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So greife ich eines Abends zum Telefon und frage: „Bist du krank gewesen, lieber Erwin? Du hast dich so lange nicht bei mir gemeldet.“ Eine hörbar fröhliche Stimme überrascht mich. Und dann erzählt er mir von seinem täglichen Ausführen einer kleinen fünfjährigen Western-Terrier-Hündin. In seiner Nachbarschaft entlastet er dadurch die kranke Hundebesitzerin. Es sprudelt nur so aus dem Begeisterten heraus. Seine Stimme verrät weiche Zärtlichkeit, mit der er das kleine weiße Wollknäuel verwöhnt.

      Fürsorglich hat der gut Beobachtende dem Vierbeiner eine neue Leine gekauft, die am Hals nicht mehr einschnürt. Und morgens, wenn er die schon Wartende zum gemeinsamen Joggen abholt, macht die Hündin Freudensprünge. Das gefällt Erwin besonders, weil er genau fühlt, dass sein Herz auch vor Freude in seiner Brust hüpft. Und diese Anhänglichkeit, mit der die „Kleine“ ihn beschenkt.

      So bekommt der Junggeselle noch in seinen späten Jahren täglich ein zauberhaftes Begrüßungsküsschen zur Belohnung. Manchmal vergisst der neue Betreuer leider das „Leckerli“. Dann springt die kleine Hündin immer wieder an seinem Hosenbein hoch. Und nur für kurze Zeit kann sie die hingehaltenen leeren Hände ihres Begleiters verstehen. Sie kann eben die Vergesslichkeit der Menschen nicht einordnen. „Ja, meine kleine Daika, wenn ich heute wieder in meine Wohnung komme, werde ich mir gleich die süße Verwöhnung auf den Tisch legen, damit ich sie morgen nicht wieder vergessen kann. Bist du nun zufrieden?“

      Ein Engel für Jonathan

      Die agile Großmutter freut sich jede Woche ganz besonders auf den Mittwoch. Dann kommt nämlich der dreijährige Enkelsohn Jonathan regelmäßig zu ihr. Und das erstgeborene Enkelkind bringt so viel Lebendigkeit, Frohsinn und Überraschungen mit. An diesem Freudentag ist der stille Junge wieder flink wie ein Wiesel. Mit dem verbalen Ausdrücken seiner Wünsche ist Jonathan auffällig zurückhaltend, aber körperlich verschafft er sich durch seine Ausflüge seinen Interessen entsprechend reichlich Nahrung. Im Hause sind seine Aktivitäten noch relativ gut zu beobachten. Aber sobald die Großmutter mit ihrem Freudenbringer in den schönen großen Garten geht, nutzt der Erlebnishungrige den größeren Auslauf nach Herzenslust nicht nur für ungefährliche Entfaltungsmöglichkeiten. Denn mit Sandspielereien gibt der Entdeckungsfreudige sich nicht mehr zufrieden. Seine kindliche natürliche Neugierde treibt ihn schnell bis an das Nachbargelände. Ob ihn dort eine rote Frucht heranlockt, oder ein singendes Vöglein, wir wissen es nicht? Während seine Beschützerin fürsorglich frische Möhren für das Mittagessen aus einem bunt gemischten Gemüsebeet erntet, nutzt der schlaue Aufpasser die kurze Zeit des Unbeobachtetseins und versucht über den hohen trennenden Zaun zum nachbarlichen Grundstück zu gelangen. Aber der Stacheldraht erfüllt seine Funktion als abweisende Barriere, verhindert somit ein Herüberklettern. Die Großmutter hält erleichtert den Wagemutigen in ihren bergenden Armen. Mit dem Stoßseufzer „Gott sei Dank“ auf ihren Lippen, drückt sie dem unverletzten sportlichen Jungen einen Kuss auf sein erhitztes Gesicht. Im Abendgebet erinnert sie sich an diese kleine Begebenheit, und es ist ihr ein Bedürfnis, Gott zu danken, dass ihr kleiner Enkelsohn von einem Schutzengel behütet wurde. Wie oft vergessen wir zu danken?

      Ein außergewöhnlicher Familientag

      Die Mutter will ihre sechsjährige Tochter wecken. Doch erstaunt stellt sie fest, dass ihre Langschläferin heute ausnahmsweise schon perfekt angezogen ist. Die kleine Dame schaut nicht ohne Eitelkeit in den Spiegel. Ja, ihr gefällt die schicke neue Hose mit der dazu passenden Weste in jeansblau besonders gut. Und ihre Oma hat die weiße Bluse mit den etwas weiteren langen Ärmeln dazu geschenkt.

      Die vierköpfige Familie frühstückt an diesem Tag gemeinsam im rustikalen Esszimmer. Der Vater hat sich extra noch einen Urlaubstag für die Einschulung seiner Larissa aufgehoben. Fürsorglich hat die Mutter die Zuckertüten schon in die Diele gelegt. Denn der kleine Bruder soll nicht leiden, auch er bekommt eine bunte Tüte mit Naschereien, allerdings im Miniformat. „Larissa, du musst jetzt aber dein Müsli aufessen, sonst kannst du nachher nicht deinen schönen Ranzen tragen“, mahnt die Mutter mit einem Blick auf die Uhr. Das kleine Herz der Schulanfängerin schlägt vor Freude schneller als sonst, und sie ist mit ihren Gedanken überhaupt nicht beim Frühstücken.

