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      »Wer spielt da?« fragte sie leise.

      Mark zuckte ungeduldig die Schultern. »Ach, das ist der Alte – Li Yoseph. Ich möchte doch, daß Sie mit ihm sprechen.«

      »Li Yospeh – er hat gesehen, wer Ronnie umbrachte?«

      Mr. Tiser mischte sich plötzlich in die Unterhaltung.

      »Aus ziemlicher Entfernung«, sagte er nervös. »Genau natürlich nicht. Ich habe Ihnen das doch schon alles erklärt.«

      Marks kalter Blick brachte ihn zum Schweigen.

      »Es ist schon gut, Tiser. Sage Li Yoseph, daß er herauskommen soll.«

      Das Violinspiel hörte auf, und Li Yoseph trat mit hochgezogenen Schultern näher. Er sah Ann unter seinen buschigen Augenbrauen hervor an und rieb dabei seine langen Hände, als ob er sie mit unsichtbarer Seife wüsche. Er sah beinahe geisterhaft aus, und Ann schrak ein wenig zurück.

      »Dies ist Miss Perryman, Ronnies Schwester.«

      Das Gesicht des Alten verzog sich zu einem Lächeln.

      »Ich habe gerade mit ihm gesprochen.«

      Ann schaute ihn entsetzt an.

      »Wie, Sie haben mit ihm gesprochen?«

      »Sie müssen sich nicht um sein Gerede kümmern.« Marks Worte klangen scharf, fast befehlend. »Er ist ein wenig ...« Er zeigte bedeutungsvoll auf die Stirn. »Er sieht Geister und dergleichen Dinge –«

      »Ja, viele Dinge«, wiederholte Li Yoseph. Seine Augen wurden größer und größer. »Seltsame Dinge – Dinge, die niemand sieht außer mir – Li Yoseph!«

      »Nun sei aber still, Yoseph«, sagte Mark rau. »Du erschreckst die junge Dame durch dein albernes Geschwätz.«

      »Ach nein, ich fürchte mich nicht«, erwiderte Ann standhaft.

      Li Yoseph ging in den kleinen Nebenraum zurück und lachte merkwürdig vor sich hin.

      »Ist er öfters so wie jetzt?«

      »Immer«, entgegnete Mark, aber er fügte schnell hinzu: »Abgesehen davon ist er aber vollkommen klar. – Yoseph, bleibe hier. Ich sagte dir doch, daß du Miss Perryman alles erzählen sollst, was du gesehen hast.«

      Li Yoseph kam langsam zurück und blieb ein paar Schritte vor Ann stehen. Seine Hände waren auf der Brust gefaltet, als ob er betete.

      »Ich will Ihnen sagen, was ich sah.« Seine Stimme klang plötzlich mechanisch. »Erst kommt Ronnie in einem Boot vom Schiff. Er rudert und rudert, dann kommt das Polizeimotorboot und holt ihn ein. Dann sehe ich, wie sie kämpfen und kämpfen, und ich höre einen Fall ins Wasser, und plötzlich höre ich Mr. Bradleys Stimme: ›Der ist erledigt – niemand darf etwas darüber sagen.‹«

      Während er sprach, schaute er sie an, und sie glaubte, in seinem Blick einen gewissen Trotz zu lesen, als ob er schon darauf vorbereitet wäre, daß sie seiner Geschichte keinen Glauben schenken würde.

      »Haben Sie das wirklich gesehen?«

      Er neigte den Kopf.

      Ann wandte sich an Mark.

      »Warum wurden denn diese Leute nicht angeklagt? Warum hat man nur Klage gegen ›einen oder mehrere unbekannte Täter‹ erhoben? Ist denn die Polizei in diesem Land unantastbar? Können ihre Beamten straflos jedes Verbrechen begehen – sogar Mord?«

      Zum ersten Mal zeigte sich ihre starke, innere Erregung. Ihre Stimme zitterte, als sie sprach.

      »Bradley – Sie sagten doch, daß Bradley ihn ermordete? Ich werde den Namen nie vergessen.« Ihr Blick traf wieder den alten Mann. Er stand mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen da und schwankte leicht hin und her. »Hat Mr. Yoseph denn keine Klage gegen die Polizei erhoben?«

      Mark lächelte.

      »Wozu? Sie müssen verstehen, Miss Perryman, daß die Polizei ihre eigenen Gesetze hat, nicht nur bei uns, sondern auch in allen anderen Ländern. Ich könnte Ihnen Romane darüber erzählen, was in New York passiert ist ...«

      »Ich will nicht wissen, was dort geschieht«, unterbrach sie ihn schnell. »Aber sagen Sie mir, ob man diesem alten Mann glauben kann!« Sie sah auf Li Yoseph.

