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würde die Wahrheit nicht erfahren, von wem auch. Gis durfte nie wieder auftauchen, wollte er Kaya nicht gefährden. Kaya musste schweigen, wollte sie Gis nicht gefährden. So stieg Gis auf sein Pferd, die Hände noch immer gebunden. Vor ihm verschnürten sie seine Kleider, unter Alitiksoks Bauch seine Füße. Die festen Stricke schnitten schmerzhaft in sein Fleisch. Schmerzhafter brannte die Wunde auf seiner Brust. Er nahm das alles nicht wahr. Der Schmerz seines Herzens war so viel stärker. Tammo gab Alitiksok einen Schlag. Die Stute galoppierte los, nahm Gis mit sich und ließ Kaya verzweifelt zurück.

      "Wir sehen uns …", weiter kam sie nicht. Tammo drückte einen hölzernen Knebel in den Mund der Schwester, ließ sie nicht aussprechen, was sie Gis so gern mit auf den Weg gegeben hätte. So vieles gab es zu sagen. Sie würde ihn finden, egal wohin es ihn auch verschlüge. Sie wollte ihm das nachrufen. Doch sie konnte nur noch erstickte Töne hervorbringen, während Tammo sie vorwärts in Richtung des Dorfes stieß.

      "Wir bringen dich zu dem, dem du versprochen bist", sagte er, während er Kaya zu Tahnkers Hütte stieß.

      "Wird der kleinen Hure bestimmt Spaß machen, wenn sich ihr zukünftiger Herr bereits vor der Hochzeit mit ihr vergnügt. Doch ich will sicher sein, dass sie sich fügt", sprach er seinen Brüdern zugewandt weiter.

      Kaum in Tahnkers Hütte angekommen, warf Tammo die Schwester auf das mit Fellen bedeckte Podest, welches dem Hausherrn als Schlafstatt diente. Er rechnete dabei nicht mit Kayas Kampfeswillen. Trotz gefesselter Hände richtete sie sich wieder auf, rammte ihren Kopf in seine Weichteile, ließ schrecklichen Schmerz durch seinen Körper rasen. Doch auch Tammo war kräftig und im Kampf geübt. Sein Faustschlag, ein unkontrollierter Reflex, antrainiert in vielen Auseinandersetzungen mit anderen Halbstarken, streckte Kaya nieder. Als sie wieder erwachte, waren ihre Hände und Füße an den Bettpfosten festgebunden. Sie konnte sich mühen, wie sie wollte. Es gab kein Entrinnen, auch dann nicht, als Aalgaar und Uugaar Tahnker herbeischleppten, der viel mehr als üblich getrunken, seinen Verstand weitgehend verloren hatte. Er wusste nicht so recht, was er von der Szene halten sollte, kapierte nicht, warum Kaya nackt auf seinem Bett lag, reagierte unterbewusst, animalisch, von Kayas Brüdern bedrängt.

      "Siehst du nicht, wie sie dich will?"

      "Weißt du nicht, wie ein Mann eine läufige Frau nehmen muss?"

      "Nun zieh schon die Hose aus, bevor dein Stecken bricht."

      Aalgaar, Uugaar und Tammo sprachen nacheinander auf Tahnker ein, bis er mit heruntergelassener Hose zu Kaya stieg und den Akt vollzog, den man offensichtlich von ihm erwartete. Kaya konnte nur schluchzen, war dem schändlichen Treiben ausgeliefert, sagte sich immer wieder, dass das nicht Tahnker sei, der sie solchermaßen demütigte, dass er nicht Herr seiner Sinne, dass alles das schändliche Werk ihrer Brüder sei. Und sie wusste, es würde eines Tages Sühne geben. Sie würde warten, nicht eilen, aber auch niemals vergessen. Tahnker war in alle Ewigkeit an sie gebunden. Er hatte ihr Gewalt angetan. Sobald er wieder denken, sein begangenes Unrecht erkennen könnte, wäre er ihr Sklave. Die Brüder hingegen mochten augenblicklich frohlocken. Ihrer Strafe könnten sie nicht entgehen. Wenn Gis erst zurückkäme, müssten sie um ihr Leben bangen. Kaya dachte fest an Frigga, ihre Göttin, die das alles nicht verhindern konnte, sie aber in ihrem Kampf unterstützen würde.

      "Wir kämpfen gemeinsam", flüsterte sie in den Knebel, als sie Tahnkers Wärme in ihrer Mitte spürte, als sein nach Bier stinkender Kopf auf ihre Brust sank, als er seinen Rausch auf ihrem nackten Körper ausschlief. Kaya schlief nicht. Gedanken des Zorns, Gedanken der Rache wühlten in ihrem Kopf.

      "Du wirst keinem erzählen, was geschah", raunte ihr Tammo ins Ohr, "sonst wirst nicht nur du, werden auch Gis, der Mörder, und Frysunth, der den Mörder versteckte, schlimmen Schaden nehmen. Hör zu, wenn ich mit Tahnker spreche, und merk dir jedes Wort. Denn nur das ist die Wahrheit. Und nichts anderes sollst du zukünftig sagen, als die Wahrheit." Eine Ohrfeige unterstrich die Ernsthaftigkeit von Tammos Worten.

