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ich muss dir etwas nicht sehr gutes Erzählen und wenn ihr uns danach verlassen wollt, werden wir euch zwar nicht aufhalten können, aber auch nicht sehr Erfreut darüber sein.“ Er blickte Raven immer noch ernst ins Gesicht.

      „Ich möchte, dass du zuvor eines weißt. Ihr beiden, du und Lina, gehören für uns alle zur Familie und wir möchten nicht, dass ihr uns verlasst.“ Der Schlossherr strich sich über seinen vollen Bart, holte tief Luft und begann zu erzählen. Karak war fort.

      Er war einfach verschwunden, wie in Luft aufgelöst. Alle Familienmitglieder hatten ihn in diesem Frühjahr überall gesucht, in den Wäldern oberhalb der Klippen, in den Mooren dahinter, die Strände rauf und runter. Im Schloss war im Laufe der Zeit jeder Raum mehrmals durchsucht worden, vom Speicher bis zum Verlies, aber sie bekamen ihn niemals zu Gesicht. Saalem machte sich schwere Vorwürfe, sollte er doch Karak seinerzeit im Auge behalten und hatte diese Aufgabe, da die Tage auf Avalla so ruhig und friedlich verliefen, schnell vernachlässigt.

      Wer wähnte sich schließlich noch in Gefahr? Doch Markan, einer der mittleren Söhne des Dragons, merkte an, das Karak vor seinem Verschwinden noch zu verstehen gab, dass er wiederkommen, und das beenden wolle, was einst begonnen hatte. Raven dachte mit einem Schaudern an die kalten Blicke, mit denen sein einstiger Freund seine kleine Fee damals, beim ersten Zusammentreffen gemustert hatte. Der Dragon gab dabei noch zu verstehen, das Karak sich in den letzten Jahren sehr verändert hatte, und selbst er nicht wusste, ob man diesen Drohungen glauben schenken sollte oder nicht. Vielleicht sei dieser ja einfach nur fortgeflogen um sich einem anderen Clan anzuschließen. Auch solches sei durchaus schon vorgekommen, auch wenn sich dabei normalerweise noch verabschiedet wurde. Raven war jetzt sehr beunruhigt und schwor sich innerlich, noch vorsichtiger zu werden und zukünftig immer die Augen offen zu behalten. Auch die anderen Männer versicherte ihm, das auch sie jetzt sehr Wachsam bleiben würden, und sobald man Karak doch noch habhaft werden würde, diesen nicht mehr aus den Augen zu lassen.

      Karak heulte laut und voller Inbrunst den vollen Mond an.

      Nachdem Saalem es irgendwann leid wurde, ständig hinter seinem Bruder herzusuchen, war dieser eines Nachts in die Wälder oberhalb der Kippen geflogen. Er hatte sich in der kleinen Höhle, die er schon seid Kindertagen kannte, verborgen, um sich auf das vorzubereiten, was jetzt seiner Meinung nach geschehen müsste. Früher, bevor der Alte begann zu ihm zu sprechen, war er ein stolzer, harter und gerechter Mann gewesen, der gut und weise jedem in Not half. Doch dieser Mann war fort und an seiner Stelle stand nun ein schmutziges, nacktes, hasserfülltes Wesen, das durch irr funkelnde Augen in die Wälder blickte. Seine Veränderung begann schon lange Zeit vor Ravens und Alinas Ankunft, doch mit dieser beschleunigte sie sich. Als Alina am ersten Abend in diesem schönen Kleid die Halle betrat, konnte er sehen und fühlen, wie sie es darauf anlegte, ihn und alle Anwesenden zu verzaubern, sie alle zum Bösen zu Verführen.

      Doch der Alte sprach zu ihm, saß in seinem Kopf und schützte ihn, riet ihm zu fliehen. Später, wenn sie sich sicher fühlten, sollte er zurückkehren und dieser Hündin geben, was sie verdiente. Ja, er würde wie der Teufel in Person über sie herfallen, würde sie zuerst gefügig machen, sich an ihr erleichtern und sie danach in Stücke reißen. Dann ist meine Familie von ihr befreit, dachte er wütend, dann bin ich von ihr befreit. Denn sie spuke noch immer in seinem Kopf herum, hier nicht mehr so stark wie im Schloss, aber immer noch verhärtete sich sein Schritt, auch wenn er nur flüchtig an sie dachte. Es machte ihn verrückt, sie machte ihn verrückt.

      Er hatte vergessen, warum er seine Kleidung abgelegt hatte oder wo, es war ihm auch gleichgültig, wichtig war, einzig und allein seine Aufgabe, die ihm ständig von dem Alten in seine Ohren geraunt wurde. So kam der warme, stille Abend, an dem er ins Moor flog und sich voller Vorfreude mit dunklem Schlamm einrieb. Der Tag war richtig heiß gewesen und in der Höhle wurde es tagsüber doch recht stickig, so genoss er den kühlen Schlamm auf seinen entblößten Gliedern jetzt sehr. Doch plötzlich hielt er inne und, zum ersten Mal seit zwei Jahren, füllten klare Gedanken seinen wirren Kopf.

