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ich nicht Mutters Ohrringe suchen müssen. Es fiel mir erst im letzten Augenblick ein, ich wollte sie heute tragen. Aber wie Sie sehen, sie haben sich nicht angefunden. Dabei sind sie immer in meiner Schatulle.“

      Die Schatulle hatte Juchata von ihrer Mutter geerbt, sie enthielt so manches Stück, meist Schmuck, doch auch andere Sachen, deren Bedeutung Juchata nicht einmal erahnte.

      „Es ist schon gut, nun bist du ja da.“ Als Vincus seiner Tochter gegenüber stand, küsste er sie vorsichtig auf die Stirn, ein seltenes Zeichen der Zuneigung.

      „Wie schön sie ist, fast so groß wie ich, doch hat sie die Linien ihrer Mutter,“ dachte er. Für einen Augenblick wollte er alles absagen, fühlte, dass es nicht richtig war und nur seinem Zweck diente, doch wischte er diese leisen Zweifel weg, bevor sie zu etwas Größerem heranwachsen konnten.

      Juchata nickte nur stumm, während Vincus ihre Hand nahm, sich umdrehte und den Arm hob, so dass beide mit den Händen auf Brusthöhe voran in das Hochzeitsgemach schreiten konnten. Das Gemach war für Juchatas Geschmack zu aufwendig geschmückt. Bunte Tücher hingen von der Decke, die in den Ecken des großen Raumes befestigt waren. In der Mitte stand ein arcinerner Tisch, von Kissen umzingelt, auf denen bereits die beiden Freier saßen. Überall standen prächtige Gefäße mit den teuersten Nachtgewächsen, die in allen Farben blühten und einen betörenden Duft verströmten. Juchata wich diesen Pflanzen aus, wusste sie doch um deren giftige Gefährlichkeit, wenn man ihnen zu nahe kam. Doch heute würde ihr kein Missgeschick dieser Art geschehen.

      Die Mütter hatten auf den Sitzen weiter hinten Platz genommen, saßen auf den niedrigen Liegen und tuschelten erregt miteinander als die Braut und Vincus eintraten. Wenn Juchata unsicher oder aufgeregt gewesen sein sollte, sah man es ihr nicht an. Sie schritt selbstsicher auf den erhöhten Stuhl vor dem Tisch, überragte somit alle anderen. Selbst Gladicus wirkte winzig gegen die Gestalt Juchatas auf ihrem Thron. Der General war vollständig versteinert, als sie eintrat, konnte seinen Blick nicht von ihr lassen. Er betete sie bereits jetzt an, was immer sie sagte, er würde gehorchen. Calavus hatte den Kopf zur Seite gelegt, seine Lippen spielten mit einem Lächeln, das schlecht einzuschätzen war, vielleicht heimtückisch, vielleicht ironisch, eventuell aber auch erfreut. Er beherrschte das Mienenspiel bereits wie ein Alter, nur hin und wieder zeigte er sein wahres Gesicht. Juchata konnte er nicht täuschen.

      Bevor sie sich setzte, schaute Vincus ihr nochmals kurz in die Augen.

      „Was ich dir eigentlich sagen will, kann ich dir nicht sagen. Tue heute das Richtige, was immer das auch sein mag. Vielleicht bin ich ein alter Narr und du tust recht daran, abzulehnen, was ich dir vorgesetzt habe. Wer weiß das schon. Wenn nicht, verzeih mir. So weit sind wir gekommen, so viel steht auf dem Spiel, doch die Schuld kannst du mir nicht nehmen. Was immer heute geschieht.“ Vincus sagte nichts, dachte nur, sein Blick intensiv, seine grauen Augen hart wie Stahl.

      Juchata nickte kurz als hätte sie ihn gehört, seine intimsten Gedanken gelesen. Es war ihr Vater, der den Blick mit ihr brach, nur durch ein Blinzeln und Juchata war sich später nicht sicher, ob es stimmte, was sie beobachtet hatte. Vincus schaute auf die Szene vor ihm, die erwartungsvollen Gesichter ruhten auf ihm. Dann sprach er die Worte in Noctus, der alten Sprache der Vorfahren und eröffnete damit die Zeremonie. Jetzt kam Ketauro hinzu, der gewartet hatte, bis Vincus fertig war. Auch er sprach dieselben Worte in der antiken Sprache, die kaum noch jemand verstand. Sie gaben der bevorstehenden Zeremonie etwas Feierliches, etwas, das höher und damit reiner war. Uralte Traditionen, die sie schon so lange ausführten, dass sich ihr Sinn verwässert und aufgelöst hatte. Doch Ketauro wich ab, nur Nuancen und ein unwissender Nocturn hätte kaum verstanden. So wählte Ketauro statt des Wortes „Resnja“, das Liebe bedeutete, den Begriff „Resnjasata“, der eher Freundschaft, im anderen Kontext aber auch Feindschaft bedeuten konnte. Zweifellos hatte Vincus seine Hand im Spiel, eine letzte Botschaft an sie?

