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verneinend den Kopf. Sie wollte nicht weiter auf dieses Thema eingehen, was ich durchaus nachvollziehen konnte und so beließen wir es dabei.

      Zehn Minuten nach Unterrichtsbeginn war klar, dass Madison auch heute nicht erscheinen würde, sehr zu Rubys Missfallen. Ihre Laune, die ohnehin schon im Keller war, schien noch weiter zu sinken.

      Kurze Zeit später fand die Bescherung statt - natürlich vollkommen anonym, denn so waren nun einmal die Regeln. Alle stürmten zu dem Tisch, auf dem die Geschenke lagen, die mit ihrem Namen versehen waren. Während Poppy sich wie ein kleines, ungeduldiges Kind in das Getümmel stürzte und ihre Mitschüler beiseite schubste, um als erste an den Tisch zu gelangen, blieben Ruby und ich zurück. Wir warteten lieber, bis sich der ganze Trubel etwas gelegt hatte. Ruby hatte ohnehin nicht an dem Wichteln teilgenommen, da sie erst vor ein paar Tagen in unseren Kurs gewechselt hatte. Als Poppy an unseren Tisch zurückkam, streckte sie mir ein viereckiges Geschenk entgegen, das in schlichtem, silbernem Papier und einer roten Schleife verpackt war.

      »Hier, ich habe dir deins gleich mitgebracht.«

      Ich bedankte mich bei Poppy und nahm es entgegen. Zugegeben, nun war meine Neugierde doch geweckt und interessiert befühlte ich das kleine Päckchen mit den Händen. Noch bevor ich es auspackte, glaubte ich zu wissen, was sich darin befand und meine Vermutung wurde bestätigt - es war ein Buch.

      Aber nicht nur irgendein Buch.

      Als meine Augen über den Titel glitten, setzte mein Herzschlag für ein paar Sekunden aus und mir stockte der Atem.

      Jane Austen, Verstand und Gefühl.

      Dieses Buch hatte ich schon einmal in den Händen gehalten. Haargenau dieses Buch. Das konnte kein Zufall sein. Es wies dieselben Eselsohren auf. Dieselben Knicke im Einband. Es war dasselbe Buch, das Logan mir zum Schulbeginn ausgeliehen hatte. Irritiert schlug ich die erste Seite auf, wobei mir um ein Haar ein kleiner Notizzettel herausgerutscht wäre. In letzter Sekunde, bevor er zu Boden flatterte, konnte ich ihn allerdings noch auffangen. Neugierig griff ich danach und las die Zeilen.

      Liebe Drea,

      du hast dich mir geöffnet

      und es tut mir aufrichtig leid,

      wie ich darauf reagiert habe.

      Ich weiß, dass ich dir eine Antwort schulde.

      Du findest sie in diesem Buch.

      Ich wünsche dir ein frohes Weihnachtsfest.

      Mit einem Mal schoss mein Puls rapide in die Höhe.

      Logan.

      Dieses Geschenk musste von Logan sein. Es konnte gar nicht anders sein! Das war sein Buch, welches ich hier in den Händen hielt.

      Seine Schrift.

      Aber was hatten diese Worte zu bedeuten?

      Ich weiß, dass ich dir eine Antwort schulde.

      Du findest sie in diesem Buch.

      Plötzlich begann es mir zu dämmern und ich widmete mich wieder ganz dem Roman in meinen Händen. Auf der Suche nach der richtigen Stelle, ließ ich die Seiten des Buches surrend über meine Daumenkuppe gleiten - bis ich eine Stelle überblätterte, die mit einem Marker gelb markiert worden war. Ich schlug einige Seiten zurück. Während meine Augen im Eiltempo über besagte Zeilen flogen, fuhr ich mit dem Zeigefinger die Buchstaben nach, die mein Herz sogleich zum Höherschlagen brachten.

      … Mein Herz ist und wird immer dein sein …

      Einen kurzen Augenblick lang herrschte in meinem Kopf absolute Leere, während mein Verstand versuchte, die gelesenen Worte zu verstehen. Unvermittelt hob ich den Kopf und sah geradewegs in Logans eisblaue Augen, die meinen Blick durch den Saal hinweg erwiderten, als hätte er nur darauf gewartet, dass ich zu ihm schaute.

      In meinem Bauch begann es zu flattern, während wir uns ansahen. Sein Blick sagte in diesem Moment mehr, als tausend Worte auf einmal und schlagartig wurde mir klar, was er mit der Botschaft auf dem kleinen Zettel vorne im Buch gemeint hatte.

