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Kapitel

      Hauptkommissar Petersen rutschte auf seinem Stuhl unruhig hin und her. Sie verspätete sich wohl. Das war untypisch, denn soweit er sich zurückerinnern konnte, war sie immer die Erste und Letzte im Klassenzimmer gewesen. Bereits zum zweiten Mal vertröstete er die eifrige Kellnerin, als Ellen Belau schließlich das Café betrat, sich die Sonnenbrille über die Stirn in die Haare schob, und leicht gestresst die besetzten Tische absuchte. Als sie Petersen entdeckte, hellte sich ihr Gesicht auf, sie lächelte ihm bereits von weitem zu und hob freundlich eine Hand.

      „Voilà, hier bin ich! Seit dem Abi habe ich dich nicht mehr gesehen!“, rief sie ihm zur Begrüßung entgegen, und Petersen drückte sie kurz und unverbindlich an sich. „Irgendjemand hat mir mal erzählt, dass du bei der Polizei gelandet bist.“

      Grinsend bot Petersen ihr den freien Stuhl gegenüber seinem eigenen an und sah schon im Augenwinkel die geschäftstüchtige Kellnerin, die sich erneut anpirschte.

      „Stimmt“, gab er zurück, während er selbst Platz nahm. „Und mir hat jemand erzählt, dass du bei den Kartzow-Werken arbeitest.“

      „Ach, deshalb hast du mich eingeladen?“, fragte sie kess und reicherte ihren Tonfall mit einem Hauch Vorwurf an, der jedoch nicht anklagend wirkte.

      Petersen wandte sich der Kellnerin zu, um sich ein Kännchen Kaffee zu bestellen, und lud Ellen zu einem großen Eisbecher ein.

      „Nun, euer Chef ist ums Leben gekommen“, begann er zaghaft, kaum dass die Bedienung wieder abgezogen war. „Da brauche ich ein paar Insider-Informationen.“

      „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich meinen Chef in die Pfanne haue!“, sie schien sich nicht entscheiden zu können, ob sie entrüstet oder belustigt sein sollte.

      „Wie kommst du denn darauf?!“

      „Na ja, bei einem Mord wird alles untersucht und viel schmutzige Wäsche gewaschen.“

      „Wer spricht denn von Mord? Herr Kartzow ist auf dem Golfplatz tot umgefallen. Ob es Mord oder ein natürlicher Tod war, muss erst die Obduktion zeigen.“

      „Sein Bruder behauptet aber, dass er umgebracht wurde. In der Fima wird gemunkelt, dass er erpresst worden sein soll.“

      „Alles Vermutungen!“

      „Und warum ermittelt dann die Polizei?“, fragte sie aufmüpfig.

      „Jeder Tod hat einen Grund. Solange der nicht einwandfrei geklärt ist, müssen wir der Sache nachgehen. Wir suchen nach der Ursache. Rein prophylaktisch . Mit der Beantwortung einiger einfacher Fragen würdest du mir sehr helfen. Was war Paul Kartzow zum Beispiel für ein Mensch?“

      Ellen biss sich auf die Unterlippe und als die Kellnerin wiederkam, um ihnen Eis und Kaffee zu servieren, kam ihr diese Unterbrechung gerade recht. Betont gelassen machte sie sich über ihren Eisbecher her und kaute so lange auf einem Stückchen Krokant herum, dass Petersens Geduldsfaden zum Zerreißen gespannt war. Seinen Kaffee rührte er nicht an.

      „Er war nicht übel“, murmelte Ellen schließlich. Ganz offensichtlich war sie immer noch etwas unentschlossen, ob sie seine Fragen beantworten sollte. Doch Petersens Schweigen setzte sie unter Zugzwang. „Er war auf jeden Fall ein Arbeitstier. Und krankhaft knauserig“, sagte sie notgedrungen.

      Überrascht runzelte Petersen die Stirn, und als er sicher war, dass sie nicht von sich aus weitersprechen würde, wollte er die Unterhaltung am Laufen halten, wobei er seine Worte sorgfältig abwog und auf einen Nebenkriegsschauplatz auswich.

      „So? Er unterstützte doch viele Vereine, war aktiver Umweltschützer und dem Krankenhaus soll er sogar einen Rettungswagen spendiert haben.“

      Den Mund voller Eis nickte Ellen, während sie weiter in ihrem Eisbecher herumstocherte.

      „Naja, sagen wir so“, sie rang sich schließlich dazu durch, Petersen anzusehen. „Bei allem was er steuerlich absetzen konnte, war er großzügig.“

      „Hatte er Feinde?“

      Ellen lachte hämisch und grinste. „Frag mal seine Exfrau. Die muss für die Kinder wegen jedem Euro zum Anwalt. Oder unseren früheren Verkaufsleiter. Ihn hat er mir nichts dir nichts vor die Tür gesetzt.“

      „Wirklich? Wie heißt denn der Mann?“, beflügelt von Ellens Bereitwilligkeit, zog Petersen einen Notizblock und sah sie erwartungsvoll an.

