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Staub und Regenbogensplitter. Stella Delaney
Читать онлайн.Название Staub und Regenbogensplitter
Год выпуска 0
isbn 9783745044904
Автор произведения Stella Delaney
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Und ich habe nichts gesagt. Ich konnte einfach nicht. Obwohl ich so viele Fragen hatte.
Wann ist das Weiß so unerträglich geworden, dass du es in einem Strom aus Rot ertränken musstest? Dass ein bodenloses tiefes Schwarz, ein ewiges Nichts der einzige Ausweg zu sein schien? Hätte ich etwas tun können, um dich aufzuhalten?
Den ganzen Weg zum Krankenhaus habe ich deine Hand gehalten. Und du meine. Wir konnten und wollten nicht loslassen, bis die Ärzte uns schließlich dazu zwangen.
Und jetzt wird die weiße Wand auch für mich unerträglich. Nein, nicht die Wand, sondern vielmehr die Bilder. Es ist nie die Leinwand, sondern das, was wir darauf projizieren.
Ich stehe auf und laufe ziellos den Flur entlang. Irgendwann finde ich mich an einem großen Fenster wieder. Die Kälte der Glasscheibe an meiner Stirn, so angenehm, so beruhigend. Ich atme tief durch und öffne dann langsam die Augen.
Die Lichter der Stadt hinter dem Regen. Kleine Funken in der Dunkelheit. Wie Sterne.
Und dann ist da plötzlich dieser Gedanke, an den ich mich klammere wie an einen Rettungsring: Wenn es selbst in der größten Dunkelheit noch irgendwo winzige Lichter gibt, dann muss es doch auch im endlosesten Weiß kleine dunkle Punkte geben. Und so lange diese Punkte existieren, ist es noch nicht zu spät. Man kann von ihnen aus Linien ziehen und die Flächen mit Farben füllen. Es ist eine gewaltige Aufgabe, die viel Zeit braucht, aber gemeinsam können wir es schaffen. Wenn wir diese Nacht überstehen, dann sollten wir es zumindest versuchen, meinst du nicht?
Gelb:
Der Weg vor uns
Der Himmel hatte die tiefblaue Farbe eines Samtvorhangs, noch ohne jede Spur eines verheißungsvollen Glanzes im Osten. Vor dem Fenster kämpfte das Licht einer einzelnen Straßenlaterne beharrlich gegen die Dunkelheit an, gedämpft durch die vielen Schneeflocken, die von dem warmen Leuchten angezogen wurden wie Motten in einer klaren Sommernacht.
Sommer. Die Erinnerung war schwer und golden und glänzend. Endlose Getreidefelder, strahlendes Licht und Wärme. Sonnenblumen, soweit das Auge reichte, die Wahrzeichen der Gegend, in der er aufgewachsen war. Sommer … das schien eine Ewigkeit her zu sein, nicht nur ein paar Monate.
Aiden seufzte. Die Nacht, die zum größten Teil bereits hinter ihm lag, war gleichzeitig endlos und viel zu kurz gewesen. Jetzt kniete er auf den Boden vor dem Spind und überprüfte ein letztes Mal sorgfältig den Inhalt seines Rucksacks. Alles war an seinem Platz, wie auch schon bei den vorherigen drei Kontrollen. Einen Moment zögerte er, dann griff er in das unterste Fach des Spinds, um etwas leuchtend Gelbes herauszuziehen. Ein wollener Schal, den seine Mutter heimlich in nächtelanger Arbeit gestrickt und ihm dann mitgegeben hatte, als er das Dorf verließ. Ganz schwach konnte man noch den Duft des Apfelkuchens erahnen, den sie immer gebacken hatte, und den Geruch von Wäsche, die in der Sonne trocknet. Wärme. Sommer. Zuhause. Ohne noch einmal zu zögern, legte er den Schal zuoberst auf seinen Rucksack.
Als er sich wieder erhob, bemerkte er sein Spiegelbild im dunklen Glas des Fensters. Ein Junge, an der Schwelle zum Mann. Ein Fremder. Seine Augen wirkten schwarz statt des wirklichen Dunkelbrauns, und seine Haare waren seit einigen Tagen militärisch kurz. Ein Anblick, an den er sich immer noch nicht gewöhnt hatte.
Obwohl er wusste, dass er sich langsam beeilen musste und dass es keinen Sinn hatte, das Unvermeidliche hinauszuzögern, trat er näher und legte seine Hand auf die kühle Glasfläche. Ein Teil des Fensters war mit Eisblumen bedeckt. So kalt. So zerbrechlich.
„Gabriel, das ist kindisch.”
Der Blick seines besten Freundes schlug ihm unmittelbar darauf wie Hagel ins Gesicht.