      Inzwischen treffen beide Großmütter wie versprochen pünktlich ein. Ihre festliche Kleidung verrät, wie wichtig ihnen dieser Tag ist. Sie herzen ihre beiden Enkelkinder besonders, und die Freude auf dieses besondere Ereignis strahlt aus ihren altmütterlichen lieben Gesichtern. Beide Omis nehmen die Hauptperson des Tages auf dem Fußweg zur Schule in ihre schützende Mitte. Die stolzen Eltern folgen mit dem kleinen Bruder in zweiter Reihe. Oliver ist ungeduldig und darf schon ein Bonbon aus der tröstenden Zuckertüte essen.

      Die Schule zeigt sich ebenfalls in einem festlichen Kleid aus bunten Malereien an den Fenstern. Gebastelte Blumen aus Tonpapier stehen in Vasen und Krügen im großen Allzweckraum auf den Tischen. Wie viele fleißige Kinderhände haben wohl diesen leuchtenden Schmuck angefertigt? Der heimelige Raum füllt sich schnell mit Großvätern, Großmüttern, Eltern, Müttern, Vätern, Paten, Geschwistern und vor allem mit gespannten, oder vielleicht auch ängstlichen Erstklässlern. Vielleicht genießt sogar eine rüstige Urgroßmutter diesen Freudentag ihres Urenkelkindes. Die Schulleiterin begrüßt mit viel Herzlichkeit alle Anwesenden, und den aufmerksamen Zuhörern bleibt nicht verborgen, dass diese gestandene sympathische Frau ein besonderes Geschick hat, mit Kindern umzugehen. Mit ihrer Wortwahl erreicht sie die kleinen Mädchen und Jungen, und mit ihrem Humor zaubert sie Lachen in fast jedes Gesicht. Von den beiden Klassenlehrerinnen werden die Namen der Schulkinder einzeln aufgerufen, und sie werden mit einem „Hallo, und ich freue mich schon auf dich“, in die erste Klasse aufgenommen. Danach genießt die versammelte Gemeinschaft im bis auf den letzten Platz gefüllten Allzweckraum das wunderschöne Märchen „Die Gänsemagd“ der Gebrüder Grimm, von Kindern der dritten und vierten Klasse, spielerisch gut einstudiert und aufgeführt. Damit ereichen die jungen Künstler nicht nur die Herzen der Schulanfänger, sondern auch so manche Mutter und Großmutter ist von dem Märchen begeistert. Stürmischer Applaus ist ein spürbarer Lohn für die Mühe ihres guten Rollenstudiums.

      Nachdem die neuen Erstklässler unter Anleitung ihrer freundlichen Lehrerin die frischen Eindrücke von der Gänsemagd mit Hilfe von Buntstiften auf einen großen weißen Bogen Papier gemalt haben, stürmen sie wieder zu ihren wartenden Familien, die sich in der Zwischenzeit an einem leckeren Büffet gestärkt haben. Aber jetzt kommen die Väter und Mütter endlich zu ihrem Recht. Mit der Schultüte im Arm und einem Lächeln auf dem Gesicht werden wahrlich einmalige Momente mit dem Fotoapparat festgehalten. Und die Großmutter, die im Herbst 1944, als der 2. Weltkrieg tobte, eingeschult wurde, erinnert sich noch heute, dass in ihrer Zuckertüte etliche Kümmelkekse den spitzen Teil ausfüllen mussten, weil ihre Mutter nur ein paar Bonbons auftreiben konnte. Diese Generation schätzt den Frieden in unserer heutigen Zeit, in der sie selber, ihre Kinder und Enkelkinder leben, als das höchste und wertvollste Gut ein. Zum Abschluss singt noch der Schulchor einige frohe Kinderlieder.

      Larissas Vater hat einen Tisch in einem gemütlichen Restaurant vorbestellt, damit die Freude nicht so schnell verebbt. Besonders für die Frauen, die sonst ja immer für das leibliche Wohl sorgen, ergibt sich dadurch eine lockere Atmosphäre, in der viel Platz für erinnerungsträchtige Gespräche ist. Das frischgebackene Schulmädchen lässt großzügig alle Familienmitglieder in die volle Schultüte greifen. Clever meint die Schenkende: „Die Omis bekommen von den Süßigkeiten ja keine schlechten Zähne mehr, die dürfen sich zwei Bonbons nehmen.“ Alle lachen, ausgenommen der kleine Bruder, der diese Aussage noch nicht verstehen kann.

      Später fährt der stolze Vater die Großmütter mit dem Auto heim. „Lieber Manfred, danke für dieses wunderschöne Familienfest“, so verabschiedet sich seine Schwiegermutter. Und seine eigene Mutter sagt beim Aussteigen: „Es war ein herrlicher Tag, vielleicht träume ich heute Nacht ja noch von meiner eigenen Einschulung, an die ich mich noch ganz genau erinnern kann. Es gab so viele Berührungspunkte für mich.

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