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Pensionierung kehrt der freundliche Herr zu Kaffee und Kuchen fast jeden Tag in diesen Familienbetrieb ein. Diesen kleinen Luxus leistet sich der ehemalige Beamte nicht nur des selbstgebackenen Kuchens und des guten Kaffees wegen. Der groß gewachsene Ruheständler bringt stets so viel Fröhlichkeit mit an den so genannten Stammtisch, an dem weder Karten gespielt, noch Bier getrunken wird. Dort ist der Treffpunkt für Alleinlebende, für Einsame und Kontaktsuchende. Die Menschen, die sich um den schönen Holztisch im alten Forsthaus versammeln, haben in dieser Gemeinschaft die Möglichkeit, dass sie ein Urbedürfnis eines jeden Menschen, nämlich das sich Mitteilen dürfen, hier stillen können. Sie sitzen auf der stoffbezogenen rustikalen Bank dicht beieinander. In ihren Wohnungen müssen sie schon genug mit dem Alleinsein leben. Und sie sind so treu und zuverlässig, dass man fast die Uhr nach ihrem Eintreffen stellen könnte. Die Pünktlichkeit ist vielleicht eine noch nicht erloschene auferlegte Eigenschaft aus den aktiven Berufsjahren. Mehr vermute ich jedoch, dass ihnen das Zusammensein so wichtig ist.

      Wenn die junge Wirtin die Kerze auf dem Tisch angezündet hat, bekommen die Augen im warmen Licht einen leichten Glanz. Es wird erzählt, gefragt, gelacht, und immer darf jeder ausreden. Man geht diszipliniert und rücksichtsvoll, ja kameradschaftlich miteinander um. Eine warme Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens macht es möglich, dass auch über die Untersuchungsergebnisse der letzten Arztbesuche und über Erkrankungen gesprochen wird. Die Gleichgültigkeit hat auf dieser Bank keine Chance, hier ist kein Platz für sie. Und wenn einer aus der vertrauten Runde mal an einem Nachmittag fehlt, ruft abends ein Besorgter gleich bei ihm an. Im Krankheitsfall wird ganz selbstverständlich Hilfe geleistet.

      Oft jedoch klingelt zusätzlich bei dem Ältesten aus dieser Runde zu verschiedenen Tageszeiten das Sorgentelefon. Wie wohltuend ist es für die Anrufer, dass sie stets mit zuhörenden Ohren und menschlicher Wärme beschenkt werden. Wenn der väterliche Freund zu Hause ist, meldet er sich immer, und die Hilfesuchenden haben das gute Gefühl, dass sie im Moment für ihn das Wichtigste sind. Viel, sehr viel Zeit verschenkt der lebenserfahrene Mann ganz selbstverständlich an etliche Mitmenschen. Seine Ausgeglichenheit und seine Güte wirken bei den langen und auch kurzen Telefonaten so, als würde dem Leidgeprüften lindernde Salbe auf seine wunde Seele gelegt. Mit seiner ruhigen Stimme macht der Einfühlsame immer wieder Mut zu den kleinen Schritten, zur praktischen Lebensbewältigung im Alltag. Die Ratsuchenden spüren viel Verständnis, und niemals müssen sie eine Verurteilung verkraften. Es ist kein Geheimnis, dass ihr Vertrauensmann die Kraft für seine lebenserfüllende Aufgabe sich im täglichen Gebet von unserem Gottvater schenken lässt. Und sein Schlüsselwort heißt Nächstenliebe. Dieser praktizierende Christ lebt bewusst nach dem brüderlichen Rat Albert Schweizers, sich ein Nebenamt zu verschaffen, das die Tage auch nach der Pensionierung sinnvoll ausfüllt.

      Der Nächstenliebe geht es wie der alten Brücke.

      Sie braucht immer wieder kräftige Verstärkungen,

      damit sie tragfähig bleibt.

      Kleine Residenz

      Das würfelförmige weiße Haus schmiegt sich unauffällig in die Reihe der vielen Giebelhäuser, die bei genauem Hinschauen einträchtig vereint wie eine Geschwisterschar auf mich wirkt. Einer stützt in Sturmzeiten den anderen, hilft selbstverständlich und ungefragt beim Ausbessern des Daches mit. Im Schutze der Hauswand klettert ein üppiger roter Rosenstock mit viel Blühkraft, so als wolle er noch in diesem Sommer die Regenrinne küssen. Die schmale Straße, die die Häuser und den Boot tragenden Fluss trennt, schlummert in der warmen Mittagssonne. Auch die Geschäftsleute genießen ihre wohlverdiente Pause.

      Ein schlankes braunes Boot liegt artig angebunden am grünen Ufer.

