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Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte. Frank Hille
Читать онлайн.Название Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte
Год выпуска 0
isbn 9783737538183
Автор произведения Frank Hille
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Kein Beinbruch“ sagte Richter „dazu braucht man Gefühl. Schieben Sie den Hebel wieder in die Mitte, das ist der Leerlauf, ich lasse den Motor an.“
Als der Diesel wieder tuckerte unternahm Peters Vater den nächsten Versuch, es missglückte wieder und der Traktor machte einen Satz vorwärts, aber beim dritten Anlauf ließ er das Pedal langsam und vorsichtig los, und die Maschine rollte an.
„Jetzt Gas geben“ rief Richter, und als Walther Becker das Pedal nach unten drückte setzte sich das Fahrzeug gemächlich in Bewegung. Peter war euphorisch, sein Vater lenkte einen Traktor, ohne vorher jemals so eine Maschine dirigiert zu haben. Als Richter ihm bedeutete den nächsten Gang einzulegen gelang es ihm ohne Mühe.
„Halten Sie mal an“.
Er sprang von der Maschine die vor sich hin tuckerte, stellte sich daneben und wartete, dass der Pferdewagen herankam.
Sein Großvater sah seinen Sohn ungläubig an, der Bauer konnte Traktor fahren. Walther Becker konnte ein triumphierendes Lächeln nicht unterdrücken und der Großvater schlug ihm anerkennend auf die Schulter.
„Du Teufelskerl, das ging ja schnell.“
Peter sah, wie erleichtert sein Vater war, und von seinem Gesicht ging ein Strahlen aus, das Peter bei ihm selten gesehen hatte. Dieser bedächtige und ruhige Mann, der nie davor ein Interesse für Maschinen gezeigt hatte und diese nicht für erforderlich gehalten hatte, hatte sich selbst und seine Zweifel überwunden, den Traktor nicht beherrschen zu können. Keiner wusste, dass er in den vorigen Nächten keinen Schlaf gefunden hatte, denn es war ihm sehr bewusst gewesen, dass er selbst die Maschine in das Dorf fahren musste, wenn er nicht zum Gespött der anderen Bauern werden wollte. Nur seine Frau sah ihn in den Tagen vor der Abholung abends manchmal heimlich in dem Handbuch blättern, das er von dem ersten Besuch beim Händler mitgebracht hatte. Er lernte die Handgriffe zur Bedienung der Maschine auswendig aber ahnte, dass es durchaus etwas anderes sein würde, dies dann tatsächlich zu tun, und seine Unsicherheit war groß gewesen, ob er die Sache meistern könnte.
Jetzt war er bereit, sich die Qualen der letzten Tage mit einem gekonnten Einzug in das Dorf vergelten zu lassen. Es lag ihm fern sich als besser hinstellen zu wollen als die anderen, aber sie sollten sehen, dass er als einer der ersten in der Lage war, den Fortschritt in ihr Dorf zu bringen, auch wenn er sich selbst lange dagegen gesträubt hatte.
Die Männer besprachen noch sich noch einmal kurz, dann stieg der Vater auf den Fahrersitz und Richter hockte hinter ihm, nur für den Fall, dass es ein Problem geben könnte, es sollte eine perfekte Vorstellung werden.
Einzug ins Dorf, Ostpreußen, Ende der 1930iger Jahre
Sie hatten vereinbart, dass der Großvater und Peter mit dem Pferdewagen vorfahren sollten, um möglichst viele Neugierige an die Dorfstraße zu locken. Die Rechnung ging auf. Am späten Nachmittag dieses Sonnabends saßen viele der Bauern schon auf den Bänken vor ihren Höfen, nur noch wenige waren auf den Feldern und die Fischer fuhren ohnehin schon in der Frühe auf die Seen hinaus, sie waren mit ihrer Arbeit für diesen Tag fertig. Natürlich hatte es sich herumgesprochen, dass der Becker Bauer heute seinen Traktor holen wollte, so ganz zufällig hatten sich die Zuschauer also nicht eingefunden. Der Traktor tuckerte die Dorfstraße entlang. Peters Vater hatte sich die Mütze tief in die Stirn geschoben um die Anspannung, die sich in seinem Gesicht spiegelte, nicht zu zeigen, dennoch steuerte er die Maschine so, als hätte er seinen Lebtag lang nichts anderes getan. Als er in den zweiten Gang schalten wollte knirschte es zwar vernehmlich, aber nach einem kurzen Ruck wurde der Traktor noch schneller und die nebenher laufenden Jungen des Dorfes hatten Mühe der Maschine zu folgen. Richter hatte dem Vater eingeschärft, dass er beim Erreichen des Hofes im ersten Gang fahren sollte, schließlich war eine Kurve zu nehmen um vor das Haus zu rollen. Den schwierigsten Teil der Strecke absolvierte der Vater souverän, er gab er Zwischengas, schaltete herunter, und nahezu elegant bog er auf den Hof ein, dort brachte er die Maschine zum Stehen. Der Motor ging aus und der Vater kletterte langsam von der Maschine herunter. Richter war bereits abgestiegen und sah ihn grinsend an, er klopfte ihm auf die Schulter, sagte etwas, und der Vater lachte lauthals. Dann ging er lässig auf seine Frau zu und küsste sie, so etwas tat er vor anderen sonst nie. Als er seine Mütze abnahm sah Peter, dass sein Haar klatschnass am Kopf klebte, das lag nicht nur an der Wärme die die Sonne noch ausstrahlte. Er hatte allen gezeigt, dass auch ein einfacher Bauer eine dieser neuen Maschinen beherrschen konnte.
