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einen andern Beweis ihrer Identität. Mein Vater hatte oft erwähnt, daß sie sich selten wie ein gewöhnlicher Christenmensch benehme; und nun trat sie wirklich, anstatt die Glocke zu ziehen, an das nächste Fenster und drückte ihre Nase mit solcher Energie gegen das Glas, daß diese im Augenblick ganz platt und weiß wurde, wie meine Mutter oft erzählte.

      Sie bekam darüber einen solchen Schrecken, daß ich es meiner Überzeugung nach nur Miß Betsey zu danken habe, wenn ich an einem Freitag zur Welt kam.

      Meine Mutter war in ihrer Aufregung aufgestanden und hinter den Stuhl in eine Ecke getreten. Miß Betsey sah sich durch die Scheiben langsam und forschend im Zimmer um, wobei sie am andern Ende der Stube anfing, und wendete automatenhaft wie ein Türkenkopf auf einer Schwarzwälderwanduhr das Gesicht, bis ihre Blicke auf meiner Mutter haften blieben. Dann zog sie die Brauen zusammen und winkte wie jemand, der zu befehlen gewohnt ist, daß man ihr die Türe aufmachen solle. Meine Mutter gehorchte.

      »Mrs. David Copperfield vermutlich,« sagte Miß Betsey mit einer Emphase, die sich wahrscheinlich auf die Trauerkleider meiner Mutter und auf ihren Zustand bezog.

      »Ja,« antwortete meine Mutter schüchtern.

      »Haben Sie schon von Miß Trotwood gehört?« fragte die Dame.

      Meine Mutter entgegnete, sie habe das Vergnügen gehabt, hatte aber dabei das unangenehme Gefühl, nicht darnach auszusehen, als ob es ein überwältigendes Vergnügen gewesen wäre.

      »Jetzt steht sie vor Ihnen,« sagte Miß Betsey. Meine Mutter verbeugte sich und bat die Dame, einzutreten.

      Sie gingen in das Wohnzimmer, aus dem meine Mutter gekommen, denn das Besuchzimmer auf der andern Seite des Ganges war nicht geheizt und nicht geheizt gewesen seit meines Vaters Leichenbegängnis. Als sie beide Platz genommen hatten, Miß Betsey aber nichts sprach, fing meine Mutter, nach einem vergeblichen Bemühen sich zu fassen, zu weinen an.

      »O still, still, still!« sagte Miß Betsey hastig. »Nur das nicht. Laß das, laß das!«

      Meine Mutter aber konnte sich nicht helfen, und ihre Tränen flossen, bis sie sich ausgeweint hatte.

      »Nimm deine Haube ab, Kind,« sagte Miß Betsey, »damit ich dich sehen kann.«

      Meine Mutter war viel zu sehr eingeschüchtert, um dieses seltsame Verlangen abzuschlagen, selbst, wenn sie gewollt hätte. Daher entsprach sie dem Wunsche und tat es mit so zitternden Händen, daß ihr Haar, das sehr reich und schön war, sich löste und auf ihre Schultern herabfiel.

      »Gott bewahre!« rief Miß Betsey, »du bist ja noch ein wahres Wickelkind.«

      Allerdings sah meine Mutter selbst für ihre Jahre noch sehr jugendlich aus. Sie ließ den Kopf hängen, als ob es ihre Schuld wäre, und sagte schluchzend, daß sie auch fürchte, sie sei ein wahres Kind von einer Witwe und werde auch ein Kind von einer Mutter sein, wenn sie am Leben bliebe.

      In der kurzen Pause, die darauf folgte, kam es ihr fast vor, als ob Miß Betsey ihr Haar berührte und zwar nicht mit unsanfter Hand; aber wie sie schüchtern hoffend aufblickte, hatte sich die Dame mit aufgeschürztem Kleid bereits hingesetzt, die Hände über ein Knie gefaltet, die Füße auf das Kamingitter gestützt, und starrte grimmig ins Feuer.

      »Um Gotteswillen?« fragte Miß Betsey plötzlich. »Warum eigentlich Krähenhorst?«

      »Sie meinen das Haus, Madame?«

      »Warum Krähenhorst?« fragte Miß Betsey. »Hühnerhof wäre passender gewesen, wenn ihr beide einen Begriff vom praktischen Leben gehabt hättet.«

      »Mr. Copperfield hat ihm den Namen gegeben,« erwiderte meine Mutter. »Als er das Haus kaufte, meinte er, es müßte hübsch sein, wenn Krähen darin nisten würden.«

      Der Abendwind fegte in diesem Augenblick so gewaltig durch die alten hohen Ulmen im Garten, daß sowohl meine Mutter wie Miß Betsey unwillkürlich hinaussahen. Als sich die Bäume zueinander neigten wie Riesen, die sich Geheimnisse zuflüsterten, und gleich darauf in heftige Bewegung gerieten und mit ihren zackigen Armen wild in der Luft herumfuhren, als ob diese Geheimnisse zu gräßlich für ihre Seelenruhe wären, wurden ein paar alte, vom Sturm zerzauste Krähennester auf den höchsten Zweigen wie Wracks auf stürmischer See hin und hergeworfen.

