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Angelegenheit wurde komplizierter als erwartet und wirkte – im Nachhinein betrachtet – wie pure Ironie des Schicksals.

      Der Professor untersuchte Beate auf die damals übliche prüde englische Art. Sie musste sich auf einer Liege ausstrecken, mit einem Laken zugedeckt. Er erklärte den Studenten in vielen Fachausdrücken, die sie nicht verstand, was er ertastete. Anschließend begründete er, an die Patientin gewandt, warum sie vermutlich nicht schwanger werden könne. Jedenfalls auf normalem Wege.

      In diesem Moment erlebte sie, wie schwierig es ist, in einer fremden Sprache Zwischentöne und Ungesagtes zu verstehen. Sie begriff es erst viel später.

      Der Professor bezog sich auf einen Eingriff, den ein deutscher Arzt vorgenommen hatte. Beate wusste damals nicht, dass dieser Doktor jeder seiner Patientinnen den kleinen Eingriff am Muttermund empfahl. Er verdiente daran, es war eine Art Vorsorge und schadete scheinbar nicht. Dem englischen Professor fiel es dadurch leichter, ihr Unfruchtbarkeit zu attestieren. Sie verstand nichts von dem, was zwischen den Worten mitschwang. Der Mediziner war gebeten worden, ihr zu helfen. Dafür hatte er einen Weg gefunden und erfüllte ihren Wunsch.

      Aber Beate reagierte verzweifelt, fühlte sich unerwartet zur Kinderlosigkeit verdammt und fuhr weinend nach Hause. Zu Benno. Der sie zaghaft zu trösten versuchte. Dem sie nach einigen Tagen sagte, sie sei sowas von einer Spinnerin, dass sie es selbst nicht aushalte. Kaum habe der Professor Unfruchtbarkeit diagnostiziert, bleibe ihre Temperatur bei der morgendlichen Messung nach der Gnaus-Ogino-Methode in einem Bereich, als sei sie schwanger. Offenbar protestiere ihr Körper gegen das Urteil. Sie spinne eben!

      Erst die Fehlgeburt nach einer langen Autofahrt zeigte, dass da mehr gewesen war.

      Schon während der Untersuchung war sie schwanger gewesen. Es hatte nicht sollen sein. Ein Arzt tröstete, dass der Fötus meistens einen guten Grund dafür habe abzugehen.

      Die Adoptionsgesellschaft, an die der Wunsch der Grimms weitergeleitet wurde, vermittelte Kinder, deren Vorfahren aus der karibischen Inselwelt nach London gekommen waren, dunkelhäutige Jungen und Mädchen: Babys, aber auch Schulkinder.

      Monate gingen ins Land, bis Beate und Benno den Bescheid erhielten, dass sich demnächst eine Sozialarbeiterin bei ihnen melden werde.

      Als Anne Martin tatsächlich anrief, wurden sie damit zum ersten ausländischen Paar, bei dem ein Adoptionsverfahren in London eingeleitet wurde. So jedenfalls sagte Anne Martin.

      Nach dem ersten Kennenlernen freuten sie sich auf ihre weiteren Besuche. Die sympathische Frau wurde in den nächsten Monaten zu einer Freundin. Nur fehlende Vokabeln bremsten den Redefluss, wenn Grimms über ihr bisheriges Leben berichteten und über das Leiden der kleinen Lydia, das ihr eigenes wurde.

      Selbst die Ankündigung, Beate müsse ein adoptiertes Kind zunächst ein Jahr lang zu Hause betreuen und also im Beruf pausieren, gab keinen Anlass, die Sache zu überdenken.

      Nachdem Mrs. Martin ihre Lebensläufe, mit vielen Einzelheiten verziert, gehört hatte, forschte sie nach den Motiven für den Adoptionswunsch.

      Warum wollen sich Benno und Beate um ein fremdes Kind kümmern? Wollen sie womöglich damit eine Ehekrise oder sonstige eigene Probleme zudecken?

      Oder sich selbst von dergleichen ablenken?

      Soll das Kind als Trostpflaster dienen?

      Wie würden sie reagieren, wenn jemand ihr Kind wegen seiner Hautfarbe angriffe? Oder auch nur anstarrte?

      Die Sozialarbeiterin musste sich ein Bild verschaffen. Sie würde den Fall vor dem zuständigen Gremium der Adoptionsgesellschaft vertreten. Nicht Beate und Benno persönlich würden dort Auskunft geben. Nicht einmal ihre Anwesenheit war erforderlich, sondern Anne Martin würde ihre Stimme sein, während sie zu Hause auf die Entscheidung warteten und die Daumen drückten.

      Wochen vergingen mit vielen vergeblichen Blicken in den Briefkasten, es war eine Zeit voller Erwartungen auf einen neuen Lebensabschnitt. Sie dehnte sich.

