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machte das Gerücht die Runde, dass ein hochrangiger Mitarbeiter des Fahrzeugwerks VEB Sachsenring bzw. des VEB Automobilwerks Eisenach mit den Konstruktionsplänen in die BRD geflohen sei. Ein anderes Gerücht besagte, dass die Pläne des schon weit entwickelten Fahrzeugs heimlich an VW verkauft worden seien, um Devisen in die wirtschaftlich darbende DDR zu bringen. Andere berichteten von geheimen Testfahrten der VW-Ingenieure, die die Prototypen ausgiebig im Umland der DDR-Fahrzeugwerke testeten. Indes: Im Osten wie im Westen wurde zu diesen Gerüchten kategorisch geschwiegen [...].

      Der mit dem VW K 70 und dem VW Passat eingeläutete Wandel setzte sich bei VW nicht nur fort, er steigerte sich mit der Markteinführung einer komplett neuen Modellpalette. Dem erfolgreich etablierten Passat folgte im Frühjahr 1974 das 2+2-sitzige Sportcoupé Scirocco (Typ 53 Coupé) als Nachfolger des betagten Karmann Ghia Typ 14. Straff, mit klaren Kanten und ohne Schnörkel gezeichnet, folgte der Scirocco einer neuen Ästhetik, die mit der Formgebung des Karmann Ghia nichts mehr gemeinsam hatte. Die Eleganz und Noblesse hingegen, die dem Karmann Ghia zu Eigen waren, ließ das neue Sportcoupé vermissen.

      Als Mitglied der neuen Modellfamilie verfügte der Scirocco ebenfalls über einen wassergekühlten, quer eingebauten Frontmotor sowie Vorderradantrieb. Entwickelt worden war der ebenfalls von Giorgetto (Giorgio) Giugiaro gestaltete Scirocco bei Karmann in Osnabrück, wo er auch gebaut werden sollte. Die technische Basis für den Scirocco bildete der neue VW Golf, der in den Startlöchern stand und dessen Markteinführung mit Spannung erwartet wurde.

      Natürlich war auch der Scirocco in das neue, kostensparende Baukastensystem eingebunden. Hierzu wurden in einem VW-internen Besprechungsbericht folgende Gleichteile festgelegt: »Zum Lieferumfang von Volkswagen und damit zu den Gleichteilen mit dem späteren Golf zählten Motor, Motor-Elektrik, Getriebe und Kupplung, Aggregate-Lagerung, Lenkung, Hinterachse, Bremsen, Hand- und Fußhebelwerk, Kraftstoffbehälter, Räder und Reifen, Schlösser, Griffe, Dichtungen, Fensterheber und Scharniere, Heizung und Lüftung sowie die Elektrik.«22

      Das 2+2-sitzige Coupé startete mit drei verschiedenen Motoren, die 50, 70 oder 85 PS (37, 51 oder 62 kW) leisteten. Im Gegensatz zu den Motoren im Opel Kadett waren alle VW-Motoren moderne Konstruktionen mit Zahnriemen und obenliegender Nockenwelle. Hinzu kamen die drei Ausstattungsvarianten N als Grundmodell, L mit mehr Luxus, darüber S und TS mit stärkeren Motoren und aufgewerteter Ausstattung. Das Sportmodell TS verfügte obendrein über markante Doppelscheinwerfer anstatt der Rechteckleuchten.

      Zum schwierigen Serienanlauf des Scirocco bei Karmann schreibt VW: »Allerdings konnte die ursprünglich geplante Anlaufkurve von annähernd 70 Fahrzeugen pro Tag nicht gefahren werden, da die Materialversorgung aufgrund von Lieferschwierigkeiten nicht für diese Stückzahlen ausreichte. Nach nur vier Produktionswochen musste der Ausschuss für Produktplanung dem Vorstand berichten, dass aufgrund von zulieferungs- und organisationsbedingten Schwierigkeiten weniger als die Hälfte der ursprünglich geplanten 1.200 Fahrzeuge bei Karmann vom Band gelaufen waren. Keines der 524 im Februar 1974 produzierten Fahrzeuge hatte den Zählpunkt 8 und damit die den Fertigungsprozess abschließende Qualitätskontrolle überquert. Fehlteile, aber auch Montagefehler sorgten dafür, dass sämtliche in den ersten acht Wochen der Serienfertigung produzierten Fahrzeuge noch komplettiert werden mussten. Die Abstellplätze füllten sich.«23

      Schon am 29. März begann in Wolfsburg die Serienproduktion des Kompaktmodells Golf. Die Fertigung des VW Käfer, der parallel zum Golf im Verkaufsprogramm blieb, wurde nach Emden und Hannover verlagert. Theoretisch gesehen waren VW Käfer und VW Golf in der gleichen Fahrzeugklasse positioniert – aber optisch, technisch und auch vom Image her gab es nicht viele Gemeinsamkeiten. Kurios: Um Baukosten zu sparen, wurden die ersten Golf in der 50 PS-Variante an der Vorderachse mit Trommelbremsen ausgerüstet, womit gleichzeitig der Bremskraftverstärker entbehrlich wurde. Erst ab April 1975 sollten serienmäßig Scheibenbremsen vorne und ein Bremskraftverstärker eingebaut werden.

