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Mit Sandro an ihrer Seite konnte sie rasch aufklären, dass sie nicht krank war und dass ein Klinikaufenthalt nicht nötig war. Wann verschwand Elfriede endlich? Sie musste endlich gehen, damit sie mit Sandro sprechen konnte. Sie musste ihm begreiflich machen, dass sie nicht krank war. Auch ihre Kinder gehörten nicht zur Schwiegermutter, sondern hierher. Sandro würde ihr glauben und sie nicht wieder wegschicken.

      Endlich ging ihre Schwiegermutter und fuhr mit ihrem dicken Wagen davon. Jetzt war die Luft rein und sie konnte sich endlich zeigen.

      Doch dann geschah etwas, was sie nicht erwartet hatte. Das Kindermädchen Elena tauchte nur mit einem T-Shirt bekleidet auf. Sie umarmte Sandro und küsste ihn. Wehr dich! Lass das nicht zu! Noch hoffte Maja, dass Sandro das nicht wollte und sie von sich stieß. Aber das Gegenteil geschah: Sandro war zugänglich für die Zärtlichkeiten Elenas und küsste sie immer leidenschaftlicher. Das war zu viel für Maja. Ihre Ehe war schon lange nicht mehr glücklich. Aber sie hatten ihre Kinder, die sie für immer verband. Warum gerade Elena? Maja war völlig durcheinander. Diesen Verrat hätte sie Sandro nicht zugetraut. Würde er ihr überhaupt beistehen? Wollte er nicht sogar, dass sie von der Bildfläche verschwand? Die Gedanken schwirrten durch ihren Kopf, bis sie sicher war, dass sie Sandro nicht trauen konnte. Sie war auf sich allein gestellt und musste irgendwie versuchen, ihr Leben ohne seine Hilfe wiederzubekommen. Sie irrte durch den Garten. Sie lief ohne Ziel, wobei sie nur das Bild ihres Mannes und Elena vor sich hatte. Irgendwann brach sie zusammen.

      Mitten in der Nacht wachte sie auf. Wo war sie? Was war geschehen? Sandro und Elena! Das Bild war wieder präsent und sie musste sich übergeben. Sie lief los und irgendwann registrierte sie, dass sie außerhalb Mühldorfs war. Sollte sie aufgeben und wieder zurück in die Klinik, wo sie vermutlich hingehörte? War sie wirklich krank? Nein, sie war kerngesund! Man wollte ihr schaden, sie aus dem Weg räumen und ihr die Kinder wegnehmen. Das durfte sie nicht zulassen, sie musste um ihre Kinder kämpfen. Allein war sie dazu nicht in der Lage, sie brauchte Hilfe.

      Plötzlich wusste sie, bei wem sie Hilfe fand: Bei Hans Hiebler. Er war bei der Polizei und die beiden kannten sich schon sehr lange. Wenn Hans ihr nicht glaubte und ihr nicht helfen wollte, wusste sie keinen anderen Ausweg. Er musste ihr einfach helfen.

      Maja fand den Hof von Hans Hiebler auf Anhieb. Sie war lange nicht mehr hier gewesen. Von hier aus konnte man den Bauernhof ihrer Eltern, ihr Geburtshaus erkennen. Was war inzwischen daraus geworden? Als ihre Eltern starben, hatte sie den Hof mitsamt allen Äckern und Wiesen verkauft. Sie konnte nicht mehr in dem Haus leben, in dem ihre Eltern starben. Aber wegen ihrer Eltern und ihrem Zuhause war sie nicht hier.

      Gierig trank sie aus dem Brunnen vor dem Haus und setzte sich auf die Bank neben der Eingangstür. Sie wartete darauf, bis die Sonne aufging. Plötzlich ging die Tür auf und Hans trat mit der Waffe in der Hand heraus.

      „Maja?“, sagte Hans ungläubig. „Bist du das? Was zum Teufel machst du mitten in der Nacht hier? Ich dachte schon, ein Einbrecher treibt sich hier herum.“

      „Griaß di Hans,“ sagte Maja unter Tränen. „Ich brauche deine Hilfe. Ich weiß nicht, wo ich hin soll und an wen ich mich sonst wenden soll.“

      Hans‘ Kehle schnürte sich zu, als er das Häufchen Elend sah, das sich auf seine Bank gekauert hatte. Maja war eine Schönheit gewesen und er hatte sich lange um sie bemüht. Aber sie wollte ihn nicht, sie wollte nur Sandro. Wie sah sie überhaupt aus?

      „Komm rein, ich mache uns Kaffee.“

      Hans nahm eine Decke von der Couch und legte sie Maja um.

      „Zieh deine Socken aus,“ sagte Hans und reichte ihr ein dickes Paar seiner eigenen Socken. Ein Papier fiel auf den Boden und Hans legte es auf den Tisch, ohne sich dafür zu interessieren. Maja fühlte sich wohl hier. Hans behandelte sie nicht wie eine Verrückte. Er kümmerte sich wie selbstverständlich um sie und respektierte sogar ihr Eigentum: Der Zettel aus ihrer Krankenakte, den sie gestohlen hatte.