      Als Grimms zum Sommerfest der Adoptionsgesellschaft eingeladen wurden, hatten sie zum ersten Mal das Gefühl, aus ihrem Wunsch könne Wirklichkeit werden. Irgendwann. Erwartungsvoll sahen sie dem Picknick im Grünen entgegen, mit vielen Kindern, deren Adoptiveltern und Leuten wie ihnen, die ein Kind annehmen wollten.

      Das Wetter meinte es gut, die Sonne schien – nicht nur in der Erinnerung.

      Die Kinder, fast ausnahmslos dunkelhäutig, tobten fröhlich durchs Gelände. Allerhand zukünftige Sprinter schienen darunter zu sein, auch jede Menge Fußballer und Handballerinnen, Babys, Kleinkinder und Schulkinder.

      Benno und Beate sahen vor allem frohe Menschen. Erst nach Jahren verstand Beate einige Sätze besser, die sie beim Sommerfest gehört hatte.

      Ein Vater sprach mit leichtem Bedauern in der Stimme über das Temperament: Mein Sohn ist nicht nur westindischer Herkunft, sondern noch dazu ein Mischling. Die sind überhaupt nicht zu bremsen, wollen nie Ruhe geben oder still sitzen. Das ist manchmal etwas anstrengend, a little bit.

      Nachdem Beate ein kleines Mädchen bewundert hatte, antwortete die Mutter, es sei zwar wunderbar, ein Kind zu haben, aber kraftzehrend sei es auch. Sehr sogar. Bei diesem Temperament!

      Der sonnige Nachmittag unter vielen fröhlichen Leuten bestärkte die beiden, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Ungeduldig stellten sie sich den Prozeduren. Und lasen Bücher.

      How to adopt etwa.

      Oder über Kindererziehung.

      Dr. Benjamin Spock, seines Zeichens Kinderarzt und Erziehungsberater aus den USA, war gerade in und wurde von Beate beinahe auswendig gelernt. Eine Art Bibel der modernen Erziehung. Groß in Mode wurde durch ihn der Versuch, sich ganz in das Gemüt des Kindes zu versetzen, um die Eltern verständnisvolles Handeln zu lehren. Der Weg zur antiautoritären Erziehung wurde gespurt und von den Kinder-Verstehern theoretisch beschritten.

      Was will uns das Kleinkind damit sagen, dass es schreiend Porzellanteller auf den Fliesenboden wirft?

      Leider hat der Freund in Deutschland beruflich viel zu tun, außerdem Frau und Kind, ein Adoptivkind. Englisch ist wegen mangelnder Übung nicht die Sprache, in der sich ein Brief locker und leicht schreibt. Noch dazu ein ungewöhnlicher offizieller Brief, wie man ihn nur selten im Leben verfasst.

      Grimms sollten jemanden benennen, der Auskunft über sie als Freunde geben könne. Ein Vierteljahr verstreicht, ehe die Adoptionsgesellschaft die gewünschte Antwort erhält. Erst beim Abschied aus England übergibt ihnen Anne Martin einen schmalen Hefter, der nicht nur die Fotokopie eines Briefes von Winnys Mutter, sondern auch den Brief des Freundes enthält.

      Seine Auskünfte haben die beiderseitige Beziehung nicht getrübt und das Adoptionsverfahren befördert.

      Nach Monaten des Wartens erhalten Benno und Beate endlich eine erste Nachricht von Winston:

      Die Sozialarbeiterin will mit ihnen über einen kleinen Jungen mit westindischen Wurzeln reden, der zwar schon ein Jahr alt ist, aber ein Frühchen und wahrscheinlich deshalb in seiner Entwicklung zurückgeblieben.

      Ziemlich zurückgeblieben. Rather - das Wort beunruhigt die zukünftigen Eltern.

      Jetzt aber sollen sie erst einmal sagen, ob sie grundsätzlich interessiert sind. Mrs. Martin hat zu verstehen gegeben, dass sie Nein zu einem Kind sagen dürfen, ohne damit das Recht auf eine Adoption zu verwirken. Doch der Gedanke an ein Nein ist ihnen suspekt. Wird ein Kind in einer Familie geboren, gibt es auch kein Nein zu diesem Baby.

      Anne Martin schreibt ihnen, dass sie sich Zeit für ein weiteres Gespräch freihalten werde und auf ihre Antwort gespannt sei.

      Von nun an wird es noch knapp zwei Monate dauern, bis Winny sein Zuhause findet.

      Da Sie ein farbiges Kind haben werden, sagt die Sozialarbeiterin, sollten Sie ihm so früh wie möglich von der Adoption erzählen. Sie lässt sich ja schon

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