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das Recht haben, zu sagen: „Bedenkt, das wäre vielleicht politisch nicht klug.“ Aber blieben sie trotzdem dabei, dann hätten „wir“ zu schweigen. Dass jedoch „wir“, die Daheimgebliebenen, uns nicht scheuen, unseren Kriegern die Freude an ihren Leistungen zu vergiften, indem wir wie es wieder und wieder geschehen ist – ihnen zurufen: „Wenn das und das von uns ausgedachte Kriegsziel nicht erreicht wird, dann habt ihr umsonst geblutet“, – das scheint mir schon rein menschlich schlechthin unerträglich, für den Willen zum Durchhalten aber ausschließlich schädlich. Dafür wäre es besser, stets erneut nichts anderes zu sagen als: dass Deutschland nach wie vor für seine Existenz ficht gegen ein Heer, in welchem Neger, Ghurkas und allerhand andere Barbaren aus allen Schlupfwinkeln der Erde an der Grenze bereitstehen, unser Land zur Wüste zu machen. Das ist die Wahrheit, das versteht jeder und das hätte die Einigkeit erhalten. Stattdessen haben es sich die Literaten zum Geschäft gemacht, allerhand „Ideen“ zu fabrizieren, für welche, ihrer Ansicht nach, die Männer da draußen bluten und sterben. Ich glaube nicht, dass dies eitle Treiben irgendeinem unserer Kämpfer seine schwere Pflicht erleichtert hat. Der Sachlichkeit der politischen Erörterung hat es schwer geschadet.

      Mir scheint, unsere Aufgabe daheim ist vor allem die: dafür zu sorgen, dass die heimkehrenden Krieger die Möglichkeit vorfinden, ihrerseits mit dem Stimmzettel in der Hand durch ihre gewählten Vertreter jenes Deutschland neu aufzubauen, dessen Bestand sie gerettet haben, und also: die Hindernisse, welche die jetzigen Zustände ihnen dabei in den Weg stellen, fortzuräumen, damit sie nicht nach der Heimkehr, statt an den Aufbau zu gehen, zunächst gegen jene Hemmnisse sterile Kämpfe zu führen haben. Wahlrecht und Parlamentsmacht sind dafür aber nun einmal – das kann keine Sophistik fortdisputieren – die einzigen Mittel, und es ist wenig offen und ein starkes Stück, wenn man allen Ernstes geklagt hat: eine Reform, welche den Kriegern überhaupt erst die Möglichkeit entscheidender Mitbestimmung gibt, werde „ohne ihre Befragung“ gemacht.

      Man sagt ferner: jede Kritik an unserer Staatsform liefere den Feinden Waffen. Damit hat man uns 20 Jahre lang den Mund verbunden, bis es zu spät war. Was haben wir jetzt noch durch solche Kritik im Ausland zu verlieren? Die Feinde könnten sich beglückwünschen, wenn die alten schweren Schäden auch weiter bestehen blieben! Und gerade jetzt, wo der große Krieg in das Stadium getreten ist, in welchem wieder die Diplomatie das Wort ergreift, ist es hohe Zeit, alles dafür zu tun, dass nicht abermals die alten Fehler begangen werden. Dafür spricht vorerst leider wenig. Dass die deutsche Demokratie, wenn sie nicht ihre Zukunft verscherzen will, keinen schlechten Frieden schließt, wissen die Feinde, oder sie werden es erfahren.

       Wer aus letzten Gründen des Glaubens jede Form autoritativer Herrschaft um ihrer selbst willen über alle politischen Interessen der Nation stellt, der mag sich dazu bekennen. Er ist unwiderlegbar. Aber man komme uns stattdessen nicht mit dem eitlen Gerede von dem Gegensatz der „westeuropäischen“ und der „deutschen Staatsidee“. In den einfachen Fragen der Technik der Bildung des Staatswillens, von denen hier gehandelt wird, gibt es nicht beliebig viele, sondern, für einen Massenstaat, nur eine begrenzte Zahl von Formen. Für einen sachlichen Politiker ist es eine sachliche, je nach den politischen Aufgaben der Nation zu beantwortende Frage: welche davon für seinen Staat jeweils zweckmäßig ist. Nur ein beklagenswerter Kleinglaube an die Eigenkraft des Deutschtums kann vermeinen, das deutsche Wesen werde in Frage gestellt, wenn wir zweckmäßige staatstechnische Institutionen mit anderen Völkern teilen. Ganz abgesehen davon, dass weder der Parlamentarismus der deutschen Geschichte fremd, noch irgendeines der ihm entgegengesetzten Systeme nur Deutschland eigen gewesen ist. Dass auch ein parlamentarisierter deutscher Staat anders aussehen wird als jeder andere, dafür sorgen völlig zwingende sachliche Umstände. Daraus aber einen Gegenstand der Eitelkeit für die Nation zu machen, wäre nicht sachliche, sondern eben: Literatenpolitik. Ob eine wirklich brauchbare parlamentarische Neuordnung in Deutschland kommt, wissen wir heute nicht. Sie kann sowohl von rechts her hintertrieben wie von links her verscherzt werden. Auch das letztere. Denn auch über Demokratie und Parlamentarismus stehen selbstverständlich die Lebensinteressen der Nation. Würde aber das Parlament versagen und käme infolgedessen das alte System wieder, so hätte das allerdings weittragende Folgen. Auch dann würde man das Schicksal dafür segnen dürfen, ein Deutscher zu sein. Aber auf große Hoffnungen für Deutschlands Zukunft würde man dann endgültig verzichten müssen, ganz einerlei, wie der Frieden aussieht.

