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Hafterlebnisse eines DDR-Bürgers 2. Teil. Jürgen Brand
Читать онлайн.Название Hafterlebnisse eines DDR-Bürgers 2. Teil
Год выпуска 0
isbn 9783745084993
Автор произведения Jürgen Brand
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Titel
Draußen führte der Neue auch einen Behördenkrieg und er kam dabei nicht weiter. Recht haben und recht kriegen sind zwei sehr verschiedene Dinge in einem sozialistischen Staat. Sein Name war Bernstein und er hatte draußen Medizin studieren wollen. Er hatte alle nötigen schulischen Voraussetzungen gehabt, nur war er eben nicht „linientreu“ gewesen. Also meinte er: „Dann nehm ich Jura“, aber das war wegen seiner kritischen Haltung auch nicht möglich. „Politisch nicht tragbar“ hieß es bei ihm. Das einzige Studium, das die Ämter ihn anboten, war Agraringenieurwesen. Also praktisch studierter Bauer. Daraufhin sei er ausgeflippt, erzählte er uns, und habe einen Antrag auf Ausreise gestellt. Weil die Ämter Anzeige wegen „Staatsverleumdung“ erstatteten, wurde er verhaftet und nun war er bei uns politischen Gefangenen angekommen. Er glaubte auf seine unerfahrene Art, dass genug Eingaben reichen würden, um denen sein Konzept klarzumachen.
Titel
Ich sagte zu ihm: „Ich warte seit dem Antrag schon 4 Jahre auf meine Ausreise, doch es schert die einen Dreck, was ich will.“
Titel
„Hast du auch richtige Argumente aufgeführt?“, fragte er mich.
„Klar“, sagte ich, „auch wenn ich kein Abitur wie du habe, so hatte ich schon die richtigen Gründe angegeben.“
Titel
„Ein Jahr Arrest unter diesen Lebensumständen, das halte ich aber nicht durch“, sagte Bernstein.
Ich erwiderte: „Dann sagst du eben, du nimmst die Zwangsarbeit in Thale auf und möchtest alle Anweisungen erfüllen. Und dann hast du im Vergleich zum Arrest ein gutes Leben in der Haft.“
Titel
„Spaßig“, sagte er zu uns, „ihr braucht mich hier, ich kann euch nicht in Stich lassen. Solange ich durchhalte, bleibe ich in dieser Zwangshaft.“
Titel
Der Tagesablauf im Arrest sah folgendermaßen aus: Aufstehen, dann in den Waschraum gehen. Anschließend Frühstücken (3 Scheiben Brot, dünn beschmiert mit Marmelade, einen Becher mit Malzkaffee) und dann die Wände und kahle Zelle anstarren, während man auf die Freistunde wartete. Mittagessen ohne Fleisch und ohne Kompott. Nichts lesen dürfen, nichts schreiben, nichts rauchen, auch nicht hinlegen, denn das Holzbrett wurde an der Wand hochgeklappt und festgeschlossen. Post von draußen wurde auch nicht ausgehändigt. Für uns böse Jungs gab es keinen richtigen Kaffee oder Tee . Auch Musik durfte man nicht hören, dafür aber ab und zu das Gegröle von Häftlingen:„Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, hell aus dem Lichte hervor“ – ein Partisanen- und Freiheitskämpferlied der Kommunisten. Den anderen Häftlingen war wohl nichts peinlich; wenn die Bullen sagten: „Singt“, dann sangen die Gefangenen. Bei solchen Duckmäusern wird die Diktatur ewig dauern, schoss es mir durch den Kopf. Abends gab es wieder 3 Scheiben trockenes Brot und eine Schüssel mit Malzkaffee. Der ständige Arrest war eintönig bis zum Gehtnichtmehr und die Art und Weise, wie wir abgefertigt wurden, stank zum Himmel. Es lag natürlich auf der Hand, dass man uns durch die geringen Lebensmittelrationen und alle anderen Einschränkungen mürbemachen wollte. Für die Gefängnisverwaltung war klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, wann wir aufgeben. Doch da täuschten die sich gewaltig in uns.
Titel
Etwas Abwechslung gab es, wenn man manchmal zum „Erziehungsgespräch“ musste. Je nachdem, ob es von Polizei oder Stasi geführt wurde, wurde man beschimpft, erniedrigt, beleidigt und bedroht – mal mit und mal ohne Schläge. Kein Tier wurde so behandelt, nur die Staatsgegner dieses Verbrecherstaats DDR. Während jener Zeit wurde man jedoch verhältnismäßig selten geschlagen, weil die Regierung sich keine Vorwürfe von demokratischen Ländern wegen Gefangenenmisshandlung machen lassen wollte. Die psychische Folter war daher das Hauptproblem.