      "Verstanden?" Wissend, dass die Schwester ihn verstand, auch wenn sie nur minimal nickte, nahm er den Knebel aus ihrem Mund und ging zu Aalgaar und Uugaar, während Kaya sich die schrecklichsten Strafen ausmalte. Sie schwieg dabei, sprach nur innerlich und mit sich selbst, forderte sich zur Geduld auf, kämpfte gegen Todessehnsucht und für das Weiterleben, gegen voreilige Entscheidungen und für das geduldige Warten auf den richtigen Zeitpunkt, Vergeltung zu üben. Sie atmete schwer, während Tahnker auf ihr lag, ihre Brüder auf dem Boden sitzend, mit dem Rücken an der Wand lehnend, der anstrengenden Vorbereitung ihrer Schandtat Tribut zollend, in traumlosen Schlaf fielen.

      Ein gellender Schrei entfuhr Tahnkers Mund, als er erwachend erkannte, was er im Vollrausch getrieben hatte. Die Szene war zu eindeutig.

      "Du raubtest die Ehre unserer Schwester, nahmst sie mit Gewalt und noch vor der Hochzeit, noch bevor Frysunth, unser Vater, sie dir übergab." Tammo, von Tahnkers Schrei aus dem Schlaf gerissen, folgte zielgerichtet seinem Plan. Die Schwester käme ihm nie wieder in die Quere, und Tahnker, der beste Aussichten hatte, Frysunth in der Vorsteherschaft nachzufolgen, stünde auf ewig in seiner Schuld. Dann war der Weg frei, vom großen zum allergrößten Bauern aufzusteigen, neben dem des Vaters auch Frysunths Hof zu übernehmen und ihm in der Vorsteherschaft nachzufolgen.

      "Was tat ich nur?" Voller Abscheu vor sich selbst stand Tahnker auf, bedeckte seine Blöße, sah Tammo fragend an und vermied krampfhaft, in Kayas Richtung zu blicken.

      "Du hast dich betrunken und das dir versprochene Weib mit Gewalt genommen. Wir bemerkten es zu spät, fanden euch erst, als du am Höhepunkt standst." Tammo wollte weiteren Fragen Tahnkers zuvorkommen, nicht erklären müssen, warum er der Schwester nicht beigestanden hatte.

      "Wir hätten dich von ihr reißen, unsere Dolche in deinen brünstigen Leib stoßen können. Doch es war zu spät." Tammos Unschuldsmiene ließ die Lüge wie Wahrheit wirken, trieb Tahnker zur Verzweiflung.

      "Nein, es ist nicht zu spät. Bindet eure Schwester los und lasst sie Rache an mir nehmen", flehte er.

      "Willst du sie ein zweites Mal beleidigen, womöglich mit deinem Kind im Leib zurücklassen, während du in die Hölle fährst?" Tammos Stimme überschlug sich fast, während Tahnker am ganzen Leibe zitternd, jeden Stolz verlor.

      "Nein, du wirst sie losbinden, so wie du sie festgebunden hast. Du wirst sie jeden Tag um Verzeihung bitten, wirst sie behüten wie deinen Augapfel. Und du wirst immer daran denken, welches Wissen wir mit dir teilen." Mit sichtbarer Schadenfreude zeigte Tammo an, dass Tahnkers Leben von nun an fremdbestimmt, sklavisch, in ständiger Furcht verlaufen würde.

      "Nimmst du sein Opfer an?", fragte der große Bruder die entehrte Schwester und zeigte sichtbar auf seine Brust, auf die Stelle, an der Gis das Brandzeichen trug.

      "Ich nehme es an", schluchzte Kaya und rieb sich die Gelenke, die Tahnker nacheinander von ihren Banden befreite.

      "Dann zieh dein Kleid über und komm mit. Bei Sonnenaufgang wird dich Frysunth dem übergeben, dem du seit letzter Nacht ohnehin gehörst." Tammo warf Kaya das grobe Gewand zu, welches sie voller Scham über den schmerzenden Körper streifte. Bald würde sie es gegen Festtagskleider tauschen, äußerlich rein und unbefleckt erscheinen, von einem ahnungslosen Ziehvater einem gedemütigten Manne zur Frau gegeben, von einem ebenso ahnungslosen Vater Bonifatius vor dem Christengott vermählt werden.

      Frysunth tobte, Altje schrie. Aufgeregt kam Vater Bonifatius herbeigelaufen. Sicher, es fiel den Eltern schwer, ihre Kinder aus dem Haus zu geben, vor allem, wenn sie so kräftige Arme hatten, so fleißige Arbeiter waren, wie es auf Kaya zutraf. Doch ganz so heftig musste die Trauer nun wirklich nicht ausfallen. Es ging schließlich nur um das Ziehkind.

      "Beruhigt euch liebe Leute und Gott zum Gruße." Ohne Zögern und mit diesen Worten auf den Lippen betrat der Missionar des Dorfvorstehers Haus, worauf dieser ebenso wie seine Frau augenblicklich verstummten. Gis war geflohen, hatte die Liebe missbraucht, die Pläne der Zieheltern so radikal umgestoßen. Aussprechen konnten sie das nicht. Es gab nie einen Gis, jedenfalls nicht für Bonifatius. So warteten sie erst einmal ab, was der Christenpriester von ihrem Wortgefecht gehört, welches Wissen er bereits gesammelt hatte.

      "Freut euch und schreit

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