      Natürlich war dies keine Antwort auf die Frage, wie es mit uns weitergehen sollte. Es war auch keine Lösung, wie wir zukünftig mit dem Hindernis, das sich Dad nannte, umgehen sollten oder mit der Tatsache, dass Logan noch immer mein Lehrer war. Aber diese eine Zeile, dieses Zitat, es war eine völlige und absolute Offenbarung seiner Gefühle. Eine Erwiderung meiner Liebeserklärung.

      Zwar hatte er mir diese magischen drei Worte nicht ins Gesicht gesagt, aber dies war seine Art und Weise sich mir anzuvertrauen, sich zu öffnen.

      In meinen Augen war dies ein großes Entgegenkommen seitens Logan und ich mochte mir gar nicht ausmalen, wie viel Kraft und Überwindung es ihn gekostet hatte, sich trotz seiner schmerzhaften Vergangenheit diese Gefühle endlich einzugestehen. Ich konnte mir nur ansatzweise vorstellen, wie schwierig dieser Schritt für Logan gewesen sein musste. Insbesondere dann, wenn man nur Ablehnung und Gewalt hatte erfahren müssen und sich daraufhin geschworen hatte, nie wieder jemanden so nah an sich heranzulassen. Jemanden zu lieben, war für die meisten Menschen etwas vollkommen Natürliches.

      Für Logan war es Verwundbarkeit.

      Denn damit lief er Gefahr, wieder verletzt zu werden. Aber nicht von mir - und das würde ich ihm schon noch beweisen.

      »Und? Was hast du bekommen?«, fragte Ruby und beugte sich zu mir rüber. Schnell klappte ich den Roman in meinen Händen zu und schenkte ihr ein hoffentlich unauffälliges Lächeln.

      »Ach, nur ein Buch.«

      Heiligabend verlief genauso, wie ich es erwartet hatte. Angespannt. Verkrampft. Langatmig.

      Gemeinsam mit meinem Dad, Lukas und Mia hatten wir die Kirchenmesse besucht. Unterdessen garte Zuhause der Braten im Ofen, sodass wir gemeinsam zu Abend essen konnten, wenn wir zurückkamen. Und das taten wir. Schweigend. Die Einzige, die noch einigermaßen Stimmung an diesem trostlosen Abend verbreitete, war Mia. Sie brabbelte wirres Zeug über Geschenke und den Weihnachtsmann. Zu meiner Schande musste ich zugeben, dass ich ihr gar nicht richtig zugehört hatte, zu sehr war ich in Gedanken versunken. Nicht einmal die Tatsache, dass es an Heiligabend schneite, konnte meine Stimmung noch aufmuntern.

      Gedanken daran, wie sehr ich Mom vermisste.

      Gedanken über den Streit mit meinem Dad.

      Gedanken an Tante Carolyn und Adam.

      Gedanken über Logan. Wie er wohl den heutigen Abend verbrachte?

      Nach dem Abwasch saßen Dad, Lukas, Mia und ich noch gemeinsam im Esszimmer und spielten Brettspiele, während auf dem Fernseher im Hintergrund Tim Allens Santa Clause lief. Alles in allem war der Abend recht ereignislos, doch ich bemühte mich, gute Miene zum bösen Spiel zu mimen, denn ich wollte meiner kleinen Schwester nicht das Weihnachtsfest verderben.

      Gegen neun Uhr legte sich ein schläfriger Ausdruck über Mias Züge, woraufhin wir die Spiele beiseite räumten. Ich hatte Mia gerade zu Bett gebracht und mich wieder auf den Weg nach unten begeben, als die Klingel der Haustür ertönte.

      Überrascht hob ich den Blick.

      »Erwarten wir noch jemanden?«, fragte ich Lukas, der gerade aus der Küche kam.

      »Joanna kommt noch«, hörte ich ihn sagen, als er auch schon eilig zur Haustür sprintete.

      Joanna?

      Erstaunt runzelte ich die Stirn und folgte ihm zur Haustür. Verbrachte Joanna Heiligabend denn nicht mit Logan?

      Und tatsächlich, vor der Tür stand sie. Ihr blondes Haar war nach oben zu einem unordentlichen Dutt gesteckt und sie trug eine weit fallende, rote Satinbluse, dazu schwarze skinny Jeans. Wie immer strahlte sie nur so vor Schönheit. Doch irgendetwas in ihrem Gesicht sagte mir, dass ihr Heiligabend ebenso mies gewesen war, wie unserer. Unter ihren Augen zeichneten sich dunkle Schatten

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