      »Wo sind die Vögel?« verhörte Miß Betsey.

      »Was?« Meine Mutter hatte an etwas anderes gedacht.

      »Die Krähen, – wo sie hingekommen sind?«

      »Es waren überhaupt nie welche da, seit wir hier gelebt haben,« sagte meine Mutter. »Wir dachten, – Mr. Copperfield dachte, es sei ein großer Krähenhorst, aber die Nester waren alt und von den Vögeln längst verlassen.«

      »Echt David Copperfield,« rief Miß Betsey. »David Copperfield, wie er leibt und lebt! Nennt das Haus Krähenhorst, wo gar keine Krähe da ist, und nimmt die Vögel auf guten Glauben, weil er die Nester sieht.«

      »Mr. Copperfield ist tot,« gab meine Mutter zur Antwort, »und wenn Sie sich unterstehen, unfreundlich über ihn zu sprechen, –«

      Ich glaube, meine arme, liebe Mutter hatte einen Augenblick die Absicht, sich an der Tante tätlich zu vergreifen. Diese hätte sie wohl leicht mit einer Hand bezwungen, selbst wenn meine Mutter in einer bessern Verfassung für einen solchen Kampf gewesen wäre als an diesem Abend. Aber es blieb bei einem schüchternen Aufstehen. Dann setzte sich meine Mutter wieder schwach nieder und fiel in Ohnmacht.

      Als sie wieder zu sich kam, sah sie Miß Betsey am Fenster stehen. Es war mittlerweile ganz dunkel geworden, und so undeutlich sie einander unterschieden, hätten sie doch auch das nicht ohne den Schein des Feuers können.

      »Nun?« fragte Miß Betsey und trat wieder zu dem Stuhl, als hätte sie bloß einen Blick aus dem Fenster geworfen, »und wann erwartest du – – –?«

      »Ich zittere am ganzen Leibe,« stammelte meine Mutter. »Ich weiß nicht, was es ist, ich sterbe sicherlich.«

      »Nein, nein, nein,« sagte Miß Betsey; »trink eine Tasse Tee!«

      »Ach Gott, ach Gott, meinen Sie, daß mir das gut tun wird?« rief meine Mutter in hilflosem Tone.

      »Selbstverständlich!« sagte Miß Betsey. »Es ist alles bloß Einbildung. Wie heißt denn das Mädchen?«

      »Ich weiß doch nicht, ob es ein Mädchen sein wird, Madame,« sagte meine Mutter unschuldsvoll.

      »Gott segne dieses Kind!« rief Miß Betsey aus, unbewußt den Sinnspruch auf dem Nadelkissen in der Schublade des obern Stocks anführend, aber nicht mit Anwendung auf mich, sondern auf meine Mutter. »Das meine ich doch nicht. Ich meine doch das Dienstmädchen.«

      »Peggotty,« sagte meine Mutter.

      »Peggotty!« wiederholte Miß Betsey entrüstet. »Willst du damit sagen, Kind, daß ein menschliches Geschöpf in eine christliche Kirche gegangen ist und sich hat Peggotty taufen lassen?«

      »Es ist ihr Familienname,« sagte meine Mutter schüchtern. »Mr. Copperfield nannte sie so, weil ihr Taufname derselbe ist wie meiner.«

      »Heda, Peggotty!« rief Miß Betsey und öffnete die Zimmertür. »Tee! Deine Herrschaft ist ein bißchen unwohl, aber rasch!«

      Nachdem sie diesen Befehl so gebieterisch ausgesprochen, als wäre sie von jeher Herrin dieses Hauses, und aus dem Zimmer hinausgespäht hatte, um nach der erstaunten Peggotty zu sehen, die bei dem Klang einer fremden Stimme mit einem Licht den Gang entlang kam, schloß sie die Tür wieder und setzte sich nieder wie zuvor, die Füße am Kamingitter, das Kleid aufgeschürzt und die Hände über ein Knie gefaltet.

      »Du meintest, es werde ein Mädchen werden,« sagte Miß Betsey. »Ich zweifle keinen Augenblick daran. Ich habe ein Vorgefühl, daß es ein Mädchen wird. Nun, Kind! Von dem Moment der Geburt dieses Mädchens an – –«

      »Vielleicht ists ein Knabe,« erlaubte sich meine Mutter, sie zu unterbrechen.

      »Ich sagte dir bereits,

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