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Eine Geschichte aus zwei Städten. Charles Dickens
Читать онлайн.Название Eine Geschichte aus zwei Städten
Год выпуска 0
isbn 9783753197937
Автор произведения Charles Dickens
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Längst.«
»Ihr wißt doch, daß Ihr ins Leben zurückgerufen seid?«
»So höre ich.«
»Ich hoffe, dies hat noch einen Wert für Euch?«
»Ich weiß darauf nichts zu sagen.«
»Soll ich sie Euch zeigen? Wollt Ihr mich zu ihr begleiten?«
Die Antworten auf diese Frage waren verschieden und widersprechend. Bisweilen lautete die gebrochene Erwiderung: »Halt! Es würde mich töten, wenn ich sie zu bald sähe.« Ein andermal wurde sie durch einen milden Tränenregen eingeleitet und klang: »Nehmt mich zu ihr.« Bisweilen folgte auf die Frage ein wirres Glotzen und die Entgegnung: »Ich kenne sie nicht – verstehe Euch nicht.«
Unter solchem eingebildeten Zwiegespräch konnte der Passagier in seiner Phantasie graben, graben und graben – jetzt mit einem Spaten, jetzt mit einem großen Schlüssel, oder wohl gar mit den Händen – um das unglückliche Wesen herauszuschaffen. Und war es endlich, Gesicht und Haare mit Erde beklebt, gehoben, so verfiel es plötzlich wieder zu Staub. Der Passagier konnte dann zusammenfahren und das Fenster niederdrücken, um sich durch den Regen und Nebel, die seine Wangen feuchteten, an die Wirklichkeit erinnern zu lassen.
Doch selbst wenn seine Augen sich für den Nebel und Regen, für den beweglichen Lichtstreifen auf der Straße und für die stoßweise weiter und weiter zurückweichenden Heckenpartien am Wege auftaten, pflegten die Nachtschatten außerhalb der Kutsche mit dem Gang der Nachtschatten im Innern wieder zusammenzutreffen. Da stand vielleicht das wirkliche Bankhaus bei Temple Bar, das wirkliche Geschäft des abgelaufenen Tages, der feste Kellerraum, der ihm nachgeschickte Eilbote und die Antwort, die er durch ihn zurücksagen ließ. Und mitten aus diesen Bildern trat dann wieder das gespenstige Gesicht hervor, das er abermals anredete:
»Wie lange schon begraben?«
»Fast achtzehn Jahr.«
»Ich hoffe, das Leben hat noch einen Wert für Euch.«
»Weiß nicht.«
Und er grub, grub, grub immerfort, bis ihn einer der Mitreisenden durch eine ungeduldige Bewegung mahnte, er solle das Fenster wieder aufziehen. Dann legte er seinen Arm aufs neue in die Lederschlinge und machte sich Gedanken über die beiden schlummernden Gestalten, bis zuletzt sein Geist wieder von ihnen abkam und abermals sich in die Bank und zu dem Grabe verirrte.
»Wie lange schon begraben?«
»Fast achtzehn Jahre.«
»Hattet Ihr alle Hoffnung aufgegeben, ausgegraben zu werden?«
»Längst.«
Diese Worte klangen noch so deutlich in seinen Ohren wie nur irgendein wirklich gesprochenes Wort, als der müde Reisende zu dem Bewußtsein erwachte, daß es Tag und die Schatten der Nacht dahin seien.
Er ließ das Fenster nieder und schaute nach der aufgehenden Sonne hinaus. Da war ein Strich umgepflügten Landes und der Pflug noch an derselben Stelle, wo man am Abend zuvor die Pferde ausgespannt hatte, auf dem Acker. Jenseits desselben sah man ein Buschwäldchen, in dem noch viele Blätter von brennendem Rot oder goldigem Gelb an den Zweigen zitterten. Die Erde war kalt und feucht, der Himmel aber klar, und die Sonne erhob sich in ruhiger Pracht.
»Achtzehn Jahre!« sagte der Passagier, zu der Sonne aufblickend. »Barmherziger Schöpfer des Tages! Achtzehn Jahre lang lebendig begraben zu sein!«
*
Viertes Kapitel. Die Vorbereitung.
Als der Postwagen im Laufe des Vormittags glücklich Dover erreichte, öffnete wie gewöhnlich der Oberkellner des Royal-George-Hotel den Kutschenschlag. Er tat dies mit einem gewissen zeremoniösen Schnörkel; denn im Winter war eine Postreise von London her ein Unternehmen, zu dessen Vollbringung man einen wagehalsigen Reisenden wohl beglückwünschen konnte.
Diesmal galt der Glückwunsch nur einem einzigen Passagier; denn die zwei anderen hatten sich unterwegs an ihren Bestimmungsorten absetzen lassen. Das moderige Innere des Wagens mit seinem nassen, schmutzigen Stroh, dem widerlichen Geruch und seiner Dunkelheit nahm sich ungefähr wie ein großer Hundestall aus, während Mr. Lorry, der Passagier, als er sich aus dem Loch und aus den Strohfesseln herausschüttelte, in den dichten, zottigen Umhüllungen, den niederhängenden Hutkrempen und den schmutzbespritzten Beinen den dazu gehörigen Hund vorstellen konnte.
