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tat mir meine Tante leid, sehr sogar. Sie war eine herzensgute Frau, die alles für die Menschen tat, die sie liebte. Und als hätte sie dank ihrem tyrannischen Ehemann all die Jahre nicht schon genug leiden müssen, so hatte sie nun auch noch erfahren, dass ihr Sohn zu demselben Mistkerl herangewachsen war, wie einst sein Vater gewesen war. Ich hoffte, dass Dad ihr trotzdem eine Einladung ausgesprochen hatte, auch wenn sie wahrscheinlich nicht kommen würde.

      Aber mal abgesehen von all diesen Aspekten würde dieses Weihnachten nicht mehr das sein, was es all die Jahre über gewesen war. Mom war nicht mehr da und zwischen Dad und mir herrschte noch immer Eiszeit. Es war der längste Streit, den wir jemals hatten. Doch ich sah es nach wie vor nicht ein, mich zu entschuldigen oder klein beizugeben. Auch wenn Dad nur aus Sorge um mich und meine Zukunft gehandelt hatte, so fand ich sein Verhalten noch immer unangebracht.

      »Drea«, Poppy wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht. »Und? Bist du an Heiligabend auch dabei oder nicht?«

      Ich wollte bereits absagen, als ich es mir kurzerhand anders überlegte. Ich konnte mir ohnehin nicht vorstellen, dass der diesjährige Heiligabend sonderlich familiär oder feierlich ausfallen würde. Ohne Mom. Die Sache mit Adam. Der Streit mit Dad. Da wäre eine kleine After-Feier mit meinen Freunden doch genau das Richtige, um mich etwas in Stimmung zu bringen.

      »Klar, ich bin dabei«, bestätigte ich, womit ich meinen Freunden ein freudiges Grinsen entlockte.

      Die ersten paar Stunden verbrachte ich damit, unruhig auf meinem Stuhl hin und her zu rutschen und alle paar Sekunden einen nervösen Blick auf die Uhr zu werfen. Ich saß wie auf heißen Kohlen und fürchtete mich davor, Logan gegenübertreten zu müssen. Ich wollte ihn nicht sehen. Allein der Gedanke daran versetzte mich in blanke Panik.

      Seit dem Vorfall vor ein paar Tagen in seinem Klassenraum hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen. Noch immer hatte ich keinen blassen Schimmer, wie es nun zwischen uns weiter gehen sollte und ich wartete sehnsüchtig auf eine Antwort. Auf irgendein Zeichen seinerseits, das mir Sicherheit gab, mir vermittelte, dass alles gut werden würde und ich mir keine Sorgen machen musste. Aber es kam nichts und so befand ich mich nach wie vor im Unklaren. Ich hing in der Luft - ein schreckliches Gefühl.

      Als Poppy und ich schließlich vor dem Englischsaal ankamen, blieb ich verunsichert davor stehen. Meine Beine fühlten sich an, als wären sie gelähmt. Poppy, die mein Zögern bemerkte, hielt ebenfalls inne und drehte sich fragend zu mir um. Sie verstand sofort und lächelte mich mitfühlend an.

      »Alles okay? Wir könnten die letzte Stunde vor den Feiertagen auch einfach schwänzen. Es werden ohnehin nur die Wichtelgeschenke vergeben und über Weihnachten geplaudert«, sie zuckte mit den Schultern. »Wir verpassen also nichts Weltbewegendes.«

      Vehement schüttelte ich den Kopf.

      »Das Angebot klingt wirklich verlockend, aber nein, ich schaff das schon«, als müsste ich mich selbst davon überzeugen, nickte ich hastig und nahm einen tiefen Atemzug, ehe ich Poppy in den Saal folgte.

      Kaum eingetreten, fiel mein Blick auch schon auf Logan, der lässig an seinem Pult lehnte und auf irgendein Schriftstück in seinen Händen konzentriert war. Mir fiel direkt auf, dass er beim Friseur gewesen sein musste. Das blonde Haar war an den Seiten wieder etwas getrimmt, während es nach oben hin länger wurde. Allerdings fielen ihm noch immer ein paar vereinzelte Strähnen auf die Stirn und weckten in meinen Fingerspitzen den Wunsch, sie nach hinten streichen zu wollen.

      Ich nutzte die Gelegenheit, in der er abgelenkt war, um ihn für einen kurzen Moment eingehend zu betrachten. Für gewöhnlich war er in der Schule recht förmlich gekleidet, doch heute war dem nicht so. Ganz im Gegenteil. Logans Kleidung war leger, was ihn in meinen Augen sofort jünger aussehen ließ. Er trug lediglich eine schwarze Jeans sowie einen grauen Longsleeve, der sich eng um seinen Oberkörper schmiegte und seine Muskeln vorteilhaft zur Geltung brachte.