      Wie wichtig es war, den Golf im Reigen der Wettbewerber möglichst kostengünstig zu positionieren, zeigt ein Interview mit seinem Designer Giorgetto Giugiaro. Auf die Interviewfrage, warum denn die eckigen Scheinwerfer der ersten Entwürfe des Golf in der Serienfertigung durch runde Exemplare ersetzt wurden, antwortet der italienische Designer ganz unverblümt: »Ja, tatsächlich eine wesentliche Änderung – aus Kostengründen. Rundscheinwerfer waren damals erheblich preiswerter in der Herstellung als rechteckige. Ursprünglich hatte ich die Rechteckscheinwerfer in Dimension und Anordnung als Spiegelbild der Heckleuchten vorgesehen. Aber das kostete zu viel, und so musste ich die runden Scheinwerfer nehmen.«24

      Insgesamt war das VW-Lager zweigeteilt: Einige Mitarbeiter, Händler und Kunden sahen immer noch keine rechte Notwendigkeit für ein hauseigenes Konkurrenzmodell zum bewährten Käfer – viele Andere hingegen hatten mittlerweile erkannt, dass das Käfer-Konzept in jeder Hinsicht an seine Grenzen gestoßen war. Technisch konkreter: Auch wenn die Vorderachse des Käfer jüngst auf Scheibenbremsen und MacPherson-Federbeine umgerüstet worden war, änderte das nichts an der Tatsache, dass die Wettbewerber mit moderneren Konzepten aufwarteten.

      Bei näherer Betrachtung musste dieser Schritt vom Käfer zum Golf geschehen, denn er war längst überfällig. So war der neue Golf mit seiner selbstragenden Karosserie um 165 Kilogramm leichter als der Käfer – und das trotz schwerer Wasserkühlung. Hinzu kam ein Benzinverbrauch, der rund 20 Prozent niedriger lag als beim Käfer, dessen luftgekühlter Motor prinzipbedingt mehr Kraftstoff benötigte. Ein weiterer wichtiger Aspekt waren die Produktionskosten. Der VW Golf ließ sich weitaus rationeller fertigen, außerdem lag sein Verkaufspreis rund 600 Mark über dem des Käfer. Damit war der Golf sehr viel margenstärker als sein Vorgänger.

      Doch auch wenn der Passat und der Golf mit ihrem Frontantrieb und Schrägheck unbestritten Meilensteine bei der Modernisierung der Modellpalette von VW waren – neu war dieses Konzept nicht. Der englische Mini machte es längst vor; Simca zeigte seit 1967 mit dem hervorragend konzipierten Modell Simca 1100, wie ein Kompaktmodell aussehen konnte; unter anderem hatten Alfa Romeo, Renault und einige weitere Hersteller die Vorteile dieses Fahrzeugkonzepts längst erkannt.

      Offen und klar ausgedrückt: Der VW Golf begründete beileibe nicht die »Golf-Klasse« und er setzte mitnichten irgendeinen technischen Meilenstein, vielmehr schloss VW mit dem Golf auf den längst gültigen Stand der Technik auf, dem die VW-Modelle jahrelang hinterhergehinkt waren. Diesen Sachverhalt dokumentierte das Fachmagazin AUTO MOTOR UND SPORT bei einem zeitgenössischen Vergleichstest: »Obwohl der Golf schon kurz nach seinem Start die deutsche Neuzulassungsstatistik anführt, können die wichtigsten Konkurrenten durchaus Paroli bieten. So setzt der Alfasud bei Raumausnutzung und Kompaktheit Maßstäbe [...] . Noch besser und sehr geschickt auf die Federung abgestimmt sind die Polster im gut ausgestatteten Citroën GS. [...] Mit Frontantrieb und quer eingebautem Reihenmotor folgt der Golf dem Konzept des schon lange gebauten Simca 1100.«25

      Die Vorteile des Frontmotorkonzepts lagen dabei vorrangig in einer günstigeren Fertigung, da Motor, Getriebe, Differenzial und Achswellen kompakt in einem Block zusammengefügt und montiert werden konnten. Der teure Antrieb mit Kardanwelle ließ sich so sparen. Durch die kompakte Bauweise wurden die Fahrzeuge zudem innen deutlich geräumiger, überdies störte kein Kardantunnel mehr im Innenraum. Dass sich das Fahrverhalten gravierend verbesserte, war dabei mehr als ein Nebeneffekt. Gegenüber dem Käfer, der mit seinem Heckmotor als tückischer Übersteuerer verrufen war, präsentierte sich der Golf als gutmütiger Untersteuerer.

      Wer dieses kompakte Baukonzept, das viele greifbare Vorteile in sich vereinigte, nicht vorweisen konnte, war Opel. Obwohl der Kadett C gerade erst im August 1973 eingeführt worden war, blieb er mehr oder weniger der alten Technik seiner Vorgänger verhaftet. Das war ein klarer Wettbewerbsnachteil, denn neben den für den Kunden erfahrbaren Vorteilen lockte das neue Konzept (Frontmotor und Frontantrieb) mit Einsparungen bei den Produktionskosten von bis zu 15 Prozent. Gerade im kostensensiblen Segment der Kompaktklasse war das ein wichtiges Argument.

      Mit der Einführung des VW Golf wurde Opel nun vom Treibenden zum Getriebenen. Erstmals ließ es sich nicht mehr schmunzelnd auf den technisch veralteten VW Käfer blicken, vielmehr mussten die GM- und Opel-Manager feststellen, dass sie jetzt technisch ins Hintertreffen geraten waren. Und ausgerechnet

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