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seines feinen und beherrschenden Geistes, sondern ausschließlich den Einschlag von Gewaltsamkeit und List in seiner staatsmännischen Methode, das scheinbar oder wirklich Brutale daran, anschwärmte, die andere aber mit kraftlosem Ressentiment dagegen reagierte. Wenn die zweite Spielart nach seinem Tode schnell verschwand, so wurde die erste seitdem literarisch erst recht gepflegt. Sie prägt seit langem die historische Legende der konservativen Politiker nicht nur, sondern auch ehrlich begeisterter Literaten und endlich aller jener Plebejer des Geistes, welche durch äußerliche Nachahmung seiner Gesten sich als Geist von seinem Geist zu legitimieren meinen. Bismarck selbst hatte für diese letzte, bei uns nicht einflusslose Schicht beglaubigtermaßen ausschließlich die tiefste Verachtung, so bereit er natürlich war, diese seine Höflinge gegebenenfalls politisch ebenso zu benutzen wie andere Leute vom Schlage des Herrn Busch. „Phrasenhaft im Inhalt und schülerhaft in der Form“ schrieb er auf den Rand eines (im heutigen Sinn) „alldeutschen“ Gutachtens, welches er sich einmal probeweise von einem Mann erbeten hatte, der von den heutigen Vertretern dieser Spielart sich immerhin dadurch wesentlich unterschied, dass er auf eigene nationale Leistungen nicht mit dem Munde, sondern mit kühner Tat hinweisen konnte. Wie Bismarck aber über seine konservativen Standesgenossen dachte, ist in seinen Denkwürdigkeiten niedergelegt.

       Er hatte zu deren Geringschätzung einigen Grund. Denn was hatte er erlebt, als er 1890 aus dem Amt scheiden musste? Dass das Zentrum, dem er den Attentäter Kullmann „an die Rockschöße gehängt“, die Sozialdemokraten, gegen welche er die Hetzjagd des Ausweisungsparagraphen im Sozialistengesetz losgelassen, die damaligen Freisinnigen, die er als „Reichsfeinde“ stigmatisiert hatte, Sympathie äußern sollten, war billigermaßen zu viel verlangt. Aber die anderen, unter deren lautem Beifall dies alles geschehen war? Auf den preußischen Ministersesseln und in den Reichsämtern saßen konservative Kreaturen, die er allein aus dem Nichts gehoben hatte. Was taten sie? Sie blieben sitzen. „Ein neuer Vorgesetzter“: damit war für sie der Fall erledigt. Auf den Präsidentenstühlen der Parlamente im Reich und in Preußen saßen konservative Politiker. Was riefen sie dem scheidenden Schöpfer des Reichs zum Abschied nach? Sie gedachten des Zwischenfalls mit keinem Wort. Welche von den großen Parteien seiner Gefolgschaft verlangte auch nur Rechenschaft über die Gründe seiner Entlassung? Sie alle rührten sich nicht, sondern wandten sich der neuen Sonne zu. Der Vorgang findet in den Annalen keines stolzen Volkes seinesgleichen. Aber die Geringschätzung, welche er verdient, kann durch jene Bismarck-Begeisterung, welche die gleichen Parteien später in Erbpacht nahmen, nur noch erhöht werden. Seit nun fünfzig Jahren haben die preußischen Konservativen politischen Charakter im Dienst großer staatspolitischer oder idealer Ziele – so wie die Stahl und Gerlach und die alten Christlich-Sozialen in ihrer Art sie hatten – niemals gezeigt. Man prüfe die Geschehnisse nach: ausschließlich dann, wenn es entweder an ihre Geldinteressen oder an ihr Amtspfründenmonopol und ihre Ämterpatronage oder (was damit identisch ist) an ihre Wahlrechtsprivilegien gehen sollte: – dann freilich arbeitete ihre landrätliche Wahlmaschine rücksichtslos auch gegen den König. Der ganze traurige Apparat „christlicher“, „monarchischer“ und „nationaler“ Phrasen trat und tritt dann in Aktion: – genau das gleiche, was jene Herren jetzt den angelsächsischen Politikern bei deren Phrasenschatz als „cant“ vorwerfen. Als es sich einige Jahre nach Bismarcks Entlassung um eigene materielle Interessen, zollpolitische vor allem, handelte, da erst besannen sie sich auf Bismarck als Vorspann und spielen sich seitdem allen Ernstes als Hüter seiner Traditionen auf. Es besteht triftiger Grund, anzunehmen, dass Bismarck selbst diesem Treiben auch damals nie anders als mit Missachtung gegenüberstand. Private Äußerungen beweisen es. Wer will es ihm verdenken? Aber die Beschämung über jene Karikatur eines politisch reifen Volkes, welche die Nation im Jahre 1890 bot, darf doch den Blick dafür nicht trüben: dass Bismarck in dieser würdelosen Nichtigkeit seiner Parteigängerschaft in tragischer Art erntete, was er selbst gesät hatte. Denn eben diese politische Nichtigkeit des Parlaments und der Parteipolitiker hatte er gewollt und absichtsvoll herbeigeführt.

