur drei Jahre als ein „Angriff auf Kronrechte“ hingestellt. Genau drei Jahre später aber, 1890, wurde ein neues Gesetz über die Präsenzstärke eingebracht, was Windthorst nicht verfehlte, den Gegnern höhnisch, aber mit vollem Recht, vorzuhalten.

Grafik 26

      Ludwig Windthorst – 1812 – 1891 – war als führender Politiker der katholischen Zentrum-Partei der wichtigste innenpolitische Gegenspieler des Reichskanzlers Otto von Bismarck. Über alle Parteigrenzen hinweg galt er als der bedeutendste Parlamentarier seiner Zeit.

       Auf diese Art wurde der alte begrabene preußische Militärzwist in die Reichspolitik hinübergenommen und die Militärfrage mit parteipolitischen Interessen verknüpft. Eben dies aber wollte – das darf man nicht verkennen – Bismarck, der gerade in jener demagogischen Parole den Weg sah, den Reichstag und die liberalen Parteien einerseits bei dem Kaiser, der die Konfliktszeit durchlebt hatte, als „militärfeindlich“ zu verdächtigen, andererseits aber die Nationalliberalen bei ihren Wählern wegen des Septennats als Verräter der Budgetrechte zu diskreditieren. Nicht anders das Sozialistengesetz. Die Partei war bereit, sehr weit entgegenzukommen, und selbst die Fortschrittler waren geneigt, Bestimmungen zu bewilligen, welche das, was sie „Klassenverhetzung“ nannten, allgemein und dauernd unter gemeinrechtliche Strafe stellten. Aber Bismarck wollte gerade das Ausnahmegesetz als solches. Die Auflösung des Reichstags unter dem aufregenden Eindruck des zweiten Attentats ohne jeden Versuch, sich mit ihm zu verständigen, war ihm lediglich ein demagogisches Mittel, die einzige damals mächtige Partei zu sprengen.

       Das gelang. Und das Resultat? Für die Notwendigkeit der Rücksichtnahme auf eine bei aller Kritik ihm innerlich eng verbundene, von Anfang an bei der Reichsgründung mitarbeitende parlamentarische Partei hatte Bismarck die dauernde Abhängigkeit vom Zentrum, einer auf außerparlamentarische, für ihn unangreifbare Machtmittel sich stützenden Partei, eingetauscht, deren tödlicher Hass gegen ihn trotzdem bis an seinen Tod währte. Als er später seine berühmte Rede vom Schwinden des „Völkerfrühlings“ hielt, wurde ihm von Windthorst höhnisch, aber mit Recht entgegengehalten, dass er ja selbst die große Partei zerschlagen habe, die ihn in vergangenen Zeiten gestützt habe. Die von der nationalliberalen Partei verlangte Art der Sicherung des Einnahmebewilligungsrechtes des Reichstages hatte er, weil sie die „Parlamentsherrschaft“ begründe, abgelehnt, – und musste nun dem Zentrum das genau Gleiche bewilligen, aber in der denkbar übelsten Form: in dem Trinkgelderparagraphen der sogenannten clausula Franckenstein, an die sich in Preußen die noch üblere, später mühsam wieder beseitigte lex Huene anschloss. Er musste überdies die schwere Niederlage der Staatsautorität im Kulturkampf, für dessen ganz verfehlte Methoden er vergebens (und wenig redlich) die Verantwortung abzulehnen versucht hat, einstecken und bot andererseits der Sozialdemokratie in dem „Ausnahmegesetz“ die denkbar glänzendste Wahlparole. Demagogie, und zwar eine sehr schlechte Demagogie, wurde in Bismarcks Händen auch die soziale Gesetzgebung des Reiches, so wertvoll man sie rein sachlich finden mag. Den Arbeiterschutz, der doch für die Erhaltung unserer physischen Volkskraft das Unentbehrlichste war, lehnte er als Eingriff in Herrenrechte (mit zum Teil unglaublich trivialen Argumenten) ab. Die Gewerkschaften, die einzig möglichen Träger einer sachlichen Interessenvertretung der Arbeiterschaft, ließ er aus dem gleichen Standpunkt heraus auf Grund des Sozialistengesetzes polizeilich zersprengen und trieb ihre Mitglieder dadurch in den äußersten rein parteipolitischen Radikalismus. Dagegen glaubte er, an gewissen amerikanischen Mustern orientiert, „Staatsgesinnung“ und „Dankbarkeit“ durch Gewährung staatlicher oder staatlich erzwungener Renten zu schaffen. Ein schwerer politischer Irrtum. Denn noch jede auf Dankbarkeit spekulierende Politik ist gescheitert: – auch für die politische Werkheiligkeit gilt das Wort: „Sie haben ihren Lohn dahin.“ Wir erhielten Renten für die Kranken, die Beschädigten, die Invaliden, die Alten. Das war gewiss schätzenswert. Aber wir erhielten nicht die vor allem nötigen Garantien für die Erhaltung der physischen und psychischen Lebenskraft und für die Möglichkeit sachlicher und selbstbewusster Interessenvertretung der Gesunden und Starken, derjenigen also, auf die es, rein politisch betrachtet, doch gerade ankam. Wie im Kulturkampf, so war er auch hier über alle entscheidenden psychologischen Voraussetzungen hinweggeschritten. Und vor allem wurde in der Behandlung der Gewerkschaften das eine übersehen, was manche Politiker noch heute nicht begriffen haben: dass ein Staat, welcher den Geist seines Massenheeres auf Ehre und Kameradschaft gründen will, nicht vergessen darf, dass auch im Alltag, in den ökonomischen Kämpfen der Arbeiterschaft, das Gefühl für Ehre und Kameradschaft die allein entscheidenden sittlichen Kräfte zur Erziehung der Massen gebiert, und dass man sie deshalb sich frei auswirken lassen muss. Dies und nichts anderes bedeutet ja, rein politisch angesehen, „soziale Demokratie“ in einem unvermeidlich noch auf lange hinaus kapitalistischen Zeitalter. Noch heute leiden wir unter den Folgen dieser Politik. Bismarck selbst aber hatte, alles in allem, um sich herum eine Atmosphäre und Lage geschaffen, welche 1890 im Falle seines Verbleibens im Amt nur die bedingungslose Unterwerfung unter Windthorsts Willen oder den Staatsstreich zur Wahl stellte. Es war kein Zufall, wenn die Nation das Geschehnis seines Rücktritts mit vollkommener Gleichgültigkeit aufnahm.

      

Скачать книгу