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nach unserem letzten Gespräch war sie von einer Sekunde auf die andere Sekunde verschwunden. Ich dachte zuerst, sie hätte sich krankgemeldet. Aber Eberhard Weißnicht, der Schuldirektor, informierte mich über die fristlose Kündigung meiner Kollegin.

      Anja wollte keinen Kampf, keine Konfrontation mit dem Schüler, der über ihre Vergangenheit Bescheid wusste. Sie hatte ihre Wohnung in Traunstein verlassen und das Handy abgestellt. Ich vermutete damals, sie wäre erneut zu ihren Eltern gezogen. Aber darin irrte ich mich. Die Wahrheit sollte ich erst viel später erfahren.

      Laura Dassanowsky, meine Nachhilfeschülerin aus Rosenheim, hatte das Abitur bestanden. Sie benötigte meine Hilfe nicht mehr. Leider schien sich das auch auf die Mutter auszuweiten. Seit über sechs Monaten hatte ich nichts mehr von Daniela Dassanowsky, der scharfen Mutter, gehört. Wahrscheinlich sitzt sie täglich einige Stunden vor dem Computer und masturbiert. Sie liebte das Internet Cam Portal und die ganzen verrückten Nutzer dort (siehe Band 3 + 4). Aber auch von Daniela Dassanowsky sollte ich bald wieder hören. Aber dazu bald mehr.

      Gegenwärtig hatte ich wieder das gleiche Problem, wie zu jedem neuen Schuljahr. Kein Geld, keinen Sex, keine Liebe. Aber unser Schuldirektor hatte ungewollt beschlossen, mich von meinen gegenwärtigen Problemen abzulenken. Und das ausgerechnet mit dem Thema Vertrauenslehrer.

      Ich hatte eigentlich vermutet, dass ich nach der Flucht von Anja Salisch von diesem Amt entbunden werden würde. Für mich hatte es sich wie eine Niederlage angefühlt. Ich habe meiner Kollegin nicht helfen können. So glaubte ich damals. Aber der Direktor schien anders darüber zu denken. Vielleicht lag es auch nur daran, dass kein anderer Lehrer bereit war, die Aufgabe als Vertrauenslehrer zu übernehmen. Aber jede Schule musste über eine solche Anlaufstelle verfügen. Es war eine Auflage vom Kultusministerium.

      Und dieses Amt sollte noch ausgeweitet werden. Als Vertrauenslehrer musste ich einen dreimonatigen Kurs über Psychiatrie besuchen. Dazu hatte ich natürlich gar keine Lust. Aber der Direktor informierte mich darüber, dass ich für die Tätigkeit als Vertrauenslehrer eine Gehaltserhöhung von zweihundert Euro erhalten würde. Damals rechnete ich in Tank- und Kühlschrankfüllungen und nahm das Amt an.

      Während der Sommermonate absolvierte ich diese dreimonatige Ausbildung. Ich erhielt ein Diplom und ab September ein höheres Gehalt. Vor einer Kommission musste ich noch einen Eid ablegen, dass ich über alle geführten Gespräche meiner Tätigkeit als Vertrauenslehrer der Schweigepflicht unterlag. Das mich bisher nur eine Person aufgesucht hatte, schien niemand zu interessieren. Und diese eine Person – Anja Salisch – war nach unseren Terminen untergetaucht. Aber vielleicht würde sich das in diesem Schuljahr ändern. Hm. Mal sehen.

      Die ersten zwei Monate des neuen Schuljahres passierte gar nichts interessantes. Ich unterrichtete die Schüler meiner Klassen in Sport und Geschichte. Als Vertrauenslehrer wollte niemand einen Termin mit mir. Mein Privatleben bestand aus dem Fernsehprogramm, dem Surfen im Internet, Wanderungen in den Bergen und gelegentliches Ausgehen mit Freunden. Alles normal und daher eher langweilig. Mein Sexualleben war ausschließlich durch gelegentliches Masturbieren erfüllt.

      Die erste Abwechslung vom Alltag sollte das diesjährige Halloween werden. Die Schüler wünschten sich ein Maskenfest in der Turnhalle, und unser Direktor stimmte dem zu. Warum auch immer.

      Also wurde ein Halloween Maskenfest organisiert. Für uns Lehrer war es eine Pflichtveranstaltung. Okay. Wir bekamen dafür einen Tag Sonderurlaub gewährt. Aber wir mussten als Gastgeber fungieren, uns um unsere Schüler und die Gäste kümmern. Unser lieber Direktor hatte beschlossen, zu diesem Maskenfest auch die Eltern und Verwandten der Schüler einzuladen. Es wurde somit ein ziemlich gemischtes Publikum erwartet. Und alle Gäste würden zum Thema Halloween maskiert erscheinen. Na bravo, Herr Direktor.