       Niemals hatte ein Staatsmann, der nicht aus dem Vertrauen des Parlaments heraus an das Ruder gekommen war, eine so leicht zu behandelnde und dabei so zahlreiche politische Talente umfassende Partei als Partnerin wie Bismarck von 1867 bis 1878. Man mag die politischen Ansichten der damaligen nationalliberalen Führer ablehnen. Auf dem Gebiet der hohen Politik und an beherrschender Energie des Geistes überhaupt darf man sie natürlich nicht an Bismarck selbst messen, neben dem selbst ihre besten als Mittelmaß wirken, wie schließlich ja alle anderen Politiker des Inlands erst recht und die meisten des Auslands ebenso. Ein Genie erscheint nun einmal günstigenfalls alle Jahrhunderte. Aber wir können dem Schicksal danken, wenn es die Leitung unserer Politik im Durchschnitt in die Hände von Politikern des Niveaus gelegt hätte und künftig legen würde, wie sie damals in jener Partei existierten. Es ist wahrlich eine der dreistesten Entstellungen der Wahrheit, wenn trotzdem politische Literaten bei uns der Nation einreden: „Das deutsche Parlament habe bisher große politische Talente nicht hervorzubringen vermocht.“ Und es ist jämmerlich, wenn solchen Vertretern des Parlamentarismus, wie Bennigsen, Stauffenberg, Völk, oder auch der Demokratie, wie der preußische Patriot Waldeck, durch die gegenwärtige subalterne Literaten-Mode die Qualität von Repräsentanten „ deutschen Geistes“ abgesprochen wird, der in der Paulskirche mindestens ebenso stark lebte wie in der Bürokratie und besser als in den Tintenfässern dieser Herren. – Der große Vorzug jener Politiker aus der Blütezeit des Reichstages war zunächst: Sie hatten ihre eigenen Schranken und die Irrtümer ihrer Vergangenheit kennengelernt und anerkannten die ungeheure geistige Überlegenheit Bismarcks. Nirgends hat er leidenschaftlichere ganz persönliche Bewunderer gehabt als in ihren Reihen, gerade auch in denen der späteren Sezessionisten. Und für ihr persönliches Niveau sprach vor allem eines: das völlige Fehlen allen Ressentiments gegenüber seiner überlegenen Größe. Davon wird jeder, der sie gekannt hat, alle irgend erheblichen Persönlichkeiten unter ihnen völlig freisprechen. Für den, der über die Vorgänge unterrichtet ist, grenzt es schlechterdings an Verfolgungswahn, wenn Bismarck ernstlich die Vorstellung nährte, gerade diese Politiker hätten irgendwann daran gedacht, ihn zu „stürzen“. Stets erneut habe ich aus dem Munde ihrer Führer gehört: Bestände irgendwelche Chance, dass für die höchste Stelle stets ein neuer Bismarck erstünde, dann wäre der Cäsarismus: die Regierungsform des Genies, die gegebene Verfassung für Deutschland. Das war völlig aufrichtige Überzeugung. Freilich hatten sie mit ihm dereinst die Klingen scharf gekreuzt. Ebendaher kannten sie auch seine Schranken und waren keineswegs geneigt, unmännlich das Opfer ihres Intellekts zu bringen, obwohl sie, bis zur Selbstverleugnung, immer wieder geneigt waren, ihm im Interesse der Vermeidung eines Bruchs entgegenzukommen, – ungleich weiter, als die Rücksicht auf die Stimmung der Wähler es zuließ, welche ihnen darin die Gefolgschaft zu versagen drohten. Einen Kampf um formale Parlamentsrechte mit dem Schöpfer des Reichs scheuten die nationalliberalen Politiker nicht nur deshalb, weil sie voraussahen, dass ein solcher rein parteipolitisch nur dem Zentrum zur Macht verhelfen würde, sondern auch weil sie wussten, dass er Bismarcks eigene Politik ebenso wie das Parlament auf lange hinaus in der sachlichen Arbeit lähmen würde: „Es gelingt nichts mehr“, hieß es bekanntlich in den achtziger Jahren. Ihre innerste, im internen Kreise oft ausgesprochene Absicht war: durch die Zeit der Herrschaft dieser grandiosen Persönlichkeit im Reich jene Institutionen hindurchzusteuern, auf deren Leistungsfähigkeit nun einmal später, wenn man sich auf Politiker gewöhnlicher Dimensionen würde einrichten müssen, die Stetigkeit der Reichspolitik allein beruhen könne. Zu diesen Institutionen zählten sie allerdings auch ein positiv mitbestimmendes und dadurch die großen politischen Begabungen anziehendes Parlament und: starke Parteien.

       Sie wussten genau, dass die Erreichung dieses Zieles schlechterdings nicht von ihnen allein abhing. Sehr oft habe ich gelegentlich der großen Wendung von 1878 aus ihrer Mitte sagen hören: „Eine Partei in der völlig prekären Lage der unsrigen zu zerstören oder ihr die Fortexistenz unmöglich zu machen, dazu bedarf es keiner großen politischen Kunst. Aber wenn man es tut, so wird man eine andere große Partei, die rein sachlich mitarbeitet, nicht wieder schaffen können, sondern zum interessenpolitischen und zum Patronagetrinkgelder-System greifen müssen, dennoch aber die schwersten politischen Erschütterungen in den Kauf zu nehmen haben.“ Man mag, wie gesagt, im einzelnen manche Stellungnahmen der Partei, deren Initiative schließlich doch die Amtsstellung des Reichskanzlers selbst in der Verfassung (Antrag Bennigsen), die Einheit des bürgerlichen Rechts (Antrag Lasker),

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