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ein paar schöne Stunden genutzt hätte. Dann schlurft sie zurück zu ihrem Waschzuber und rubbelt, was die Fingerknöchel hergeben. In ihrem Kopf nur ein Name: Jeff. Jeff Kugler ist der jüngste Sohn eines Großbauern aus dem Nachbardorf. Nicht, dass sie etwas gegen Großbauern hätte. Irgendwer muss schließlich dafür sorgen, dass die Leute satt werden. Aber sie, Maria Jahn, hatte mit dieser Spezies reicher Bauern in den kärgsten Jahren ihre spezielle Erfahrung gemacht. Es war während mühseliger Touren über Land, um die man nicht herumkam, wollte man nach dem Krieg seine Kinder satt bekommen.

      Wenn sie ehrlich mit sich ist, hat sie die leidige Zeit längst abgehakt, nicht aber ihre ärgste Begegnung mit einem Bauernsohn, an den sie Jeff Kugler jetzt erinnert. Aber genau davon will sie nichts mehr hören. Etwas ganz anderes überwiegt in ihrer matten Enttäuschung. Sollte Emy ebenso unvorsichtig sein? Dieser Jeff ist immerhin bekannt für das, was die Leute in ihrer Heimat herum-schwuchteln nannten. Hier sagt man es drastischer: herumhuren.

      Hure! Dieses Wort, wie auch immer gesprochen, tut ihr noch nach Jahren so sehr weh, dass sie es mit schmerzhaft heftigem Rubbeln im Waschzuber ertränkt. Lange Zeit war ihr die Angelegenheit wie eine vorübergehende Krankheit erschienen, die längst ausgeheilt schien. Innerlich glaubte sie seit Jahren, das alte Schicksal endlich bezwungen zu haben, weil sie ihre Sehnsucht bezwungen hat. Aber jetzt war wieder etwas da, was Angst macht — oder vielleicht Wut?

      Darüber kann sie nicht einmal entscheiden, als ihre Wäsche längst im lauen Sommerwind flattert, sie ihre Locken gebändigt hat und sich bei einer Zigarette ein paar Minuten Ruhe gönnt.

      Es gibt eine Erklärung dafür, dass es Angst sein könnte, und eine andere, dass es Wut ist. Über beide Gründe hat sie nie gesprochen, nie sprechen können. Aber diese Selbsterkenntnis hilft ihr an diesem Tag nicht, einen Fehler zu begehen, einen weiteren in ihrem Leben, das von allen Übeln viel zu viele für sie bereitgehalten hat, als dass sie es ein schönes Leben nennen könnte.

      Es geht auf achtzehn Uhr zu. Die Tür knarrt leise und Emy, das junge, unbeschwerte Mädchen, tritt strahlend über die Schwelle. Sie ist schön anzusehen, sogar schöner als ihre Schwestern. Wer wüsste besser, wozu Schönheit führen kann, als Maria Jahn.

      Emy Jahn sieht ihre Mutter auf der Ofenbank sitzen, eine Zigarette rauchen und den Qualm ins offene Ofentürchen pusten. Das ist schon immer ein sicheres Zeichen, dass es ihrer Mutter gut geht. Gerade will sie etwas sagen, als Maria mit ungewöhnlich derber Stimme herausfährt: »Hast du bei diesem Jeff im Auto gesessen?«

      »Ja, stell dir vor…«, sprudelt es aus ihr heraus. Noch lächelt sie, aber sie stoppt ihre Worte, weil das Gesicht der Mutter in Sekunden nicht dasselbe geblieben ist, das sie liebt. »Ich wollte dir gerade…«

      Noch ehe der Satz ausgesprochen ist, fährt die Hand der Mutter kraftvoll über das junge Gesicht. Emy ist so erschrocken, dass sie kein Wort mehr herausbringt, dafür schießen Tränen aus ihren Augen und benetzen ihr junges, gerade noch fröhliches Gesicht.

      Es ist das zweite Mal in Emys ganzem Leben, dass ihre Mutter die Hand gegen sie erhoben hat. Beim ersten Mal war sie noch klein, und sie hat den Umstand, dass der Mutter die Hand ausgerutscht war, einzig Benno zugeschrieben. Benno, ein Onkel, der seine Heimat durch den Krieg verloren hat und bei ihnen nur Unterschlupf suchte, war dann geblieben und hatte Mutters Herz erobert. Emy, die als einzige der vier Geschwister keinen Vater kannte, weil der im Krieg geblieben war, noch ehe sie geboren wurde, mochte keinen Mann im Haus. Auch Benno konnte Emy, die jüngste von Marias Kindern, nie wirklich leiden. Warum, das blieb ihr für alle Zeit verborgen, aber in der Tiefe ihres Herzens glaubt sie, weil sie so klein und hilflos war, unbeholfener als Karla und wehleidiger und anhänglicher als Franka und Elias.

      Und nun das! Die Ohrfeige der Mutter kam so plötzlich, dass Emy nicht einmal misstrauisch werden konnte, was Mutters Wandlung bewirkt haben könnte.