      Als hätte er mein Starren auf wundersame Weise gespürt, hob Logan plötzlich das Gesicht und unsere Blicke trafen sich. Mein Herz blieb für ein paar Sekunden stehen, als ich in seine Augen sah.

      Als die Erinnerung an unsere letzte Begegnung in meinen Kopf traten, brach ich sogleich den Blickkontakt ab und folgte Poppy zu unserem Platz.

      Die Wirkung, die Logans alleinige Anwesenheit auf mich hatte, versuchte ich so gut wie möglich auszublenden - Ich versagte kläglich.

      Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie meine Augen zu ihm wanderten. Es war wirklich zum Verrücktwerden. Ich versuchte mich abzulenken, indem ich das Wichtelgeschenk für Noah aus meiner Tasche nahm und es gemeinsam mit Poppy zu dem Geschenketisch brachte.

      Mein Blick fiel auf Poppys Geschenk. Erstaunt hob ich die Brauen und warf ihr einen schockierten Blick zu.

      »Ist das dein Ernst?«, fragte ich und deutete auf die beiden Kondompackungen, die man durch das transparente Geschenkpapier hindurch erkennen konnte. Es war kein Geheimnis gewesen, dass Poppy Madison gezogen hatte. Das hatte Poppy uns allen unmittelbar klar gemacht, nachdem die Lose verteilt worden waren. Außerdem machte Poppy auch keinen Hehl daraus, Madison nicht ausstehen zu können. Sie hatte sogar noch darüber gewitzelt, Madison eine Packung Kondome schenken zu wollen. Niemals aber hätte ich damit gerechnet, dass sie ihre Aussage wahrmachen würde. Poppy grinste schelmisch, ehe sie zu sprechen begann.

      »Naja, ich hatte sie schon gekauft, bevor das mit ihr und Ruby herauskam. Deshalb habe ich ihr noch einen Gutschein für einen Erotikshop dazu gelegt. Dann kann sie sich ja einen Dildo zum Umschnallen…«, doch weiter kam Poppy nicht, da ich sie abrupt unterbrach.

      »Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, entfuhr es mir, möglicherweise eine Spur zu harsch. Kurz ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, um mich zu vergewissern, dass uns niemand belauschte, ehe ich einen sanfteren Tonfall anschlug. »Das kannst du doch nicht machen, Poppy!«

      Poppy dagegen sah mich perplex an. Demonstrativ verschränkte sie die Arme vor der Brust und ihre Lippen verzogen sich zu einem Schmollmund.

      »Wieso denn nicht? Wegen Ruby? Komm schon, wir wissen doch beide, dass Madison nach diesem ungewollten Outing nicht zu Ruby stehen wird. Sie hat kein besseres Geschenk verdient.«

      Fassungslos sah ich Poppy an. Ich war wirklich enttäuscht von ihrem rücksichtslosen Verhalten.

      »Das kannst du nicht wissen, Poppy! Madison braucht womöglich einfach noch ein bisschen Zeit, das ist alles. Ich denke, wir haben sie alle völlig falsch eingeschätzt.«

      Poppy hob zweifelnd eine Braue.

      »Denkst du das denn wirklich? Und seit wann sympathisierst du überhaupt mit unserem Feind?«, aufgebracht warf sie ihre Hände in die Luft. Ich rollte mit den Augen. Poppy verstand es einfach nicht.

      »Hör mal, das alles ist eine ernstzunehmende Sache. Ich glaube, wir können uns nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie schwierig das für Madison gerade ist oder was sie durchmacht und anstatt sie noch mehr zu verunsichern, sollten wir sie darin unterstützen, die Person sein zu können, die sie wirklich ist.«

      Poppy seufzte und schielte schuldbewusst auf ihr Geschenk hinab.

      »Mann, warum musst du auch immer so weit denken, Drea?«, mit einem hastigen Kontrollblick über die Schulter schnappte sie sich das Geschenk für Madison wieder.

      »Ich werde einfach sagen, ich hab’s Zuhause vergessen und bringe ihr im neuen Jahr etwas anderes mit.«

      Ich nickte zufrieden über Poppys Einsicht. »Das ist eine gute Idee.«

      Zurück an unserem Platz ließ Poppy klammheimlich das Geschenk wieder in ihrer Tasche verschwinden. Kurze Zeit später betrat auch Ruby das Klassenzimmer und ließ sich an dem Tisch zu meiner Linken nieder. Sie sah aus, als hätte sie mehrere Nächte hintereinander kein einziges Auge zugetan, was vielleicht auch so war. Seit dem Vorfall vor ein paar Tagen hatten sie und Madison kein Wort mehr miteinander gewechselt, was wohl größtenteils daran lag, dass Madison weder in der Schule auftauchte, noch auf einen von Rubys Kontaktversuchen reagierte.

      Poppy und ich erkundigten uns nach Rubys Ergehen und ob es denn

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