      „Hornig. Karl Hornig.“ Sie lächelte über seinen Eifer und als er sich den Namen notierte, zeigte sie mit dem Löffel auf ihn. „Du bist wirklich durch und durch Polizist. Aber jetzt mach mal Pause. Dein Kaffee wird kalt.“

      9. Kapitel

      Es war wieder mal viel los an diesem Morgen im Emirates Palace und Karin Holm hatte alle Hände voll zu tun. Trotz der tatkräftigen Hilfe dreier Kollegen, kam sie bei dem großen Andrang kaum hinterher. Das Wetter war herrlich, und obwohl sie nur eine leichte weiße Bluse trug, schwitzte sie.

      Karin übergab Chipkarten an die Ankömmlinge, die wie große Goldmünzen aussahen und als Zimmerschlüssel dienten, teilte Prospekte aus, beriet Touristen und Geschäftsleute auf allen möglichen Gebieten und speicherte Sonderwünsche der Gäste auf dem Computer. Die vielen Teilnehmer der Weltklimakonferenz waren schon an ihren am Revers befestigten Ausweisen zu erkennen, und ihre Zahl nahm ständig zu. In diesem Trubel fühlte sich Karin Holm richtig wohl. Hier konnte sie ihr Können unter Beweis stellen, und kein Kunde, ob anspruchs- oder verständnisvoll, verließ die Rezeption unzufrieden.

      In der Lücke zwischen einem turtelnden Pärchen und einer Gruppe Neuankömmlingen erkannte Karin zum widerholten Male zwei Personen, die schon eine ganze Zeit lang hier herumlümmelten. Dunkel gekleidet und bis zu den Augen verhüllt, musste ihnen ziemlich warm sein. Sie dachte noch, dass sie den beiden eine Erfrischung anbieten wollte, falls sie einchecken sollten.

      Zehn Minuten später verspürte sie das Bedürfnis, sich frisch zu machen. Die Personaltoilette war besetzt, so dass sie den unmerklich längeren Weg zu den WCs für Gäste in Kauf nahm. Dass die zwei vermummten Gestalten ihr folgten, bemerkte sie nicht. Im Vorraum der Toiletten spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht und kühlte ihren Nacken, bevor sie in einer der Kabinen verschwand.

      Als sie die Kabine wieder verließ, wurde sie von den zwei Männern gepackt. Ehe sie schreien konnte, presste ihr eine starke Hand einen Knebel in den Mund, gleich darauf spürte sie ein Klebeband über ihren Augen. Hastig und grob wurde sie in die Kabine gezerrt, an Händen und Füßen mit Kabelbindern gefesselt und unsanft auf den Toilettendeckel gesetzt. Das alles dauerte nur wenige Sekunden und keine der beiden Gestalten sprach ein Wort. Sie hätte ohnehin nichts verstanden, denn in ihrem Kopf fuhren die Gedanken Achterbahn. Jetzt ist es vorbei, jetzt fallen sie über mich her, dachte sie und musste wegen des Knebels in ihrem Mund würgen. Geräusche hätte sie unter diesen Umständen weder hören noch einordnen können, sie wusste nur so viel: Hier waren Profis am Werk.

      Während sie einer der Männer festhielt, tastete sie der andere mit beiden Händen ab. Erst als ihr aus der Brusttasche ihrer Bluse der goldene Chip entwendet wurde, wusste sie, was diese Leute wollten. Sie hatten es auf einen Chip mit der Zugangsberechtigung zu allen Räumen abgesehen. Den Generalschlüssel sozusagen. Trotz des großen Verlustes empfand sie eine gewisse Erleichterung. Um sie herum war es plötzlich still. Sie hörte eine Tür mit einem mechanischen Klicken ins Schloss fallen. Sie war allein. Und als sie tief durchatmete und halbherzig an ihren Fesseln gezerrt hatte, gestand Karin Holm sich die ersten Tränen seit Jahren zu.

      „Kann es sein, dass auf der Toilette eine Frau ein Kind zur Welt bringt?“

      Karins Kollegin Helena bemerkte die ältere Frau zunächst gar nicht, die leichenblass an der Rezeption lehnte und mit gesenkter Stimme sprach. Karin war schon seit geraumer Zeit nicht mehr auf ihrem Posten und es war immer noch die Hölle los. Obwohl sie am Empfang zu dritt waren, hatten sie alle Hände voll zu tun. Erst als die ältere Dame sich laut räusperte und Helenas Blick suchte, gewann sie deren Aufmerksamkeit.

      „Entschuldigung“,

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