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Außergewöhnliches. Und er war ein ausgezeichneter Klavierspieler und ein ganz liebenswürdiger Mensch; ein ganz weicher, sanfter und stiller Typ. Durch ihn hatte ich mein großes Bach-Erlebnis. Er spielte uns ein Stück von Bach in einer solchen Vollendung vor, wie ich es bis dahin noch nicht erlebt hatte. Von Musik fühlte ich mich immer schon angesprochen, aber die Welt, die sich durch sein Spiel in mir auftat, war unbeschreiblich. Ein Glücksgefühl durchströmte mich, eine Wonne, wie eine duftende Blumenwiese im Sonnenschein. Beim nächsten Treffen bat ich ihn, nochmals das Stück von Bach zu spielen. Ich setzte mich in erwartungsvoller Haltung hin und war überzeugt, mich wieder dem wohligen Genuss der Musik hingeben zu können. Josef – die Abkürzung Sepp hörte er nicht so gerne - spielte, ich hörte zu, aber es stellte sich kein Hochgefühl ein. Es waren nur Klaviertöne, schöne, aber kein erhebendes Erlebnis. Ich ließ mir meine Enttäuschung nicht anmerken, sie hatte ja nichts mit dem Klavierspiel von Josef zu tun. Ich war um eine ganz grundlegende Erfahrung reicher. Es gab da etwas, das man nicht machen kann, das man nicht willentlich herstellen kann, ein Geschenk, das sich gibt, wenn man es nicht erwartet und das sich entzieht, wenn man es erwartet. Gültigkeit gibt es nur für den Augenblick, was jetzt richtig ist, kann im nächsten Moment falsch sein. Man kann nichts festhalten, alle ist im Fluss. Das also war es, was Heraklit meinte, als er sagte: „Du kannst nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen.“ Es war eine Erfahrung, die mir die Tiefe des Lebens sichtbar machte und die für mein ganzes späteres Leben bestimmend bleiben sollte.

      Josef war mir auch in einer anderen Hinsicht ein Erlebnis. Nachdem wir uns wieder einmal bei ihm zum Trio getroffen hat-

      ten – Rainer war schon wieder nach oben in seine Wohnung gegangen -, fragte mich Josef ganz unvermittelt: „Wie würdest du empfinden, wenn dich ein Homosexueller ansprechen würde?“ Ich war schockiert, Homosexualität war für mich abartig, widernatürlich, es stand ja Gefängnisstrafe darauf, es war der § 175. „Ich wäre angewidert, aber anzeigen würde ich ihn nicht“, war meine spontane Antwort. „Das finde ich nett von dir, dass du ihn nicht anzeigen würdest“, und damit begleitete mich Josef zur Türe und verabschiedete mich. „Also, bis zum nächsten Mal.“

      Ich muss damals schon noch ziemlich naiv gewesen sein, denn erst, als wir längst auseinandergegangen waren, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass Josef homosexuell war.

      Sein unauslöschliches Verdienst blieb es, mir den Sinn für Johann Sebastian Bach eröffnet zu haben. Später versuchte ich mich an dessen Solo-Suiten; mein Scheitern daran war einer der Gründe, warum ich das Cello-Spielen aufhörte, aber auch andere Dinge spielten eine Rolle, wie zum Beispiel das Abitur, auf das es zuging und dass ich durchs Tennisspielen ziemlich in Anspruch genommen war.

      Vielleicht spielte sogar auch das Ende der Rivalität mit Peter eine Rolle. Die klassische Musik war ja für uns beide die einzig wahre, jede andere straften wir mit Verachtung. Wir fühlten uns durch unsere Leidenschaft zur klassischen Musik verbunden und herausgehoben aus der Masse, die wir auch in der an unserer Schule entstehenden Big Band vertreten sahen.

      Meine Enttäuschung von Peter war unbeschreiblich und sie begründete auch den Bruch zwischen uns, zu dem es dadurch kam: Eines Tages hatte ich im Musikübungsraum, in dem ich in der Frühe immer Cello übte, meinen Schal vergessen und wollte ihn nach Unterrichtsschluss holen. An diesem Donnerstag hatten wir noch zwei Nachmittagsstunden und als ich mich dem Musikzimmer näherte, tönte daraus schon laute Musik der Big Band. Als ich eintrat, erblickte ich Peter. Er stand am Kontrabass und schaute mich verlegen an. Ohne ein Wort zu sagen, steuerte ich auf den Stuhl zu, über dem mein Schal hing und ging wieder zur Türe. Den Rückweg wählte ich so, dass ich an Peter vorbei musste; ich zischte ihm nur ein einziges Wort zu: „Verräter!“ In der ganzen Zeit, in der wir beisammen waren, hat er nie auch nur eine winzige Andeutung gemacht, dass er nebenbei auch Kontrabass spielte und sich in der Big Band, in der von uns verpönten Musik, engagierte. Da konnte ich bei einem anderen sehen, wie das Innere beschaffen war. Das war auch ein Mosaikstein, der in das Bild eingefügt wurde, das ich mir vom Menschen machte.

      10

      Ich weiß nicht, wie viele Jahre es schon ging, als mir meine „Krankheit“ so richtig zu Bewusstsein kam. Ich bezeichnete es als Krankheit, auch wenn ich damit nicht zum Arzt gehen musste. Aber ich ging zu meinem Religionslehrer. Einmal, als er Pausenaufsicht hatte, sprach ich ihn darauf hin an. Er war der einzige, von dem ich dachte, dass ich mich ihm anvertrauen könnte. Ich hielt ja immer schon große Stücke auf ihn und glaubte, dass, wenn irgendwer, er es sei, der mir helfen könnte. So versuchte ich ihm zu schildern, was mich plagte. Es war die Musik in meinem Kopf. Völlig gleich, ob es Lieder waren, die ich gehört hatte oder klassische Musik, Opernmelodien oder Gassenhauer, immer wieder drängten sich Musik oder Gesang in mein Gehirn, und zwar gegen jeden Willen und jede Absicht. Es konnten die blödesten Lieder sein wie „Marie, do liegt a toter Fisch im Wasser, den mach ma hi“ oder das „Halleluja“ aus dem Messias, Beethovens 5. Symphonie oder ein Schlager, der gerade im Radio gespielt wurde. Ob ich für die Schule arbeitete oder auf dem Tennisplatz stand, immer wieder drängten sich Lieder auf und ich fand kein Mittel, sie loszuwerden.

      Auf seine Antwort war ich sehr gespannt; würde er mir helfen können, kannte er so etwas und fand dafür eine Erklärung und einen Hinweis, wie ich damit umgehen könnte?

      „Wenn es religiöse Lieder sind, dann ist es gut, und wenn es dumme Schlager sind, dann ist es schlecht“, war seine lapidare Antwort. Da stand ich nun, und über eines war ich mir sicher: Er hatte keine Ahnung. Und wieder kam ein Mosaiksteinchen hinzu mit der betrüblichen Erkenntnis: Meine Probleme muss ich selber lösen. Diese Erkenntnis war es vielleicht auch, die mich später, als es mir so schlecht ging, dazu bewog, weder einen Psychothera- peuten noch einen Psychiater ins Vertrauen zu ziehen.

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