      Für dieses blöde Fest brauchte ich noch ein Kostüm. Ich muss zugeben, ich bin und war ein absoluter Karnevalsmuffel. Warum sich ein Mensch verkleiden muss, habe ich noch nie begriffen. Ich brauchte weder eine Verkleidung noch Alkohol, um lustig zu sein.

      Aber der Direktor hatte es so beschlossen, und ich erhielt einen Tag Sonderurlaub. Dann also ein Maskenfest. Okay.

      Ich recherchierte im Internet und fand ein Kostümverleih in Kolbermoor. Für die geografisch weniger gebildeten, möchte ich hier anmerken, dass Kolbermoor direkt zwischen Rosenheim und Bad Aibling liegt. Die einzigen interessanten Ereignisse, durch die Kolbermoor erwähnt wird, lagen an Paul Breitner und Bastian Schweinsteiger, die hier geboren wurden.

      Und natürlich der Kostümverleih in der Rosenheimer Straße 5.

      Ich hatte nämlich beschlossen, mir ein Kostüm für den Maskenball auszuleihen. Natürlich lag das an meinem überzogenen Bankkonto und meinem leeren Geldbeutel. Ausleihen klang in meinen Augen billiger, als etwas kaufen zu müssen.

      Also vereinbarte ich telefonisch ein Termin und fuhr an einem sonnigen Nachmittag nach Kolbermoor.

      Ein ungefähr fünfzigjähriger Mann stand hinter dem Ladentisch von einem wackligen Holzstuhl auf, der protestierend knarrte, sich zur Seite neigte und krachend in sich zusammenfiel. Der Ladenbesitzer kümmerte sich nicht weiter darum, sondern musterte mich mit einem interessierten Blick.

      „Sie wünschen, junger Mann?“

      „Ich brauche ein Kostüm“, antwortete ich lahm.

      Was sollte die Frage? Was würde ich bei einem Kostümverleiher sonst suchen, wenn nicht ein Kostüm.

      „Haben Sie besondere Vorstellungen?“

      „Es handelt sich um einen Halloween Maskenball. Ich dachte vielleicht an Graf Dracula.“

      „Halloween. Hm.“

      Der Kostümverleiher schien einige Sekunden nachzudenken. Er schluckte mehrmals krampfhaft, bis er einen Ton hervorbrachte.

      „Emma!“, krächzte er.

      „Ist das ein Kostüm?“, fragte ich verwirrt.

      „Das ist eine Studentin die bei mir jobbt“, antwortete der Verleiher mit einem satten Grinsen.

      Emma tauchte aus einem der hinteren Räume auf. Langsam und gelangweilt musterte sie mich. Doch schon nach wenigen Sekunden trat ein interessiertes Glitzern in ihre Augen. Was sollte das bedeuten? Aber ich habe es mittlerweile aufgegeben über die Gedanken einer Frau nachzudenken. Das wird für einen Mann ein immerwährendes Rätsel bleiben.

      „Emma“, sagte der Ladenbesitzer süßlich, „der Herr würde sich gerne als Graf Dracula verkleiden. Sei so lieb, und hole das Kostüm. Und mich entschuldigen Sie, ich habe noch in meinem Büro zu tun!“

      Damit wandte er sich ab und lief eiligst in den Nebenraum. Emma stand stattdessen wie aus dem Boden gewachsen vor mir und hielt mir auf einem Kleiderbügel das gewünschte Kostüm entgegen.

      Kritisch musterte ich die Hose aus anschmiegsamem Stoff und das Oberteil aus elastischem Material mit weiten Ärmeln und reichen Verzierungen. Außerdem gehörte ein weißes Hemd mit Rüschenkragen und eine Weste dazu. Es gefiel mir nicht sonderlich, doch die Hose gab den Ausschlag. Genauer gesagt, die Hose über den engen Beinkleidern. Es war eine sehr weite, sehr steife Pluderhose, die eindeutig in die Zeit von Graf Dracula gehörte. Natürlich hatte ich davon keine Ahnung. Ich hatte nur keine Lust noch weiter nach einem Kostüm zu suchen.

      „Ob es Ihnen passen wird?“, fragte Emma und vermaß meinen Körper mit fachmännischen Blicken.

      „Ganz bestimmt“, murmelte ich und wollte schon nach dem Leihvertrag fragen, aber sie legte ihre Hand auf meinen Arm.

      „Sie sollten es zumindest einmal probieren“, schlug sie mit einem lasziven Unterton vor.

      „Wenn Sie das sagen, dann werde ich das Kostüm doch lieber probieren“, meinte ich nachgebend.

      „Sehr gut“, lächelte Emma und versperrte die Ladentür.

      Noch bevor ich etwas tun konnte, hängte sie das Schild »KOMME GLEICH« ins Schaufenster und lehnte sich lässig mit leicht gespreizten Beinen gegen den Ladentisch – eine einzige Versuchung.

      Ich

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