Titel
Eines Tages war auch „unser“ Pfarrer fort. Wir wünschten ihm das Beste. Nun hatte der Bernstein schon seine 14 Tage hinter sich und ich sowie der Steinke hatten erneut an 3 Wochen Strafe zu knabbern. Nach deutscher Rechtsprechung waren wir politischen Gefangenen unschuldig. Unser Widerstand brachte aber bisher keine positiven Ergebnisse. Für uns war kein Spielraum mehr für weitere Proteste vorhanden, ohne zusätzliche Haftstrafen zu riskieren.
Titel
In der Zelle malte ich mir aus, ich wäre schon im Westen, hätte eine gut bezahlte Arbeit und könnte mir all die Dinge leisten, an die in der DDR nicht zu denken war. In Gedanken machte ich Urlaub im Süden. Dort nahm mir niemand Essen oder meine Zigaretten fort. Es gab auch keine Beamtenpfeifen, die mir Vorschriften machen wollten. Kein Amt, das mir mit einer Verhaftung drohte, wenn ich einen Antrag abgebe. Oder mich in Handschellen vorführte, wenn ich einen Termin versäumt hatte. Bald kann ich meine Sachen packen für die Auslieferungszelle Cottbus, machte ich mir Mut.
Titel
Ob mir später überhaupt jemand glaubt, wenn ich denen von der DDR-Haft erzähle, fragte ich mich. Solch menschenunwürdige Haftbedingungen wünscht man nicht mal seinem schlimmsten Feind. Draußen kennen die Leute das alles wahrscheinlich nur aus Filmen wie „Der Graf von Monte Christo“,in dem gezeigt wird, wie ein Mann jahrelang unschuldig hinter Festungsmauern leiden musste.
Titel
Wer in der DDR seine Rechte wahrnehmen wollte, wurde einfach weggesperrt. Ich und die anderen beiden, Steinke und Bernstein, waren einem Haufen von Lügnern und Unrechtsvertretern ausgeliefert. Doch wir durften nicht verzweifeln. Es war mir voll verständlich, wieso andere, die keine festen Ziele vor Augen hatten, diese harten Strapazen nicht in Kauf nahmen.
Titel
Dass man bald auf meinen Rippen Klavier spielen konnte, scherte niemanden. „Ihr seid Straftäter und die müssen hart rangenommen werden“, war die Antwort auf Beschwerden wegen der Mangelernährung. Und die Ärzte halfen uns auch nicht, obwohl sie das hätten tun können. Gewissenloses Pack von niederträchtigen Egoisten. Jeder dachte nur an seinen eigenen Arsch. So ein Arzt war genauso ein Täter wie ein Wärter oder ein Offizier. Für die DDR jedoch waren ich und die anderen „Täter“, obwohl wir doch die Opfer dieser Diktatur waren. Wir wollten doch nur frei sein!
Titel
Da die Arrestzellen angeblich renoviert werden sollten, kamen wir in einen für uns ausgebauten Keller, in eine Gemeinschaftszelle. Ein regelrechtes „Kellerloch“. Unter uns kam Misstrauen auf, denn normalerweise sollten wir noch nicht einmal während der Freistunde miteinander reden. Und nun auf einer Gemeinschaftszelle die Zeit gemeinsam verbringen? Wir glaubten, dass uns Spitzel vorgesetzt werden würden und so war es denn auch bald. Die Stasi hielt uns wohl für so primitiv, das nicht zu bemerken. So kamen andere Gefangene, die gegen die Gefängnishausordnung verstießen, zu uns in den Keller und sperrten die Ohren auf. Einige von der Stasi beauftragte kriminelle Subjekte versuchten uns als IM (Inoffizielle Mitarbeiter) zu schädigen. Doch das funktionierte in diesem Fall nicht, weil wir keine Vollidioten waren. Solange ein Fremder bei uns war, sprachen wir einfach nicht mehr über brisante Themen.
Titel
Der Keller war zwar geräumig und mit 6 Doppelstockbetten bestückt, doch es roch nach Keller. Es war feucht und es gab nur ein kleines Fenster in Bodenhöhe. Der einzige Vorteil war, dass wir drei zusammen waren und uns so gegenseitig Halt geben konnten. Wir fragten uns gegenseitig, als was wir im Westen arbeiten wollten und was man dachte, dort verdienen zu können. Viel wusste ich nicht vom Westen und in welche Stadt ich gehen würde, wusste ich damals