      Jammern hilft nicht, nimm das Leben wie es ist!, dieser Satz, von Oma Irma, den die mit fremdem Klang gesprochen hatte, geht in ihrem Kopf herum. Diesen Satz sollte nach Omas Meinung jedes Kind in seinem Kopfe tragen. Wann in ihrem Leben waren Omas Weisheiten mehr wert als die von ihrer Mam? Niemals. Und warum muss sie jetzt daran denken? Sie jammert nicht einmal, obwohl sie sehr verletzt ist, schlimmer, als flösse Blut. Nicht ihre Wange schmerzt, es ist das Herz, das die enttäuschte Seele nicht beruhigen kann. Emy liebt ihre Mutter mehr als alles auf der Welt. Wie konnte passieren, was jetzt ist…? Und woher wusste die Mutter von Jeffs Auto, mit dem der Aufschneider sie und ihre Freundinnen am See zu beeindrucken versucht hat. Jeff und sein Bruder Jockel schlagen gerne mit einer Überraschung auf, dort, wo man viele junge Leute vermuten kann. Nicht jeder findet das gut. Auch Emy denkt dabei eher an Prahlerei, weil die meisten derer, die sie beindrucken wollen, nicht einmal ein eigenes Fahrrad besitzen. Jeff ist der jüngste des Großbauern aus dem Nachbardorf, aber er fährt bereits einen blauen P70. Immerhin, er wird nicht mehr nass, wenn es regnet. Das war es auch, was er ihr ins Ohr geflüstert hatte, als sie für einen Moment das Gefühl erleben durfte, in einem Auto zu sitzen und die Welt durch die Frontscheibe zu betrachten. Es war die Art, wie Jeff es sagte, und der Blick, der sie maß, dass sie sofort wieder ausgestiegen war.

      Was findet die Mutter daran so schlimm, und woher weiß sie überhaupt davon? Wie Emy es auch wendet, sie findet keine Antwort.

      Erst am späten Abend hält es das Mädchen nicht mehr aus. Sie setzt sich zwar schweigend an den Tisch, aber es scheint ihr, als habe auch die Mutter denselben Drang wie sie, so zu tun, als sei sie gerade erst zur Tür hereingekommen. Stockend wechseln ein paar Worte über den warmen Sommertag und wie nebenbei auch über die Sache mit Jeffs Auto. Dann aber sagt Mutter ein paar Worte mehr über Hardy, und wie er sein Wissen laut vor dem Haus verkündete. Emy kann es nicht fassen. Hardy ist ein schmieriger Typ, er würde viel zu gerne selbst ihr Freund sein, weil sie aber nichts dergleichen möchte, plagt ihn die Niederlage, bestenfalls die Eifersucht. Aber muss man deswegen die halbe Welt verrückt machen? Sie war bei Gott nicht die einzige, die Jeff überzeugen konnte, sein Ein- und Alles zu bewundern. Vielleicht hatte Jeff mehr als das im Sinn. Vielleicht. Aber nicht für Emy.

      Das Entsetzen ihres jüngsten Mädchens, um das sie einmal vor aller Welt ein großes Theater spielen musste, aber auch Emys Tränen, lassen Maria Jahn in der folgenden Nacht hellwach in ihrem Bett liegen.

      Dicht bei ihr in jenem Bett, das jede andere Frau mit einem Mann teilt, den sie liebt oder der sie liebt, schlummert Emy mit tiefen, schweren Zügen. Die Erinnerung an gute Zeiten in diesem Bett gehörte in ein anderes Leben. Es war weggeschmolzen, wie der Schnee im März. Mehr als neun Jahre lang war sie morgens sorglos und glücklich mit Hannes erwacht – immer zur selben Zeit. Nie wieder, auch nicht später, als sie wieder Hoffnung schöpfte, waren die Morgenstunden so leicht für sie gewesen. Warum hat sie so viele Jahre ihres Lebens allein mit Sehnen verbracht? Warum war sie vom Leben so gestraft?

      Die Luft ist lau, erfüllt von gedämpften Geräuschen. Ein junges Käuzchen ruft sein ku-witt, ku-witt aus den großen Eichen vor dem Haus durch die Nacht. Manchmal hört Maria auch ein hu-hu-huuu, wenn die Balzzeit gekommen ist. Glückliche Vögel bleiben nicht ihr ganzes Leben allein, wenn ein Partner stirbt. Aber sie machen auch kein Geschrei darum, wenn ein Kuckucksei im Nest liegt.

      Etwas raschelt unten auf dem Rasen, der den Leuten als Wäscheplan dient. Einen kleinen Bereich der Wiese, wo besonders gutes Gras wächst, hat die alte Merschanka mit Reisigbündeln abgetrennt, um dort die frischgewaschenen, noch feuchten Laken auszubreiten, damit das Chlorophyll das Leinen bleichen kann. Die Alte besteht darauf, es sei ihr Stück Wiese, obwohl es doch ein Mietshaus ist und niemand mehr Rechte hat als der andere, wie überhaupt in diesem Staat nie mehr jemand größere Rechte haben sollte als der andere. Die Mieter im Haus halten sich daran. Mit der Merschanka legt man sich nicht an, bei der geht es nicht mit rechten Dingen zu, sagen sie hinter vorgehaltener Hand und beteuern zugleich, das Bleichen sei ohnehin aus der Mode, seit man das gute Spee bekommt.

      Maria geht längst eine andere Geschichte durch den Kopf. Eine wenig schmeichelhafte. Die achtzigjährige Cecilia Merschank hatte ihrer Tochter Lotte Salman die Hölle heiß gemacht, als Lotte vor nunmehr sechzehn Jahren für Maria gelogen hat. Und wie sie gelogen hatte!

      Lottes Mutter konnte nicht wissen, warum Lotte ein

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