„Na bitte“ meinte Richter „das war doch eine perfekte Vorstellung. Morgen können Sie unbedrängt ohne Gaffer auf dem Feld weiter üben. Nach und nach werden Sie die Maschine immer besser beherrschen und Sie werden sehen, dass der Traktor eine große Hilfe sein wird.“
„Das hast du gut gemacht, mein Junge“ sagte der dazugekommene Großvater zu Peters Vater „und auf dieses Ereignis sollten wir uns heute Abend ein paar Biere und Schnäpse gönnen. Wir können dann ja noch ein wenig über die alten Zeiten plaudern Herr Richter.“
„Diese Zeiten sind für mich immer noch mit vielen schlechten Träumen verbunden“ sagte Richter und Peter hörte genau zu „ich sehe noch die Leichenberge vor mir, die zerstörte Landschaft, das Chaos. Als es in den Krieg ging war ich genauso begeistert wie alle anderen und dachte, das wird ein Spaziergang, eine Art Abenteuer eben. Dass dieses Abenteuer für Millionen dann im Massengrab geendet hat ist wenig später die Wirklichkeit gewesen. Ich war an der Westfront in Frankreich und habe monatelang dort im Trommelfeuer gelegen. Jeden Tag sind Männer aus meiner Kompanie gefallen. Erschossen, in Unterständen erstickt, von Granaten zerrissen, von Bajonetten aufgespießt. Trotz der riesigen Verluste kamen wir kaum voran, und wenn, dann warfen uns die Franzosen oder die Engländer bald wieder zurück. Wir stehen jetzt schon wieder kurz vor einem neuen Krieg und ich sage Ihnen, der wird für Deutschland nicht anders enden als der erste große. Glauben Sie mir, Hitler will Krieg.“
„Wir kennen uns erst ein paar Stunden und Sie reden so mit uns“ sagte der Großvater überrascht „was wäre, wenn einer von uns Sie anzeigen würde?“
„Das wäre mir egal“ antwortete Richter „ich habe vielleicht noch ein Jahr, so sagt es jedenfalls mein Arzt. Meine Lungen arbeiten nur noch mit ganz schwacher Leistung. Und was ich Ihnen gesagt habe wird so werden, glauben Sie mir.“
Peter Becker würde die Worte Richters lange in Gedächtnis behalten. Dass sie für ihn und seine Familie zur schrecklichen Wahrheit werden würden ahnte er an diesem schönen Sommertag noch nicht.
Treck, Ostpreußen, 1945
Die Kolonne der Pferdewagen bewegte sich langsam über die Straße. Die Alten saßen oben auf den mit Habseligkeiten vollgepackten Gefährten, die Frauen und die wenigen Männer gingen zu Fuß neben der Prozession einher, und die halbwüchsigen Kinder mussten den Boden auch unter ihre Füße nehmen. Nur ab und an durften sie ein Stück auf den Wagen mitfahren, schließlich galt es die Pferde zu schonen, denn ihr Ziel lag noch weit vor ihnen. Mit der Zeit hatte sich so etwas wie Routine eingeschlichen, und wenn wieder russische Flugzeuge erschienen flüchteten die Menschen in alle Richtungen, um den Jägern keine lohnenden Ansammlungen von Zielen zu bieten. Um ihr Hab und Gut kümmerten sie sich in solchen Momenten nicht mehr, vielmehr galt es jetzt nur noch mit heiler Haut davon zu kommen. Der Kolonnenführer, der Bürgermeister ihres Dorfes, war schon aufgrund seiner Statur eine Respektsperson, fast zwei Meter groß und mit Muskeln bepackt strahlte der Mann trotz aller Widrigkeiten eine Ruhe aus die sich auf die anderen übertrug. Peter Becker wusste, dass der Mann bei den Kämpfen in Stalingrad ein Bein verloren hatte, nicht etwa durch eine Kugel oder Granate, sondern durch den grimmigen russischen Winter. Seine Achtung vor diesem Mann wuchs noch mehr als er hörte, dass dieser mit einem schon schwarz angelaufenen und erfrorenen Bein mit anderen deutschen Soldaten auf eigene Faust aus dem Kessel ausgebrochen war. Erst nach knapp einer Woche stießen sie auf deutsche Truppen denen es nicht gelungen war, den Ring der russischen Truppen, der sich tödlich um die Stadt schloss, zu durchbrechen. Im Lazarett nahmen die Ärzte dem Mann das Bein ab um sein Leben zu retten, nach drei Monaten kehrte er in sein Dorf zurück, und da er seiner eigentlichen Arbeit als Landwirt