      Davor zwischen blau blühenden Lupinen erspähe ich an einem Gartentisch eine malende Frau. Sie scheint ganz in ihr Spiel mit den bunten Farben eingetaucht zu sein. Doch dann läuft ein winziger weißer Hund auf mich zu, schnuppert an meinen Schuhen und Hosenbeinen, und er akzeptiert mich. In diesem Moment treffen sich die Offenheit und Freundlichkeit zweier Frauen. „Darf ich mal schauen, was Sie da malen?“ – „Ja, gerne, kommen Sie doch zu mir und setzen Sie sich in den Strandkorb.“ Unsere Hände berühren sich, aber noch intensiver begegnen sich unsere wachen Augen. Wir sind beide fast gleichaltrig, haben erwachsene Kinder und immer noch viele kreative Einfälle. Gemeinsame Interessen weben schnell eine warme Verbindung. Ich verweile gerne in der Nähe dieser Frau. Ja, ich fühle, dass wir uns besonders gut verstehen.

      Die Sonne hat schnell die bunten Farben auf dem Aquarellpapier getrocknet. Der Pinsel hält Ruhepause. Die Besitzerin der „Kleinen Residenz“ zeigt mir, nicht ganz ohne Stolz, die romantischen Puppenstuben im Inneren des Hauses. Gemütlich eingerichtete Zimmer mit zartem Flair, denen man ansieht, dass man sich hier rundum wohl fühlen kann. An den frisch gestrichenen weißen Wänden kann ich den Fleiß und die Phantasie der Hobbymalerin wieder finden. Getrocknete Rosen breiten in Körben ihren verführerischen Duft aus. Das ganze Häuschen lädt zum Verwöhnen ein.

      Mit einer kostbaren Weißweinflasche und zwei Gläsern begeben wir uns wieder in die Fülle des duftenden Sommers hinein, zwischen hohe Gräser, blaue Lupinen und stolze Margeriten. Und wir beiden Frauen kommen uns sehr nahe.

      „Ich habe mir die „Kleine Residenz“ zu meinem 60. Geburtstag selber geschenkt, damit ich nicht als Witwe so einsam bin.“ Elf Jahre harte Arbeit als Designerin hat sie schon als allein lebende Frau hinter sich, und von diesem Lohn hat sie sich nun diesen Wunsch für die nächste Phase ihres Lebens erfüllt. Eine erfüllende Aufgabe gegen das Alleinsein! Dass aus diesen warmen braunen Augen heute Morgen noch Tränen auf das weiße Kopfkissen gefallen sind, kann ich trotzdem verstehen. Danach hat diese mütterliche Frau sich aber mit viel Elan an das Verwöhnungsfrühstück für ihre Gäste gemacht. Diese schöne Verpflichtung hat sie aus ihrem Bett gelockt. Die Inhaberin dieser außergewöhnlichen Pension hat vor allem noch Zeit für Gespräche, wenn ihre Gäste sie wünschen. Wo die Liebe und das Mitgefühl residieren, sind die Räume warm und bunt. Mit fällt es schwer, mich von dieser beherzten Frau zu verabschieden. Lange schenken wir uns körperliche Berührungen, ehe ich winkend und nachdenklich in die schmale Straße stolpere.

      Wenn du mich mit Liebe beherbergst,

      kannst du trockenes Brot auf den Tisch stellen.

      Es wird süß schmecken.

      Heimweh

      Nach einem für mich gut verträglichen Flug von 4.000 Kilometern landet die Maschine erstaunlich sanft auf dem Rollfeld. Ein vereintes unüberhörbares Dankeschön bekommt der versierte Pilot von allen Fluggästen mit einem Applaus. Nachdem ich den Flughafen neugierig verlasse, blendet mich mitten im Januar die nicht gewohnte starke Sonneneinstrahlung. Sommerliche Temperaturen locken die vielen Touristen auf die spanische Insel Gran Canaria. So weit habe ich mich bisher noch nicht von Deutschland fort gewagt.

      Meine Augen trinken im Januar den Anblick der bezaubernden, in allen Rottönen blühenden, Bougainvilla-Blüten, die auf zahlreichen Klettersträuchern dicht beieinander sitzen. Auf der Autofahrt ins Hotel begrüßen mich am Straßenrand junge und betagte Palmen in ihrem schönen grünen Fächergewand.

      Ein Hotel soll in den kommenden Wochen meine Bleibe sein. Die kahlen fast schmucklosen Wände in dem gemieteten Appartement lassen gleich meine selbst gestalteten farbenfrohen Batikwandbehänge sehnsüchtig vor meinem inneren Auge aufleuchten. Vor allem mein eigenes Bett, in dem ich mich so geborgen und wohl fühle, entbehre ich

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