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der Präsident hastig; »ich werde um zehn Uhr auf dem Turm sein und bitte, daß man mich eine Stunde lang mit dem Gefangenen allein lasse.«

      Auch Daumer war ziemlich erregt heimgekommen. Kaum daß er, nach tagelanger Abwesenheit, Mutter und Schwester ordentlich begrüßte. »Die Herrschaften müssen artig gewütet haben,« grollte er, indem er unaufhörlich durch das Zimmer wanderte, »der Knabe ist ja ganz verstört. Das heiß’ ich menschlich sein, das heiß’ ich Einsicht haben! Barbaren sind sie, Schlächter sind sie! Und unter solchem Volk zu leben bin ich gezwungen!«

      »Warum sagst du es ihnen nicht selbst?« bemerkte Anna Daumer trocken. »Hinter deinen vier Wänden zu schimpfen fruchtet wenig.«

      »Sag mal, Friedrich,« wandte sich nun die alte Dame an ihren Sohn, »bist du denn wirklich fest davon überzeugt, daß du dein Herz nicht wieder einmal an einen Götzen wegwirfst?«

      »Aus deiner Frage erkennt man, daß du ihn noch immer nicht gesehen hast,« antwortete Daumer fast mitleidig.

      »Das wohl; es war mir ein zu groß Gerenne.«

      »Also. Wenn man von ihm spricht, kann man nicht übertreiben, weil die Sprache zu ärmlich ist, um sein Wesen auszudrücken. Es ist wie eine uralte Legende, dies Emportauchen eines märchenhaften Geschöpfs aus dem dunkeln Nirgendwo; die reine Stimme der Natur tönt uns plötzlich entgegen, ein Mythos wird zum Ereignis. Seine Seele gleicht einem kostbaren Edelstein, den noch keine habgierige Hand betastet hat; ich aber will danach greifen, mich rechtfertigt ein erhabener Zweck. Oder bin ich nicht würdig? Glaubt ihr, daß ich nicht würdig bin dazu?«

      »Du schwärmst,« sagte Anna nach einem langen Stillschweigen fast unwillig.

      Daumer zuckte lächelnd die Achseln. Dann trat er an den Tisch und sagte in einem Ton, dessen Sanftheit gleichwohl einen gefürchteten Widerstand im voraus zu bekämpfen schien: »Caspar wird morgen in unser Haus ziehen; ich habe Exzellenz Feuerbach darum angegangen und er hat meiner Bitte willfahrt. Ich hoffe, daß du nichts dawider einzuwenden hast, Mutter, und daß du mir glaubst, wenn ich versichere, es ist eine Sache von großer Bedeutung für mich. Ich bin höchst wichtigen Entdeckungen auf der Spur.«

      Mutter und Tochter sahen erschrocken einander an und schwiegen.

      Am nächsten Morgen um zehn fanden sich Daumer, der Bürgermeister, der Stadtkommissär, der Gerichtsarzt und einige andre Personen im Burghof vor dem Gefängnisturm ein und warteten dritthalb Stunden auf den Präsidenten, der bei dem Findling oben war. Daumer, der Gespräche mit andern vermeiden wollte, stand fast ununterbrochen an der Umfassungsmauer und blickte auf das malerische Gassen- und Dächergewirr der Stadt hinunter.

      Als der Präsident endlich unter den Wartenden erschien, drängten sich alle mit Eifer heran, um die Meinung des berühmten und gefürchteten Mannes zu hören. Doch das Gesicht Feuerbachs zeigte einen so düsteren Ernst, daß niemand ihn mit einer Anrede zu belästigen wagte; sein machtvolles Auge blickte brennend nach innen, die Lippen waren gleichsam aufeinander geballt, auf der Stirn lag eine von Nachdenken zitternde senkrechte Falte. Das Schweigen wurde vom Bürgermeister mit der Frage unterbrochen, ob Exzellenz nicht geruhen wolle, das Mittagessen in seinem Haus zu nehmen. Feuerbach dankte; dringende Geschäfte nötigten ihn zu sofortiger Rückkehr nach Ansbach, entgegnete er. Darauf wandte er sich an Daumer, reichte ihm die Hand und sagte: »Sorgen Sie sogleich für die Übersiedlung des Hauser; der arme Mensch braucht dringend Ruhe und Pflege. Sie werden bald von mir hören. Gott befohlen, meine Herren!«

      Damit entfernte er sich in raschen, kleinen, stampfenden Schritten, eilte den Hügel hinab und verschwand alsbald gegen die Sebalderkirche. Die Zurückbleibenden machten etwas enttäuschte Mienen. Da sie alle überzeugt waren, daß der Scharfsinn dieses Mannes ohne Grenzen sei und daß kein andres als sein Auge das Dunkel durchdringen könne, welches über Untat und Verbrechen brütete, waren sie verstimmt über eine Schweigsamkeit, die ihnen beabsichtigt und planvoll erschien.

      Am Abend befand sich Caspar in der Wohnung Daumers.

      Das Daumersche Haus lag neben dem sogenannten Annengärtlein auf der Insel Schütt; es war ein altes Gebäude mit vielen Winkeln und halbfinstern Kammern, doch erhielt Caspar ein ziemlich geräumiges und wohleingerichtetes Zimmer gegen den Fluß hinaus.