      Juchata konnte jeder Silbe folgen, denn sie sprach Noctus. Calavus sicher auch und sie wusste, dass auch er verstanden hatte, was Ketauro, der es wie kein Zweiter verstand, Vincus zu unterstützen und blind zu verstehen, hatte sagen wollen. Selbst wenn es eine Nachricht an sie war, regte sich Widerstand in ihr. Sie hatte es nicht nötig, so gegängelt zu werden und ihre gefürchtete Wut stieg in ihr auf. Juchata schüttelte leicht den Kopf, ihre roten Locken kamen in Wallung, womit sie alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie ärgerte sich bereits über diese Regung und nahm sich vor, ab jetzt nicht mehr zu reagieren. So wie ihr Vater es sie gelehrt hatte.

      Dann verstummten die Worte, sie hallten jedoch noch lange im Raum nach, was Juchata und wer weiß noch wer spürte. Dann verließen Vincus und Ketauro das Gemach. Die Mütter reichten der Tradition folgend Erfrischungen, herrliche Speisen aus Nakreet, aber auch Früchte von den Bäumen der Felder, die kaum noch trugen, bedienten die Drei, bevor auch sie, nachdem sie die besten Wünsche ausgesprochen hatten, das Zimmer verließen.

      Vincus und Ketauro versiegelten den Saal. Flüssiges Arcin wurde in eine Einrichtung an der Tür gegossen, noch bevor es erhärtete, presste Vincus seinen Siegelring darauf. Sofort erstarrte das Metall. Ketauro beschwor den Fluch, der jeden treffen sollte, der es wagte, das Siegel zu brechen. Nur Juchata durfte es tun, aber erst, wenn sie ihre Wahl getroffen hatte. Oder sie eine Wahl ablehnte.

      Dann waren Juchata, Gladicus und Calavus allein. Keiner wagte zu sprechen, die Stille erschien allen beinahe unerträglich. Gladicus war der Erste, der sich rührte, allerdings anders, als er sich vorgestellt hatte. Aus lauter Nervosität griff er eines der Häppchen, doch viel zu hastig, so dass es in hohem Bogen durch die Luft flog und mit einem sanften Klatschen auf den nackten Boden fiel. Juchata lachte laut auf, während Calavus die Stirn runzelte.

      Gladicus sprang auf und versuchte, das kleine Ungeschick zu beseitigen.

      „Lass gut sein, Gladicus, das machen später die Diener. Es ist in Ordnung, wir sind alle nervös. Mach dir nichts daraus.“ Freundlich lächelte Juchata Gladicus zu, der sich dadurch beruhigte und selbst langsam ein entspannteres Lächeln zeigte. Das gefiel Calavus nicht, doch sagte er nichts, seine Miene jedoch verriet Hohn und Spott für seinen Konkurrenten, denn er spürte, dass der General ihm nicht gewachsen war.

      Gladicus hatte Mut gefasst. Zwar fühlte er sich auf dem Schlachtfeld sicherer, zog sogar den ärgsten und kräftigsten Feind dieser Situation vor, doch war es jetzt nicht zu ändern.

      „Was machen wir jetzt? Juchata, wen von uns willst du wählen?“

      Die direkte Art des Soldaten gefiel Juchata, der schmachvolle Blick des Kriegers erinnerte sie jedoch daran, dass sie diesen Nocturn niemals würde respektieren können.

      Calavus mischte sich ein, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. „Warum die Eile, mein Freund. Lasst uns erst mal tafeln und etwas reden. Danach ist für wichtige Entscheidungen immer noch Zeit.“

      Beide Freier sahen Juchata an, die jetzt nachdenklich auf ihrem Thron hin und her rutschte.

      „Calavus hat recht“, sie bereute diese Worte in dem Moment, in dem sie sie sagte, denn einen Gegner wie Calavus baute man nicht auf. „Ich habe noch nicht entschieden und um ganz ehrlich mit Euch zu sein, ich brauche auch noch etwas Zeit. Lasst uns reden. Vielleicht hilft das.“

      Gladicus schaute auf den Boden, das war nicht sein Terrain, zu schlüpfrig und ungewohnt. Calavus hingegen schien bester Laune.

      „Gladicus, mein Freund, warum so trübsinnig? Jetzt sind wir hier beisammen, warum nicht ein wenig Spaß haben und unsere Gesellschaft genießen? Oder bist du etwa unzufrieden mit uns?“

      „Das ist es nicht. Ich mag euch beide.“ Juchata glaubte ihm das sogar, denn sie hielt den Kämpfer für einen einfachen und aufrichtigen Nocturnen, der keine Erfahrung mit Täuschungen und Lügen hatte. Er fuhr fort.

      „Ich weiß, ich bin nicht der beste Redner. Juchata, bitte wähle mich, ich liebe dich, habe dich bereits geliebt, als wir uns das erste Mal sahen.“

      Dieser Ausbruch traf Juchata, obwohl sie auf die direkte Art des Soldaten vorbereitet war.

      Calavus kam ihr zuvor.

      „Also, mein Freund, ich bitte dich. Nun lass sie doch in Ruhe. Sie wird sich

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