       Der Verfasser, der vor bald drei Jahrzehnten konservativ wählte und später demokratisch, dem damals die „Kreuzzeitung“ und jetzt liberale Blätter Gastrecht gewährten, ist weder aktiver Politiker, noch wird er es sein. Er verfügt – auch das sei vorsichtshalber bemerkt – über keinerlei Beziehungen gleichviel welcher Art zu irgendwelchen deutschen Staatsmännern. Er hat allen Anlass zu dem Glauben, dass keine Partei, auch nicht auf der Linken, sich mit dem, was er sagt, identifizieren werde, vor allem mit dem ihm persönlich Wichtigsten (Kap. IV), welches zugleich das ist, worüber parteipolitische Meinungsverschiedenheiten überhaupt nicht bestehen. Er hat seinen politischen Standpunkt so wie jetzt gewählt deshalb, weil die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte ihn seit langem zu der festen Überzeugung gebracht hatten: dass die bisherige Art der staatlichen Willensbildung und des politischen Betriebes bei uns jede deutsche Politik, gleichviel welches ihre Ziele seien, zum Scheitern verurteilen müsse, dass dies bei gleichbleibenden Verhältnissen künftig immer wieder genau so sein werde, und dass keinerlei Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass auch dann immer wieder Heerführer erstehen werden, die unter unerhörten Blutopfern der Nation uns aus der politischen Katastrophe militärisch heraushauen können.

      Staatstechnische Änderungen machen an sich eine Nation weder tüchtig, noch glücklich, noch wertvoll. Sie können nur mechanische Hemmnisse dafür forträumen und sind also lediglich Mittel zum Zweck. Und man mag es vielleicht beklagen, dass so bürgerlich nüchterne Dinge, wie sie hier, unter absichtlicher Selbstbescheidung und Ausschaltung aller der großen inhaltlichen Kulturprobleme, die uns bevorstehen, erörtert werden, überhaupt wichtig sein können. Aber es ist nun einmal so. Im Großen lehrt es die Politik der letzten Jahrzehnte. Im Kleinen war in allerjüngster Zeit das völlige Scheitern der politischen Leitung des Reichs durch einen selten tüchtigen und sympathischen Beamten eine Art von Probe auf die in den kurz vorher publizierten Artikeln aufgemachte Rechnung. Wem alle diese Erfahrungen nicht genügen, dem genügt überhaupt kein Beweis. Der Politiker rechnet bei staatstechnischen Fragen mit den nächsten Generationen. Und diese kleine Gelegenheitsschrift will durchaus nur „der Zeit dienen“.

      Die lange Verzögerung der von ähnlich gesinnten Freunden angeregten Veröffentlichung in dieser Form hatte zunächst in anderweitiger Inanspruchnahme, dann, seit November, in den üblichen technischen Schwierigkeiten des Drucks ihren Grund.

      Der Verfasser

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      Kapitel I. – Die Erbschaft Bismarcks

       Kapitel I. – Die Erbschaft Bismarcks

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Grafik 67

      Die heutige Lage unseres parlamentarischen Lebens ist eine Hinterlassenschaft der langjährigen Herrschaft des Fürsten Bismarck in Deutschland und jener inneren Stellung, welche die Nation seit dem letzten Jahrzehnt seiner Reichskanzlerschaft zu ihm einnahm. Diese Stellungnahme findet kein Beispiel in der Haltung irgendeines anderen großen Volkes zu einem Staatsmann von dieser Größe. Nirgends sonst in der Welt hat selbst die schrankenloseste Bewunderung der Persönlichkeit eines Politikers eine stolze Nation veranlasst, ihre eigenen sachlichen Überzeugungen ihm so restlos zu opfern. Und andererseits hat sachliche Gegnerschaft gegen einen Staatsmann von so ungeheuren Dimensionen sehr selten sonst ein solches Maß von Hass ausgelöst, wie er seinerzeit gegen Bismarck auf der äußersten Linken und in der Zentrumspartei Deutschlands entstanden war. Woher kam das?

       Die Nachwirkung der gewaltigen Ereignisse von 1866 und 1870 vollzog sich, wie oft, erst an der Generation, welche zwar die siegreichen Kriege als unauslöschlichen Jugendeindruck miterlebt, von den tiefen innerpolitischen Spannungen und Problemen aber, welche sie begleiteten, keine eigene klare Anschauung hatte. In ihren Köpfen erst wurde Bismarck zur Legende. Jenes Geschlecht

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