      Er mußte sogleich zu Bett gebracht werden. Es zeigten sich jetzt mit einem Schlag die Folgen der jüngstdurchlebten Zeit. Er war wieder ohne Sprache, ja bisweilen wie ohne Gefühl des Lebens. Auf den ungewohnten Kissen warf er sich fiebernd herum. Wie jammervoll, ihn bei jedem Knacken der Dielen erschaudern zu sehen; auch das Geräusch des Regens an den Fenstern versetzte ihn in aufgewühlte Bangnis. Er hörte die Schritte, die auf dem weiten Platz vor dem Haus verhallten, er vernahm mit Unruhe die metallenen Schläge aus einer fernen Schmiede, jeder Stimmenlärm brachte auf seiner eingeschrumpften Haut ein Zeichen des Schmerzes hervor; und von Moment zu Moment vertauschten seine Züge den Ausdruck der Erschöpfung mit dem gepeinigter Wachsamkeit.

      Drei Tage lang wich Daumer kaum von seinem Bett. Diese Opferkraft und Hingebung erregte die Bewunderung der Seinen. »Er muß mir leben,« sagte er. Und Caspar fing an zu leben. Vom dritten Tag ab besserte sich sein Zustand stetig und schnell. Als er am Morgen erwachte, lag ein besinnendes Lächeln auf seinen Lippen. Daumer triumphierte.

      »Du tust ja, als ob du selbst dem Kerker entronnen wärst,« meinte seine Schwester, die nicht umhin konnte, an seiner Freude teilzunehmen.

      »Ja, und ich habe eine Welt zum Geschenk erhalten,« antwortete er lebhaft; »sieh ihn nur an! Es ist ein Menschenfrühling.«

      Am andern Tag durfte Caspar das Bett verlassen. Daumer führte ihn in den Garten. Damit das grelle Tageslicht seinen Augen nicht schade, band er ihm einen grünen Papierschirm um die Stirn. Späterhin wurden die Dämmerungszeit oder die Stunden bewölkten Himmels für diese Ausgänge vorgezogen.

      Es waren ja Reisen, und nichts geschah, was nicht zum Ereignis wurde. Welche Mühe, ihn sehen, ihn das Gesehene nennen zu lehren. Er mußte erst zu den Dingen Vertrauen gewinnen, und ehe nicht ihre Wirklichkeit ihm selbstverständlich ward, machte ihn ihre unvermutete Nähe bestürzt. Als er endlich die Höhe des Himmels und auf der Erde die Entfernung von Weg zu Weg begriff, wurde sein Gang ein wenig leichter und sein Schritt mutiger. Alles lag am Mut, alles lag daran, den Mut zu kräftigen.

      Das ist die Luft, Caspar; du kannst sie nicht greifen, aber sie ist da; wenn sie sich bewegt, wird sie zum Wind, du brauchst den Wind nicht zu fürchten. Was hinter der Nacht liegt, ist gestern; was über der nächsten Nacht liegt, ist morgen. Von gestern bis morgen vergeht Zeit, vergehen Stunden, Stunden sind geteilte Zeit. Dies ist ein Baum, dies ist ein Strauch, hier Gras, hier Steine, dort Sand, da sind Blätter, da Blüten, da Früchte ...

      Aus dem dumpfen Hören heraus erwuchs das Wort. Die Form wurde einleuchtend durch das unvergeßliche Wort. Caspar schmeckt das Wort auf der Zunge, er spürt es bitter oder süß, es sättigt ihn oder läßt ihn unzufrieden. Auch hatten viele Worte Gesichter; oder sie tönten wie Glockenschläge aus der Dunkelheit; oder sie standen wie Flammen in einem Nebel.

      Es war ein langer Weg vom Ding bis zum Wort. Das Wort lief davon, man mußte nachlaufen, und hatte man es endlich erwischt, so war es eigentlich gar nichts und machte einen traurig. Gleichwohl führte derselbe Weg auch zu den Menschen; ja, es war, als ob die Menschen hinter einem Gitter von Worten stünden, das ihre Züge fremd und schrecklich machte; wenn man aber das Gitter zerriß oder dahinter kam, waren sie schön.

      Hatte es am Morgen neu geklungen, zu sagen: die Blume, am Mittag war es schon vertraut, am Abend war es schon alt. »Dies Herz, dies Hirn, zur Fruchtbarkeit aufbewahrt durch lange Zeiten, treibt wie vertrockneter und endlich befeuchteter Humus Sprößlinge, Blüten und Früchte in einer Nacht,« notierte der fleißige Daumer; »was dem matten Blick der Gewohnheit unwahrnehmbar geworden, erscheint diesem Auge frisch wie aus Gottes Hand. Und wo die Welt verschlossen ist und ihre Geheimnisse beginnen, da steht er noch seltsam drängend und fragt sein zuversichtliches Warum. Nach jedem Schall und jedem Schein tappt dies zweifelnde, erstaunte, hungrige, ehrfurchtslose Warum.«

      Es

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