»Geht morgen ein Paketschiff nach Calais, Kellner?«
»Ja, Sir, wenn das Wetter hält und der Wind sich ordentlich macht. Die Flut wird nachmittags zwei Uhr der Ausfahrt zustatten kommen. Ein Bett, Sir?«
»Das werde ich heute nacht nicht brauchen. Doch wünsche ich ein Schlafzimmer zu haben. Schickt mir einen Barbier.«
»Und ein Frühstück, Sir? Ja, Sir. Hier hinauf, Sir, wenn's beliebt! Führt den Herrn ins Concord! Den Reisesack des Gentleman und heiß Wasser auf Concord! Zieht im Concord dem Gentleman die Stiefel ab! Ihr werdet ein schönes Seekohlenfeuer finden, Sir! Schickt den Barbier auf Concord! Hurtig da, auf Concord.«
Das Concordzimmer wurde immer den Postreisenden angewiesen und ließ in Anbetracht des Umstandes, daß die Postpassagiere vom Kopf bis zu den Füßen eingemummt anzukommen pflegten, die interessante Beobachtung machen, daß nur eine einzige Art von Menschen hineinzugehen schien, während doch die allerverschiedensten wieder herauskamen. Als daher zufällig ein anderer Kellner, zwei Portiers, mehrere Dienstmädchen und die Wirtin an unterschiedlichen Punkten des Weges zwischen dem Concord- und dem Kaffeezimmer einherschlenderten, sahen sie einen Gentleman von etwa sechzig in einem förmlichen, zwar ziemlich verbrauchten, aber doch gut erhaltenen, braunen Anzug mit breiten Ärmelaufschlägen und großen Taschen auftauchen, um unten sein Frühstück einzunehmen.
Selbigen Vormittag barg das Kaffeezimmer keinen anderen Gast als den Gentleman in Braun. Der Frühstückstisch war vor den Kamin gerückt, und als der Fremde in der vollen Beleuchtung des Feuers dasaß und der Bedienung harrte, verhielt er sich so regungslos, als sei er im Begriff, sich porträtieren zu lassen.
Die Hände auf die Knie gelegt, sah er sehr regelmäßig und exakt aus, und eine laute Uhr tickte in seiner Westentasche eine helltönende Predigt, als wolle sie ihre Würde und ihr hohes Alter zu dem Leichtsinn und der raschen Vergänglichkeit der lodernden Flamme in einen Gegensatz bringen. Er hatte einen hübschen Fuß und war ein bißchen eitel darauf, denn die braunen Strümpfe vom feinsten Gewebe lagen glatt und knapp an, und auch seine Schnallenschuhe nahmen sich trotz ihrer Einfachheit recht sauber aus. Eine flachsfarbige Stutzperücke mit kurzem krausem Haar, das jedoch eher aus Seiden- oder Glasfädchen als aus natürlichen Haaren zu bestehen schien, bedeckte seinen Kopf. Die Leinwand entsprach in Feinheit allerdings nicht den Strümpfen, war aber so weiß wie der Schaum der Wellen, die sich am nahen Ufer brachen, oder wie die von der Sonne beleuchteten Reusenpunkte weit draußen in der See. Ein an Ruhe gewöhntes Gesicht wurde unter der wunderlichen Perücke durch ein Paar feuchte klare Augen erhellt, mit denen ihr Eigentümer wohl manche Not gehabt haben mochte, bis sie im Lauf der Jahre an den zurückhaltenden und abgemessenen Ausdruck von Tellsons Bank gewöhnt waren. Auf seinen Wangen lag ein frisches Rot, und sein furchiges Antlitz trug nur wenige Spuren der Sorge. Nun, vielleicht hatten die unverheirateten Kontoristen in Tellsons Bank hauptsächlich mit den Sorgen anderer Leute, mit Sorgen zweiter Hand zu tun, die wahrscheinlich wie die Kleider aus zweiter Hand schneller ein Ende nehmen.
Um das Bild des Mannes, der einem Porträtmaler sitzt, vollständig zu machen, schlummerte Mr. Lorry endlich ein. Die Ankunft des Frühstücks weckte ihn wieder. Als er seinen Stuhl an den Tisch rückte, sagte er zu dem Kellner:
»Ich wünsche, daß Ihr Vorbereitungen trefft für die Aufnahme eines jungen Frauenzimmers, das heute noch hier anlangen wird. Sie fragt vielleicht nach Mr. Jarvis Lorry, vielleicht auch einfach nach einem Herrn von Tellsons Bank. Habt die Güte, mich von ihrer Ankunft in Kenntnis zu setzen.«
»Ja, Sir. Tellsons