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die Rede auf Dinge zu lenken, die mich interessierten und ich ins Reden kam und von meinen eigenen Gedanken überrascht und überwältigt war, fühlte ich mich zu Hause immer wie ausgebrannt, wie wenn ich Geld ausgegeben hätte, das mir nicht gehörte.

      Dennoch versuchte ich auch, den anderen zuzuhören und auf das einzugehen, was sie bewegte. Ich war ein religiöser Mensch und bemüht, das was Jesus sagt, in meinem Leben umzusetzen, und da steht ja bekanntlich das Interesse am anderen obenan, was mit Nächstenliebe bezeichnet wird. Vielleicht tue ich anderen unrecht, wenn ich behaupte, dass man einen religiösen Menschen heute mit der Lupe suchen muss, und damit meine ich einen Menschen, der das zu leben versucht, was im Neuen Testament steht und nicht nur die konventionellen religiösen Formen vollzieht. Und das kann jemand sein, der sich selbst gar nicht als religiös einstufen mag, weil er sich von den Menschen, die vorgeben, religiös zu sein, abgestoßen fühlt. Wichtig ist nicht, wozu sich einer bekennt, sondern wie er handelt. Nicht, was einer sagt ist der Maßstab, nach dem er beurteilt wird, sondern wie sich einer verhält. Und da klafft bei vielen zwischen Reden und Tun doch eine große Lücke.

      Dass ich religiös bin, ist kein persönliches Verdienst, ich habe überhaupt nichts dazu getan, ich habe mich so vorgefunden. Meine Mutter erzählte mir, wie ich schon mit vier Jahren kaum vom Rockzipfel einer Ordensschwester wegzubringen war, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot wie zum Beispiel bei einem Besuch in einem Krankenhaus, das damals noch oft von Ordensschwestern geführt wurde.

      Ob es mit meiner Religiosität zusammenhing oder einfach mit meinem Menschsein, vermag ich gar nicht zu sagen. Seit ich denken kann war ich bemüht, kein ichhafter Mensch zu sein; ob mir dabei die Religion den Weg dazu wies oder ob ich durch die Religion erst darauf gestoßen wurde, weiß ich gar nicht. Tatsache ist, dass ich immer ein schlechtes Gewissen hatte, wenn ich mich bei ichhaftem Verhalten ertappte oder mich ertappt fühlte. Es war mir furchtbar peinlich und ich schämte mich vor mir selbst, wenn ich mir eingestehen musste, dass ich aus egoistischen Gründen gehandelt hatte, was sich bei ganz alltäglichen Situationen einstellte, zum Beispiel, wenn ich mir beim Essen schnell das leckerste Stück angelte, damit es keinem anderen in die Hände fiel. Oft merkten es die anderen gar nicht, wenn es aber der Fall war, dann wäre ich am liebsten im Boden versunken.

      Mir kam der Verdacht, dass ich überhaupt nicht weniger ichhaft war als alle anderen, dass ich die Religion benützte, um mich als Ich in den Vordergrund zu schieben, also als Vorwand, um mich wichtig zu machen. Da befand ich mich in einer grotesken Situation: Mein ganzes Bemühen kreiste darum, nicht ichhaft zu sein und mein Leben auf Gott auszurichten, und genau darin lag meine Ichhaftigkeit. Da stellte sich mir die Frage, wie ernst es mir nun mit der Religion war, deren Kern ja darin lag, das Ich zu transzendieren. Ging es mir nun im Innersten darum oder wollte ich mich nur damit wichtig machen? Und ich kam zu der Überzeugung, dass beides richtig war, dass beides ganz nahe beieinander lag und dass es genau darum ging, sich auf die richtige Seite zu schlagen.

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      Bei dem gescheiterten Versuch, Akkordeon zu lernen, blieb es nicht. Immer, wenn ich andere Musikmachen sah, sei es bei Schulveranstaltungen oder bei anderen Gelegenheiten, war ich begeistert, wenn einer sein Können vorführte. Es sah immer so leicht aus und ich dachte: „Das lernst du auch.“ So sammelten sich bei mir nach und nach Instrumente an, die ich alle angefangen und bald wieder aufgegeben hatte. So hängt heute eine Gitarre an der Wand, eine Posaune steht im Eck und die Piccoloflöte stammt von meinem Vater.