      Der Duft frischen Kaffees breitete sich in der Küche des alten Bauernhauses aus. Hans legte Brot, Käse und Wurst auf den Tisch. In der Schublade fand er noch eine Tafel Schokolade. Maja langte zu und aß gierig.

      „Nimm es mir nicht übel,“ sagte Hans, der Maja beobachtete, „aber du siehst beschissen aus. Was ist passiert?“

      „Das weiß ich selbst nicht. Aus den Klinikunterlagen weiß ich, dass ich am 3. August in eine Klinik am Chiemsee eingeliefert wurde. Von da an war alles dunkel. Heute bin ich abgehauen. Oder war das gestern? Wie spät ist es?“

      Hans verstand kein Wort.

      „Kurz nach zwei.“

      „Dann war es gestern. Ich wollte nach Hause. Meine Schwiegermutter hat meine Kinder und Sandro hat ein Verhältnis mit Elena,“ sprudelte es aus Maja unter Tränen heraus.

      „Langsam Mädl, ich verstehe kein Wort. Du bist aus einer Klinik am Chiemsee abgehauen? Weshalb warst du dort?“

      „Das weiß ich nicht. Ich wurde mit Medikamenten vollgepumpt und kann mich an nichts erinnern. Gestern habe ich es geschafft, aus der Klinik zu fliehen. Mit viel Glück habe ich es bis nach Mühldorf geschafft. Im Garten meines Hauses konnte ich ein Gespräch zwischen Sandro und seiner Mutter verfolgen. Die beiden sind davon überzeugt, dass ich verrückt bin. Meine Kinder sind bei meiner Schwiegermutter, wo sie nicht hingehören. Sie war es auch, die mich in die Klinik einweisen ließ, das habe ich deutlich gehört. Du weißt, dass mein Marco besondere Unterstützung braucht?“

      „Ich habe davon gehört. Wie kommst du darauf, dass dein Mann dich mit einer Elena bescheißt? Wer ist das überhaupt?“

      „Elena ist unser Kindermädchen. Ich habe die beiden gesehen. Sie haben sich umarmt und sie haben sich geküsst. Bitte glaub mir Hans, ich bin nicht verrückt. Da geschieht etwas, was ich nicht verstehe und was ich nicht verhindern kann. Ich will nicht zurück in die Klinik, ich bin nicht krank. Bitte hilf mir!“

      Hans spürte, dass Maja völlig am Ende war. Das, was sie von sich gab, war doch total irre. Aber er kannte Maja schon viele Jahre und sie neigte nicht dazu, hysterisch zu werden.

      „Lies bitte,“ sagte Maja und schob Hans den immer noch zusammengefalteten Zettel zu, der durch ihre Flucht stark in Mitleidenschaft gezogen war.

      Hans entfaltete das Papier.

      „Das habe ich aus meiner Krankenakte gestohlen. Das sind die Medikamente, die mir verabreicht wurden. Hier oben steht der Name der Klinik und da steht mein Name,“ erklärte Maja und suchte nach einer Regung in Hans‘ Gesicht, aus der sie lesen konnte, ob er ihr glaubte.

      Es folgte Schweigen. Hans versuchte, die Informationen zu ordnen und überflog dabei immer wieder diese Liste, die er nicht beurteilen konnte. Ja, darauf waren viele Medikamente aufgelistet. Allerdings hatte er keine Ahnung, um was es sich dabei handelte.

      „Du bleibst hier und ruhst dich aus. Wenn du möchtest, kannst du gerne baden oder duschen. Nimm dir aus meinem Kleiderschrank, was du brauchst, irgendetwas wird dir schon passen. Ich werde inzwischen Erkundigungen einholen.“

      „Du willst mir helfen?“

      „Wir Mühldorfer müssen doch zusammenhalten. Du kannst dich auf mich verlassen, mein Wort drauf.“

      Maja war überglücklich. Wenn Hans sein Wort gab, dann stand er auch dazu. Sie duschte ausgiebig und fühlte sich sicher.

      Hans hatte ein mulmiges Gefühl, nachdem er aufgelegt hatte. Nach Maja lief eine Fahndung. Sie wurde als gefährlich für ihre Umwelt und als äußerst gewaltbereit eingestuft. Was sollte der Blödsinn? Maja war weder gefährlich noch gewalttätig. Was lief hier ab?

      „Leo? Ich brauche deine Hilfe. Komm bitte zu mir.“

      Der 51-jährige Leo Schwartz war irritiert. Ein Anruf von Hans mitten in der Nacht? Er zog sich an und machte sich auf den Weg.

      Maja schlief tief und fest in Hans‘ Bett, während der seinen Freund und Kollegen Leo informierte.

      „Du lässt diese Irre hier schlafen? Bist du verrückt geworden?“

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