      »Durchaus«, sagte Mark nachdrücklich.

      »Sie können ihm vollständig vertrauen«, mischte sich Mr. Tiser wieder in die Unterhaltung, nachdem er lange hatte schweigen müssen. »Ich kann Ihnen nur die Versicherung geben, daß er ein absolut ehrenwerter Charakter ist.«

      Er begegnete Marks Blick, begann zu stammeln und schwieg dann wieder.

      Anne hatte den Kopf gesenkt und einen Finger an die Lippen gelegt; ihre Stirn lag in nachdenklichen Falten. Mark hatte ihr einen Stuhl angeboten, aber sie hatte es nicht beachtet. Auch er schwieg und wartete darauf, daß sie sprechen würde.

      »Was hat Ronnie für Sie getan?« fragte sie schließlich. »Sie können mir alles sagen, Mr. McGill. Er hat mir oft von Ihnen erzählt, und ich habe schon vermutet, daß Sie irgendein ... strafbares Geschäft betreiben. Wahrscheinlich sind meine moralischen Anschauungen recht sonderbar, aber es kommt mir jetzt nicht mehr so schrecklich vor wie früher. War mein Bruder sehr wertvoll für Sie? Ist der Verlust, den Sie durch seinen Tod erlitten haben, sehr groß?«

      McGill antwortete nicht sofort. Er dachte darüber nach, was sie wohl mit ihrer Frage meinen könnte.

      »Ja, er war beinahe unersetzlich für uns«, erwiderte er endlich. »Ronnie war ein Mann, der überall hingehen konnte, ohne den geringsten Verdacht zu erregen. Er fuhr seinen Wagen ausgezeichnet; das kam uns sehr zugute, denn die Polizei hat jetzt eine Fliegende Kolonne eingerichtet. Bradley führt die Abteilung. Vor diesen Leuten müssen wir ganz besonders auf der Hut sein. Ronnie hat gewöhnlich die geschmuggelten Waren herangeholt, manchmal hat er sie auch verteilt ... Ich habe mich in jeder Weise auf ihn verlassen. Aber warum fragen Sie?«

      »Ich hätte es gern gewußt. Was ist dieser Bradley eigentlich für ein Mann?«

      Bevor Mark antworten konnte, hörte sie ein leises Lachen und wandte sich schnell um.

      In Türnähe stand ein Fremder. Ann wußte nicht, wie lange er schon dort war, aber er mußte schon einige Zeit anwesend sein, denn er lehnte lässig am Türpfosten. Er trug keinen Mantel, obgleich der Abend kalt war; sein Filzhut war verwegen über ein Auge gezogen. Der große, schlanke Mann hatte ein gutgeschnittenes Gesicht und freundliche Augen. Sein Blick ruhte interessiert auf Ann.

      »Ich würde nicht erstaunt sein, Miss Perryman vor mir zu haben«, sagte er, richtete sich auf und lüftete seinen Hut. »Wollen Sie mich nicht vorstellen, Mark?«

      »Mein Name ist McGill«, erwiderte Mark scharf.

      »Welch eine Neuigkeit! Als ob Sie nicht schon Ihr ganzes Leben lang diesen Namen geführt hätten!«

      Aber dann legte sich ein Schatten über seine Züge, und er sah fast traurig aus, als er langsam auf Ann zuging. Instinktiv wußte sie, wer er war; sie sah ihn mit einem stahlharten, kalten Blick an.

      »Es tut mir sehr leid, Miss Perryman, daß Sie all diesen Kummer erleben mußten. Ich wünschte, ich wüßte, wer Ihren Bruder ermordet hat.«

      Er biß sich auf die Unterlippe und sah nachdenklich zu Mark hinüber.

      »Ich habe mein Bestes getan, um Ronnie vor schlechter Gesellschaft fernzuhalten.«

      Er machte eine Pause, als ob er auf Antwort wartete. Als Ann aber nichts erwiderte, sah er sich in dem Raum um.

      »Wo ist denn unser musikalischer Geisterseher?« fragte er. »Hallo, Li Yoseph! Sie haben ja Besuch hier.«

      Der Alte kam unterwürfig näher. Seine Gesichtszüge verrieten eine sonderbare Gespanntheit. Mark bemerkte, daß Li Yoseph dem Detektiv einen schnellen Blick zuwarf, und beobachtete Bradley; aber in dem Gesicht des Polizeibeamten rührte sich kein Muskel.

      »Ich

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