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daß du einmal für Geld gearbeitet hast, wenn wir jetzt aufs Land ziehen und mit Leuten unseres Standes verkehren. Sollten die Leute erfahren, daß du einmal in Stellung warst –«

      »Ach, Mutter, das ist doch Unsinn!« Marjorie verlor schließlich die Geduld. »Du glaubst doch nicht etwa, daß wir etwas Besseres geworden sind, nur weil Onkel Alfred uns jetzt so viel Geld schickt, damit wir ohne Sorgen auf dem Lande leben können? Meinst du vielleicht, heutzutage stößt man sich noch daran, daß ein junges Mädchen als Stenotypistin bei einem Rechtsanwalt tätig ist?«

      »Du bist keine Stenotypistin, du bist eine Privatsekretärin«, verwahrte sich Mrs. Stedman energisch. »Ich bestehe darauf, daß du deine Stellung nicht schlechter machst, als sie in Wirklichkeit ist. Es ist ganz ausgeschlossen, daß du dich eine Stenotypistin nennen kannst, Liebling. Ich habe all meinen Freunden erzählt, daß du die Absicht hast, Jura zu studieren und vorläufig informatorisch bei einem Rechtsanwalt als Volontärin arbeitest.«

      Marjorie seufzte resigniert.

      »Um Himmels willen!« sagte sie dann entsetzt.

      »Du darfst unsere jetzige Lebensweise nicht mit unserer Haushaltung im nächsten Monat vergleichen«, fuhr Mrs. Stedman selbstbewußt und befriedigt fort. »In einem Jahr, wenn dein Onkel noch reicher geworden ist, kaufen wir das schöne Haus zurück, in dem ich geboren bin. Ich habe dir ja schon so viel von unserem Familiensitz erzählt.«

      Marjorie wußte nur zu gut, daß der Familiensitz aus dreieinhalb Morgen Ackerland und einem Garten bestand. Früher hatte sie eine Reise nach Tynewood gemacht –

      Tynewood! Das mußte doch derselbe Ort sein, wo das Schloß von Sir James lag! Sie war gespannt, ob ihre Vermutung stimmte, und nahm sich vor, Mr. Vance bei der nächsten Gelegenheit danach zu fragen.

      Als sie zur Stadt fuhr, dachte sie wieder an die Erlebnisse des vergangenen Abends. Welche Gewalt mochte Pretoria-Smith über Sir James Tynewood haben? Niemals würde sie vergessen, wie totenbleich der Baron wurde, als er den Mann in dem abgetragenen grauen Anzug sah. Wie entgeistert hatte er den anderen betrachtet, und welche Verachtung lag in den Blicken von Pretoria-Smith! Wußte er von einem Vergehen des jungen Mannes, das ihm Macht über diesen gab? Wollte er ihn vielleicht erpressen?

      Aber das konnte sie sich kaum vorstellen. Der Gesichtsausdruck dieses Fremden war zu offen und aufrichtig. Niemals würde er eine solche Schurkerei begehen. Sie hatte die Gabe, den Charakter der Menschen von ihren Gesichtszügen abzulesen, und wenn sie jemals Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit in den Augen eines Mannes gesehen hatte, so hatte sie diese Eigenschaften bei Pretoria-Smith entdeckt.

      Sie kam eine halbe Stunde früher ins Büro als sonst, denn sie wollte unbedingt zugegen sein, wenn Mr. Vance von außerhalb anrufen würde. Aber sein Anruf kam erst gegen elf.

      Sie erzählte ihm von dem seltsamen Besuch, den sie am Abend vorher erhalten hatte.

      »Was, Mr. Smith von Pretoria war da?« fragte er aufgeregt. »Ich hatte ihn erst in einer Woche erwartet. Ich komme sofort in die Stadt.«

      »Er hat aber keine Adresse hinterlassen.«

      »Das macht nichts. Ich weiß, wo ich ihn erreichen kann. Hat er etwas gesagt?«

      »Nein.«

      Sie berichtete ihm dann noch von dem merkwürdigen Zusammentreffen des Fremden mit Sir James.

      »Die beiden haben sich in unserem Büro getroffen? Was ist denn passiert?« fragte er ängstlich.

      »Nichts weiter. Nur sah Sir James sehr niedergeschlagen und verstört aus und ging gleich darauf.«

      Eine lange Pause folgte, und Marjorie glaubte schon, daß Mr. Vance aufgehängt hatte. Aber plötzlich hörte sie seine Stimme wieder.

      »Ich komme mit dem Zug elf Uhr fünfundvierzig und bin kurz vor eins im Büro. Sehen Sie zu, daß Sie bald zu Tisch gehen, Miss Stedman. Haben Sie übrigens die Morgenzeitungen schon gelesen?«

      »Nein«, erwiderte sie etwas überrascht. »Gibt es eine besondere Neuigkeit?«

      »Sir James Tynewood hat sich mit der bekannten Schauspielerin Alma Trebizond verheiratet«, entgegnete er grimmig. »Das wird noch böse Schwierigkeiten in der Familie geben!«

      Marjorie war erstaunt, aber sie sollte an diesem Tag noch mehr merkwürdige Dinge erleben.