      Was hatte sie ihm eigentlich getan? Für was sollte sie bestraft werden? Was tat er hier überhaupt, völlig entblößt und schmutzig? Er schämte sich, seiner Äußerlichkeit wie seiner Verwirrung wegen und überlegte kurz, fort von Avalla zu gehen. Fort von seiner Familie und allem anderen und noch einmal neu zu beginnen. Dieser klare Moment war kurz und hier tat sich eine Kreuzung des Weges vor Karak auf, dem ersten Sohn und Erben des Dragons. Eine letzte Möglichkeit, wieder den richtigen Weg einzuschlagen, dem Bösen in ihm zu entkommen. Doch fast augenblicklich brüllte der Alte machtvoll in seinem kranken Geist auf, und er brach, voller Schmerz und sich den dröhnenden Kopf haltend, zusammen und lag danach stöhnend im Morast des Moores. Als er sich wenig später wieder erhob und in Richtung Avalla blickte, lag wieder dieser irre, entrückte Glanz in seinen kalten, funkelnden blauen Augen. Sein Weg war für ihn nun klar, und er würde ihm begeistert folgen.

      „Heute Nacht,“ flüsterte er und hob wie in Trance wieder eine Hand voll Morast, „heute Nacht, kleines Mädchen, werde ich kommen um mein Versprechen zu halten.“ Der Mond funkelte kalt auf ihn nieder, als er sich nach und nach in den Dämonen verwandelte, der jetzt schon so lange und tief in ihm schlummerte. Sein erneutes Heulen klang schaurig über das nächtliche Moor.

      Alina hatte sich an diesem Abend schon früh von der Abendtafel verabschiedet um in ihren Gemächern, wie jeden Abend allein zu meditieren. Raven sah dies nicht gern und war entsprechend unruhig, blieb aber dennoch bei dem Dragon und dessen Familie sitzen. Er wusste das Alina gern allein war, wenn sie die anderen nach Avalla rief. Doch er schaute immer wieder zur Treppe, die nach oben führte und lauschte jedem Geräusch sensibel nach. Die anderen am Tisch unterhielten sich, wie eigentlich jeden Abend, über die große Wanderung. Der Dragon erklärte grade, das wohl auch seine Sippe ihnen nach Baruth folgen müsse, da das Leben hier zu unsicher geworden war.

      „Es wird mir sehr schwer fallen, Avalla, meine Heimat, zu verlassen, doch mir liegt auch das Wohl meiner Familie am Herzen und die Menschen rücken jetzt immer weiter hierher vor.“

      „Aber Vater,“ meinte einer seiner jüngeren Söhne, Ristaar, mutig, „wir können doch Kämpfen, sie einfach verjagen, wenn sie vor unseren Toren stehen. Wir sind doch starke und mutige Männer.“

      „Ja,“ erwiderte der Alte ruhig, „sicher könnten wir das, aber was, frage ich dich, geschieht danach? Glaubst du, danach hätten wir wieder Frieden? Nein, sie würden wiederkommen, immer zahlreicher, immer stärker und irgendwann würden sie die Mauern einreißen und uns alle Töten. Sieh deine Mutter an,“ damit deutete er auf Sonja, die etwas entfernt mit Sassa auf dem Schoß dasaß und spiele,

      „Glaubst du, ihr würde es gefallen dich sterbend in den Armen zu halten?“ Ristaar senkte beschämt seinen Blick und der Dragon sprach weiter.

      „Nein, ich bin euer Familienoberhaupt, Führer des Drachenclans, ich trage die Sorge um euer Wohl und deshalb müssen wir........“

      Doch er sprach nicht weiter, denn alle hoben aufhorchend ihre Köpfe als der helle, markerschütternde Schrei klar und laut durch die weiten Korridore bis zu ihnen hallte. Instinktiv erhoben sich zuerst die Frauen, klang er doch so hilflos, so verzweifelt, so kindlich einsam, das ihre innersten Mutterinstinkte geweckt wurden. Die Männer der Runde erhoben sich auch, doch sie verharrten nicht wie die Frauen, sondern stürzten ihm nach. Sie hetzten durch die finsteren Gänge, nach ihren Waffen greifend, dem Schrei entgegen. Allen voran Raven und der Dragon. Dann verstummte er plötzlich, doch Raven beschlich eine dunkle Ahnung woher er gekommen sein könnte und er rannte ungebremst weiter den Weg auf seine und Alinas Gemächer zu. Die Männer folgten ihm ohne zögern. Der Schrei erklang wieder, doch dieses mal in Todesangst und Raven wusste plötzlich, dass seine kleine Fee dort um ihr Leben schrie.

      Todesangst

      Alina betrat wie immer leise ihre finsteren Räume.

      Sie trat zum Fenster und atmete ruhig und tief die kühle Nachtluft ein. Dieser Abend war so still und heimlich, dass er ihr Herz erwärmte. Sie wandte sich langsam um, ging zum hinteren Zimmer und entzündete dort im Kamin ein kleines Feuer. Sie legte ihren Überwurf ab, so dass sie nur noch ein kleines Lederhemdchen

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