„Habe ich dich etwa gebeten, mir dauernd nachzurennen und dich wie meine Mutter aufzuführen? Habe ich das, Aiden?“
„So war das nicht gemeint. Ich wollte …“
„Und du tust es schon wieder. Glaubst du, ich kann die Bedeutung von ein paar einfachen Worten nicht verstehen, ohne dass du mir einen Vortrag darüber hältst?“
Sein Atem beschlug das Glas. Er fühlte sich fiebrig, gereizt, unsicher und besorgt – alles zur selben Zeit. Die Mischung verursachte einen Druck in seinem Magen, wie von zu vielen Süßigkeiten. Und dabei mochte er Süßigkeiten nicht einmal.
„Ganz ernsthaft, ich glaube wirklich nicht, dass es irgendwas mit dir zu tun hat. Du bist nicht weniger fähig als alle anderen, und sicher kein bisschen weniger als ich. Es ist einfach nur noch nicht der richtige Zeitpunkt. Du warst einige Wochen lang krank, und man will wahrscheinlich sichergehen, dass du dich völlig erholt hast.“
Doch statt einer Antwort erntete er nur Schweigen.
In Gedanken versunken, zog Aiden mit dem Finger die Muster der Eisblumen nach. Wie konnte eine Person voller Feuer plötzlich so kalt sein? Es ergab einfach keinen Sinn.
Er hatte es noch einmal versucht. „Es sind nun mal Befehle. Und die muss man befolgen, ob es einem passt oder nicht.“ Dann trat er näher und wollte seinem Freund die Hand auf die Schulter legen.
Zu seiner Überraschung wich Gabriel jedoch so heftig zurück, als hätte Aiden ihn schlagen wollen. Mit einem Blick, der brannte, aber gleichzeitig nichts als Kälte versprühte, herrschte ihn sein Freund an: „Verdammt nochmal, wie kann jemand, der so intelligent ist wie du, so unglaublich schwer von Begriff sein?“
Und ohne ein weiteres Wort ließ er Aiden stehen.
Sie waren seit Jahren beste Freunde, aber es war natürlich nicht so, dass sie nie gestritten hätten. Gabriel hatte ihm die Türe mehr als einmal vor der Nase zugeschlagen, aber immerhin hatte Aiden stets gewusst, warum. Sicher ging es Gabriel nahe, dass er nicht ausgewählt worden war – Aiden wäre es umgekehrt genauso gegangen – aber warum musste er das an seinem besten Freund auslassen?
„Gabriel, ich will das doch auch nicht. Wenn ich gesagt habe, dass es Befehle sind und dass man nichts machen kann, habe ich damit nicht gemeint, dass ich mich darüber freue. Der Gedanke, dich allein zu lassen …“
„Meinst du wirklich, ich bin so unfähig? Dass ich es nicht eine Sekunde ohne dich aushalte? Überraschung: du kannst aufhören, dir Sorgen um mich zu machen, und dich stattdessen um dich selbst kümmern. Schließlich habe ich mehr Erfahrung im Alleinsein als du.“
Danach hatte Gabriel nicht mehr mit ihm gesprochen, auch letzte Nacht nicht. Er hatte sich einfach umgedreht und so getan, als schliefe er.
Es war so sinnlos, so ungerecht. Und es war eigentlich nicht Gabriels Art. Vielleicht wurde er wieder krank? Eine Erkältung vielleicht, oder gar eine Grippe, oder … Hör auf, unterbrach Aiden sich selbst. Du klingst wirklich wie seine Mutter, nicht wie sein bester Freund.
*
Als er wenig später sein Zimmer betrat, saß Gabriel auf dem Bett. Angespannt, blass, aber bereits vollständig angezogen und sehr entschlossen. Sein Blick lastete schwer auf Aiden, während dieser seine warme Winterjacke vom Bett nahm und überzog. Einfache Handgriffe, notwendige Vorbereitungen, die kein weiteres Nachdenken erforderten. Schließlich war es kalt draußen. Als letztes legte er den gelben Schal um. Nicht ganz standesgemäß, aber wenigstens würde er ihn warmhalten, bis er seine Uniform und die dazugehörige Ausrüstung erhielt.
Während er nach seinem Rucksack griff, um ihn zu schultern, erhob sich sein Freund mit einer einzigen, fließenden Bewegung. Sie wechselten einen kurzen Blick, doch Gabriel wandte sich wieder ab, bevor Aiden irgendetwas in seinen Augen lesen konnte. Keine Geste, kein Flüstern, nicht einmal das kleinste Lächeln – dies alles war deutlicher als Worte es jemals sein konnten.
Dann drehte sich Gabriel um und begann, in forschen Schritten den Flur entlangzulaufen, ohne sich darum zu kümmern, ob Aiden ihm folgte oder nicht. Auch wenn er nicht die geringste Lust hatte, das Ende des Flures zu erreichen, beschleunigte Aiden fast automatisch, um ihn einzuholen.
Verstohlen musterte er seinen Freund von der Seite. Unglaublich, wie sehr Gabriel in den letzten