      Im Lauf des Morgens kam ein etwas behäbiger und gutmütig aussehender Herr von offenbar mosaischer Konfession ins Büro. Mr. Vance ließ neue Klienten gewöhnlich von seinem Bürovorsteher empfangen. Da sich Mr. Herman aber auch auf einem Erholungsurlaub befand, fiel Marjorie diese Aufgabe zu.

      »Sind Sie die Privatsekretärin von Mr. Vance?« fragte der Fremde vertraulich. »Können Sie es nicht möglich machen, daß ich Ihren Chef heute noch spreche?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Mr. Vance kommt allerdings in einer sehr dringenden Angelegenheit in die Stadt, aber ich glaube nicht, daß er die Absicht hat, sich außerdem noch mit geschäftlichen Dingen zu befassen. Kann ich vielleicht etwas für Sie tun?«

      Er legte seinen Hut sorgfältig auf den Tisch, nahm eine große Brieftasche heraus und zog ein Schriftstück daraus hervor.

      »Es ist kein Geheimnis. Ich muß Mr. Vance noch irgendwann vor Montag sehen, und wenn das nicht möglich sein sollte, möchte ich Sie bitten, ihm auszurichten, daß Mr. Hawkes von der Finanzfirma Hawkes and Ferguson wegen der Schulden von Sir James Tynewood vorgesprochen hat.«

      »Kommen Sie, weil der Baron Schulden gemacht hat?« fragte sie erstaunt.

      Er nickte.

      »Der junge Herr schuldet mir fünfundzwanzigtausend Pfund. Die hat er sich auf Schuldscheine so allmählich zusammengeborgt. Ich bin jetzt aber ein wenig ängstlich geworden. Wenn Wechsel fällig sind, gibt er mir neue und borgt immer noch mehr dazu. Und ich möchte doch erst einmal mit Mr. Vance sprechen, bevor ich ihm überhaupt noch weitere Gelder vorstrecke.«

      »Aber Sir James ist sehr reich!«

      »Gewiß – und ich bin sehr arm«, erklärte Mr. Hawkes mit einem breiten Grinsen. »Vor allem möchte ich etwas von meinem Geld wiedersehen.«

      »Haben Sie schon mal mit Mr. Vance darüber gesprochen?«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Nein. Sir James hat mich gebeten, nicht zu seinem Rechtsanwalt zu gehen. Aber ich muß sagen, daß die Affäre jetzt doch etwas zu weit gediehen ist. Ich bin ein Geschäftsmann und habe keinen Respekt vor Titeln. Ganz offen gesagt, ich bin ein Demokrat. Bis jetzt bin ich seinem Wunsch auch nachgekommen, aber nun geht es nicht mehr anders. Ich muß wenigstens einmal eine Abschlagszahlung bekommen. Als Geldverleiher kenne ich natürlich auch meine Kollegen, und von denen habe ich erfahren, daß Sir James nicht nur von mir Geld geliehen hat, sondern auch von Crewe and Jacobsen, von Bedsons Limited und von einem halben Dutzend anderer Firmen. Ich weiß ganz genau, daß er in den Lokalen im Westen dauernd flott und verschwenderisch auftritt, obwohl er bis über die Ohren in Schulden steckt. Der Autofirma in Bond Street schuldet er noch dreitausend Pfund für den Wagen, den er Miss Alma Trebizond geschenkt hat. Als ich heute morgen seine Vermählungsanzeige in der Zeitung las, sagte ich zu mir: ›Jetzt ist es Zeit, dich einmal nach deinem Geld umzusehen.‹ Wenn einer Geld zum Heiraten hat, dann hat er auch Geld, um seine Schulden zu bezahlen.«

      Er lachte über diesen faden Witz und neigte sich vertraulich zu Marjorie.

      »Sehen Sie, ich bin ein Kaufmann. Sie stehen ja wohl mit beiden Beinen auf der Erde und werden mich verstehen. Ich sage Ihnen ganz offen, daß ich wegen meines Geldes etwas ängstlich geworden bin. Und wenn Sie es bei Mr. Vance durchdrücken können, daß meine Forderung zuerst berücksichtigt wird, zahle ich Ihnen eine anständige Provision.«

      »Da täuschen Sie sich in mir. Ich habe nicht die Gewohnheit, auf solche Weise Geld zu verdienen«, entgegnete sie kühl. »Und ich möchte auch nicht mit Ihnen über derartige persönliche Angelegenheiten sprechen. Ich bin zwar die Privatsekretärin von Mr. Vance, aber ich

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