      Als ich ans Gymnasium kam, wurden wir vom Musiklehrer gefragt, wer ein Instrument lernen wollte. Es wurden verschiedene Instrumente genannt, für die es Lehrer gab, die Unterricht erteilen würden, unter anderem Geige, Trompete, Querflöte und Cello. Ich hatte keine Ahnung, was ein Cello war und meldete mich dafür. Als ich meinem Vater von meinem Entschluss erzählte, war er nicht gerade begeistert. Ich konnte es ihm nicht verdenken, denn mein Durchhaltevermögen war ja bekannt. „Ein Cello kann ich dir nicht kaufen, was glaubst du, was das kostet!“ Aber das hinderte mich nicht daran, Cello zu lernen, denn die Schule stellte Instrumente zur Verfügung. Zum Üben ging ich jeden Tag eine Stunde vor Unterrichtsbeginn in die Schule und spielte Cello, und das von der fünften bis zur elften Klasse! Dass es genau das Instrument war, das zu mir passte, hat niemand ahnen können; aber das war offensichtlich der Grund, warum ich zu großen Opfern bereit war, darin vorwärts zu kommen. Dabei empfand ich es gar nicht als Opfer. Früh aufstehen machte mir nichts aus und die Schule war zu Fuß in 15 Minuten zu erreichen. Mein Vater wählte das Gymnasium nach gut überlegten Gründen: Es war ein wirtschaftswissenschaftliches Gymnasium und er erkannte ganz richtig, welch wichtige Rolle die Wirtschaft in unserem Leben noch spielen würde, und es war leicht zu Fuß zu erreichen. Dass es für mich keinen größeren Missgriff hätte geben können, konnte er nicht ahnen und ich machte es ihm auch nie zum Vorwurf. Stenographie und Schreibmaschine zu lernen war ja noch recht hilfreich, aber Buchführung und Wirtschaftslehre war für mich eine derart tote und uninteressante Welt, dass es nur jemand überstehen konnte, der so introvertiert war wie ich. Die Innenwelt war mir viel wichtiger als die konkrete Realität. Ob ein Raum schön oder hässlich war, eine warme oder kalte Atmosphäre hatte, bedeutete mir nichts. Ob jemandem eine Kleidung stand, ob der Rock zur Bluse oder das Hemd zum Sakko passte oder nicht, konnte ich überhaupt nicht beurteilen. Mir war wichtig, wie etwas funktionierte, ein Wecker etwa, und da war keiner vor mir sicher. Im Zerlegen war ich Meister, aber die Feder wieder so an ihren Ort und in die richtige Lage zu bringen, dass die Uhr hinterher wieder funktionierte, das war nicht immer der Fall.

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      Ich war nicht der einzige, der sich für Cello gemeldet hatte. Nach wenigen Jahren entstand eine richtige Konkurrenz unter uns Celloschülern, es ging ja auch darum, wer im Orchester die Solopartie spielen durfte, wenn eine vorkam. Und da war ich wieder hin- und hergerissen. Einerseits stieg schon so etwas wie Neid in mir auf, gerade wenn Peter die herausragenden Passagen spielen durfte, wobei es vielleicht sogar weniger Neid als das Gefühl war, hintangesetzt zu werden. Im Grunde waren wir beide gleich gut, Peter hatte den kräftigeren Strich, während ich lieber weicher spielte. Andererseits hatte ich furchtbare Angst davor, gerade bei den Passagen, wo das Cello richtig herauszuhören war, zu patzen. Oft geschah es, dass ich gerade an den Stellen, bei denen ich es nie gedacht hätte, einen Fehler machte, während Passagen, die bei den Proben nie klappten, in der Aufführung fehlerfrei kamen. Ich wollte herausfinden, warum man an den Stellen, die man sicher beherrschte und wo man es nicht gedacht hätte, Fehler machte und andere Stellen, mit denen man immer Schwierigkeiten hatte, problemlos gingen. Ich sah noch keine Lösung, obwohl da die Rolle des Zwerges schon sichtbar gewesen wäre.

      Unser Cellolehrer hatte große Pläne; er wollte ein reines Celloorchester aufbauen. Peter und ich waren dafür durchaus vorgesehen, aber es kam nie dazu.

      Die Konkurrenz zwischen mir und Peter war – jedenfalls von mir her – nicht mit bösen Gedanken verbunden wie etwa Missgunst, sondern sie war mir ein Ansporn, mein Bestes zu leisten.

      Klassische Musik zu spielen war mir allmählich zum Bedürfnis geworden, nachdem ich mein einschneidendes Bach-Erlebnis hatte. Cello ist ja eigentlich kein Soloinstrument, sondern zur Geltung kommt es erst im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten. So ergab sich zwangsläufig das Bedürfnis - als ich nach einigen Jahren ganz ordentlich spielen konnte -, sich nach Leuten umzuschauen, die Geige bzw. Klavier spielten. Im Trio zu spielen war etwas Wunderbares; es gab viele leichte Stücke, ich musste nur Leute finden, die mir nicht zu weit voraus waren, damit ich nicht der Hemmschuh wäre. Ein Geiger fand sich schnell; er hieß Rainer und war ein Klassenkamerad, der schon vor seiner Schulzeit angefangen hatte, Violine zu spielen und auch jetzt immer noch Privatunterricht nahm. Er spielte viel zu gut für mich, aber da auch er auf der Suche war, und die Cello-Partien in Trios in der Regel leichter als die für Geige und Klavier waren, fanden wir uns zusammen. Klavier könnte einer spielen, der im Hause von Rainer wohnte. Er war bedeutend älter als wir und ein hervorragender Klavierspieler. Durch ihn erlebte ich zum ersten Mal Dimensionen, die mir zeigten, in welch verschiedenen Welten wir Menschen leben: Er hatte das absolute Gehör. Bis dahin wusste ich gar nicht, was das war und dass es so etwas geben könnte, und ich konnte es auch nicht glauben. Josef war gerne bereit, sich von mir

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